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AGGAGG-Hopper der „2. Generation“ stoppen: So könnte es für ArbG klappen

Abo-Inhalt04.11.20241647 Min. Lesedauer

| Einem Entschädigungsverlangen nach dem AGG kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs u. a. auch dann entgegenstehen, wenn ein Kläger sich systematisch auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten Geschäftsmodells „2.0“ bewirbt, mit dem alleinigen Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG durchzusetzen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. |

Sachverhalt

Der 30-jährige ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Bewerber hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er bewarb sich in der Vergangenheit mehrfach auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ bei diversen Unternehmen und führte im Nachgang Entschädigungsprozesse aufgrund einer etwaigen Benachteiligung wegen des Geschlechts. Anfang 2021 schrieb ein Unternehmen in Schleswig-Holstein eine Stelle für eine „Sekretärin“ auf einer Internet-Plattform aus. Der Kläger meldete sich über die Chat-Funktion bei diesem Unternehmen wie folgt:

Bewerbungsschreiben des Klägers

Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern. Ich bewerbe mich hiermit auf ihre Stelle. Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann. Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Ich wäre ab sofort verfügbar. Mit freundlichen Grüßen Herr ...

Das Unternehmen sagte daraufhin dem Bewerber ab, unter Hinweis darauf, dass ausschließlich eine Dame gesucht werde. Der Bewerber verlangte vor dem Arbeitsgericht Elmshorn eine Entschädigung in Höhe von 7.800 EUR. Das Arbeitsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger sei kein Bewerber. Dies setze zumindest voraus, dass sich der Stellensuchende als Person konkretisiere/vorstelle. Die Situation wiederholte sich in ähnlicher Form vor anderen Arbeitsgerichten mit demselben Kläger bundesweit:

  • Das Arbeitsgericht Berlin 23.6.22 (42 Ca 10434/21) hielt ein klageabweisendes Versäumnisurteil aufrecht. Zur Begründung führte es aus, dass die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG zwar grundsätzlich vorlägen, das Entschädigungsverlangen des Klägers aber rechtsmissbräuchlich sei. Der Kammer seien – was zutrifft – binnen 15 Monaten elf Klagen aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts durch den Kläger allein vor dem Arbeitsgericht Berlin bekannt. Stets habe er sich auf ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ beworben und im Nachgang AGG-Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Dies spreche für ein systematisches, zielgerichtetes Vorgehen. Mit wörtlich gleichen Erstanschreiben habe er sich zudem bei Unternehmen in C, D, E, F und G auf entsprechende Stellen als „Sekretärin“ beworben.
  • Die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin eingelegte Berufung des Klägers wies das LAG Berlin-Brandenburg (20.1.23, 3 Sa 898/22) zwischenzeitlich zurück. Zur Begründung führte es u. a. aus, dass die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs rechtsmissbräuchlich sei.
  • Auch vor dem Arbeitsgericht Hagen (6.4.22, 2 Ca 1421/21) scheiterte der Kläger mit einer Klage. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht an, dass der Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegenstehe. Das LAG Hamm (23.8.23, 9 Sa 538/22) wies die Berufung gegen dieses Urteil aufgrund der Rechtsmissbräuchlichkeit seines Entschädigungsverlangens zurück.
  • Am 17.1.22 veröffentlichte ein weiteres Unternehmen auf dem Internet-Portal eBay Kleinanzeigen eine Stellenausschreibung für eine „Sekretärin“. Das Unternehmen teilte mit, dass ausschließlich eine Frau gesucht werde. Auch hiergegen ging der Kläger vor. Nach Säumnis im Gütetermin, klageabweisendem Versäumnisurteil und dem daraufhin fristgemäß eingegangenen Einspruch hob das Arbeitsgericht Gelsenkirchen das Versäumnisurteil (3.8.22, 2 Ca 547/22) weit überwiegend auf und gab der Klage in Höhe von 5.400 EUR statt. Auf die Berufung des Unternehmens änderte das LAG Hamm (23.3.23, 18 Sa 888/22) das Urteil ab und wies die Klage insgesamt wegen Rechtsmissbrauchs ab.

Am 3.1.23 bewarb sich der Kläger bei der hiesigen Beklagten auf eine auf der Website Indeed ausgeschriebene Stelle: „Bürokauffrau/Sekretärin Stellenbeschreibung: Anstellungsart: Vollzeit, Festanstellung…“. Dabei machte der Kläger auf der Website Indeed nur wenige Angaben zu seinem Lebenslauf.

Mit seiner beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Klage begehrt er wieder eine Entschädigungszahlung. In seiner Klageschrift gab er an, derzeit ein Studium zum Wirtschaftsjuristen zu absolvieren. Die Geltendmachung des Anspruchs sei nicht rechtsmissbräuchlich. Es bedürfe zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens, anhand welchem sich feststellen ließe, dass es auf der Erwägung beruhe, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise würde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben. Auch seien sein Wohnort und die fehlenden Bewerbungsunterlagen kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch.

Der Kläger erschien nicht im Gütetermin. Gegen das am selben Tag ergangene antragsgemäße klageabweisende Versäumnisurteil legte er Einspruch ein. Das Arbeitsgericht Dortmund (7.7.23, 10 Ca 640/23) hat das klageabweisende Versäumnisurteil vom 28.3.23 aufrechterhalten: Dem Entschädigungsverlangen des Klägers stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen. Zwar reiche eine Vielzahl von Prozessen grundsätzlich nicht aus, um von einem Rechtsmissbrauch auszugehen. Anderes gelte aber, wenn sich das fehlende ernsthafte Interesse an der Stelle aus anderen Umständen ableiten ließe. Hiergegen legte der Kläger beim LAG Hamm Berufung ein.

Entscheidungsgründe

Das LAG Hamm (5.12.23, 6 Sa 896/23, Abruf-Nr. 239473) wies die Berufung als unbegründet zurück. Dem Kläger stehe als Bewerber kein durchsetzbarer Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 AGG zu. Dabei könne dahinstehen, ob ein solcher Anspruch dem Grunde und der Höhe nach bestehe. Der Geltendmachung des Anspruchs, d. h. der Durchsetzbarkeit, stehe jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen.

Im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG sei Rechtsmissbrauch anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben habe, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum gehe, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadenersatz geltend zu machen (so zuletzt BAG 14.6.23, 8 AZR 136/22, Abruf-Nr. 237449; LAG Hamm 23.8.23, 9 Sa 538/22, Abruf-Nr. 237863).

Die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs verlange das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements müsse sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingung, welche den nationalen Regelungen zugrunde liege, das Ziel dieser Regelung nicht erreicht worden sei. In Bezug auf das subjektive Element müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen würden (EuGH 28.1.15, C 417/13, Starjakob).

Objektives Element

Auf Basis des Akteninhalts sei die Kammer überzeugt, dass der Kläger systematisch und zielgerichtet vorgehe, um sich einen auskömmlichen Gewinn durch Entschädigungsansprüche „zu erarbeiten“, ohne dass er ein Interesse an der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle gehabt hätte. Das objektive Element für einen Rechtsmissbrauch liege vor.

Solche Anhaltspunkte ergäben sich aus der Entfernung der Stelle vom Wohnort des Klägers, dem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Bewerbung, der Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit einem Vollzeitstudium. Insbesondere und zentral sei auch die durch die Prozesshistorie belegte Entwicklung des Bewerbungsverhaltens einschließlich der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch den Kläger im Sinne eines Geschäftsmodells in „zweiter Generation“ zu berücksichtigen.

Ein erster diesbezüglicher Anhaltspunkt sei der Wohnort des Klägers, welcher in 170 Kilometer Entfernung von seiner potenziellen Tätigkeitsstelle beim ArbG läge. Die Kammer gehe vor diesem Hintergrund davon aus, dass eine entsprechende Wohnungssuche nicht erfolgt sei. Vielmehr handele es sich bei der vorstehenden Formulierung um eine inhaltsleere und unzutreffende Behauptung. Gehe man davon aus, dass der Kläger nicht umzugswillig gewesen sei, habe er auch nicht vorgetragen, wie er das tägliche Pendeln habe bewerkstelligen wollen.

Objektive Anzeichen für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers ergäben sich aus dem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Bewerbung. Die Bewerbung um die Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ sei nach ihrer objektiven Erscheinung darauf angelegt gewesen, eine Absage zu provozieren. Ein Interesse an der Stelle dokumentiere sie demgegenüber nicht.

Die Bewerbung weise keinerlei Bezug zur Branche oder zum Geschäft der Beklagten auf. Auch gehe sie nicht auf die in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationen sowie das Aufgabengebiet der konkreten Stelle ein. Lediglich auf den Umgang mit MS-Office nehme der Kläger kurz Bezug. Im Übrigen beschränke er sich auf die Schilderung von Allgemeinplätzen wie „Berufserfahrung im Büro“ und „typische Bürotätigkeiten“. Auch der Hinweis auf seine Berufserfahrung in der „Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf“ lasse sich nicht in Einklang mit den Qualifikationsanforderungen der Stellenausschreibung bringen. Woraufhin der pauschale und aus Sicht des potenziellen ArbG nichtssagende Satz folge, „Ihre Anforderung in der Stellenausschreibung erfülle ich allesamt“. Eine derartige Bewerbung lasse auf fehlende Ernsthaftigkeit schließen. Dabei verkenne die Kammer nicht, dass kein Erfahrungssatz des Inhalts existiere, dass jemand, der sich wenig Mühe mit seinem Bewerbungsschreiben gebe, sich nur bewerbe, um die formale Position eines Bewerbers zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel von Entschädigungsansprüchen (BAG 31.3.22, 8 AZR 238/21, Abruf-Nr. 230919).

Mit Blick auf seinen Lebenslauf habe der Kläger lediglich angegeben, sieben Jahre im Büro tätig gewesen zu sein und über sieben Jahre Erfahrung im Bereich MS-Office zu verfügen. Er habe auch keine aussagekräftigen Unterlagen, wie etwa Zeugnisse etc., übersandt. Ein Bewerber, der ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen wäre, der wie der Kläger Abitur besitze und – wie die Schriftsätze des Klägers zeigen – auch im Übrigen äußerst eloquent sei, hätte sich ansprechender präsentiert.

Gleichzeitig enthalte das Bewerbungsschreiben einen Hinweis darauf, dass sich der Kläger mit „Gesetzen gut aus“ (-kenne). Dies sei erkennbar nicht Voraussetzung für die Tätigkeit bei der Beklagten (zu einem solchen Vorgehen als Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit: LAG Hamm 23.8.23, 9 Sa 538/22).

Die Hinweise darauf, dass der Kläger nicht über eine Wohnung im Umkreis des Geschäftssitzes der Beklagten verfüge unter gleichzeitiger Angabe seiner Adresse, welche sich ca. 170 Kilometer entfernt von dem Betrieb der Beklagten befinde, musste bei der Beklagten berechtigte Zweifel auslösen, ob dem Kläger ein zeitnaher Stellenantritt überhaupt möglich sein würde.

Auch die Kleinschreibung von „ihre“ und „ihrem“ in der Bewerbung sei ein objektiver Anhaltspunkt für das fehlende Interesse an der konkreten Stelle. Sie würde jeden potenziellen ArbG dazu veranlassen, direkt an der Geeignetheit des Bewerbers zu zweifeln. Entsprechendes gelte für den wenig ansprechenden Satzbau („Lieferscheine kann ich auch schreiben und Rechnungen“).

All diese Umstände in der Bewerbung würden den objektiven Schluss zulassen, dass es dem Kläger nicht darum gehe, die Beklagte davon zu überzeugen, dass es sich bei ihm um den bestgeeigneten Bewerber handele, sondern der Beklagten schon bei Sichtung der Bewerbungsunterlagen durchgreifende Gründe für eine Ablehnung seiner Bewerbung zu geben (BAG 31.3.22, 8 AZR 238/21, Abruf-Nr. 230919). Auch wie der Kläger die parallele Durchführung von Vollzeitstudium und Vollzeitstelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ habe bewerkstelligen wollen, habe er nicht vorgetragen (LAG Hessen 28.4.23, 14 Sa 1300/22, Abruf-Nr. 237519).

Auf einen Rechtsmissbrauch könne grundsätzlich nicht bereits geschlossen werden, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe (BAG 18.6.15, 8 AZR 848/13, Abruf-Nr. 144976; BAG 24.1.13, 8 AZR 429/11, Abruf-Nr. 130611; BAG 13.10.11, 8 AZR 608/10). Daher seien an die Annahme des durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwands hohe Anforderungen zu stellen. Es müssten Umstände vorliegen, die den Schluss rechtfertigten, die Bewerbung des Klägers auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle und die sich an die Ablehnung anschließende Entschädigungsklage seien Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen eines „Geschäftsmodells“ (BAG 11.8.16, 8 AZR 4/15, Abruf-Nr. 190690). Bei seinem Geschäftsmodell habe sich der Kläger laufend und deutschlandweit auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ beworben. Nach einer durch die Art und Weise seiner Bewerbung provozierten Absage versuche er, Entschädigungsansprüche (gerichtlich) durchzusetzen, um im Ergebnis mit dem Bezug von Bürgergeld und dem „Verdienst“ aus seinen Bewerbungsprozessen im weiteren Sinn – in doppelter Hinsicht auf Kosten anderer – seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

So habe der Kläger zuletzt in 15 Monaten 11 Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin geführt. Hinzu kämen gleichgelagerte Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin, dem LAG Schleswig-Holstein (21.6.22, 2 Sa 21/22, Abruf-Nr. 231310, zuvor Arbeitsgericht Elmshorn 16.12.21, 4 Ca 592 a/21) sowie – neben dem hiesigen Verfahren – zwei weitere Verfahren vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen und Hagen. Auch vor dem Arbeitsgericht Dortmund (3 Ca 3087/22) kam es zu einem gleichgelagerten Fall, in welchem er ebenfalls auf Entschädigung nach Bewerbung auf eine „Sekretärinnen-Stelle“ klagte.

Keine der Stellen habe der Kläger – soweit ersichtlich – je angetreten. Vielmehr habe er eine Vielzahl von Entschädigungsansprüchen aufgrund von AGG-Benachteiligungen gestellt. Bezeichnenderweise erfolge eine Optimierung nicht im Hinblick auf die Überzeugungskraft seiner Bewerbung. Umso akribischer bereinige er auf Basis gewonnener Prozesserfahrungen seine zukünftigen Bewerbungen und sein Bewerbungsverhalten um sämtliche Aspekte, die der erfolgreichen Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder in sonstiger Weise entgegenständen.

Der Kläger bewerbe sich zum Beispiel zwischenzeitlich zusätzlich postalisch unter Nennung seiner Adresse. Das Arbeitsgericht Berlin (23.6.22, 42 Ca 10434/21) verweigerte einen Entschädigungsanspruch. Ein systematisches Vorgehen ergebe sich u. a. daraus, dass er sich nahezu ausschließlich auf solche Ausschreibungen auf eBay Kleinanzeigen beworben habe. Ein Bewerbungsschreiben des Klägers der ersten Generation habe auch dem Urteil des Arbeitsgerichts Hagen (6.4.22, 2 Ca 1421/21) zugrunde gelegen, welches im Ergebnis ebenfalls einen Rechtsmissbrauch bejahte. Dieses Verfahren habe er erneut zum Anlass genommen, ausschließlich Merkmale, die eine Rechtsmissbräuchlichkeit seiner Entschädigungsverlangen begründen könnten, systematisch zu eliminieren. So heiße es im neuen Bewerbungsschreiben unter anderem: „mit Freude und großem Interesse habe ich ihre Stellenausschreibung auf Indeed gelesen“. Seinen weiteren Standard-Passus in der Bewerbung „Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben“ habe er zur Vermeidung eines Rechtmissbrauchs gestrichen. Ebenso unterzeichne er seine Bewerbung nicht mehr mit „Herr ...“, sondern mit vollem Namen.

Ausdrücklich als fehlend monierte Ausbildungs- und Schulzeugnisse habe er nicht beigefügt, da diese die Erfolgsaussichten seiner Bewerbung erheblich gesteigert hätten, er für sein Geschäftsmodell indes eine Ablehnung seiner Bewerbung benötigt habe. Die Aufforderung, den Betrag vollständig an ihn auszuzahlen unter Hinweis auf die steuerrechtliche Bewertung der Entschädigungszahlung, lasse aus Sicht der Kammer ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung des Klägers mit dem zu erwartenden wirtschaftlichen Gewinn erkennen.

Auf Basis der vorstehenden Umstände seien die „hohen Anforderungen“ nach der Rechtsprechung des BAG in objektiver Hinsicht erfüllt. Das Kostenrisiko des Klägers sei aufgrund seiner Vorgehensweise beschränkt. In erster Instanz beauftrage er keinen Anwalt. Zusätzlich beziehe er Bürgergeld, sodass stets gute Chancen beständen, dass in erster und zweiter Instanz seine Kostenrisiken durch entsprechende Anträge auf Prozesskostenhilfe weiter gemindert würden. Auch in der Sache reduziere er durch sein Vorgehen sein Kostenrisiko erheblich. Er bewerbe sich gezielt auf Stellen, die offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben seien.

Subjektives Element

Das subjektive Element für einen Rechtsmissbrauch liege ebenfalls vor. Dies ergebe sich bereits aus den objektiven Umständen (Entfernung zur Stelle, Unvereinbarkeit von Vollzeitstelle und Vollzeitstudium, Art und Weise der Bewerbung sowie insbesondere der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells in die zweite Generation). Zudem besitze er vollumfängliche Kenntnis von der Rechtsprechung zu einzelnen Rechtsmissbrauchsmerkmalen. Die Anpassung seines Bewerbungsverhaltens sei damit nicht zufällig, sondern final allein zur Erlangung von Entschädigungszahlungen erfolgt.

Auch habe der Kläger bis zuletzt nicht hinreichend vorgetragen, welche anderen Motive, außer der Entschädigungszahlung, ihn zur Bewerbung auf die konkrete ausgeschriebene Stelle bewogen haben sollten.

Er habe sich pauschal darauf zurückgezogen, er sei arbeitslos und daher zum Erhalt von Sozialleistungen gesetzlich gehalten, sich auf entsprechende Stellen zu bewerben. Dies erkläre nicht, weshalb er sich auf die konkrete, von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle, für welche er überqualifiziert sei, in 170 Kilometer Entfernung beworben habe. Auf ca. 50 Seiten allein im Berufungsverfahren habe er zu den Grundsätzen der BAG-Rechtsprechung um Rechtsmissbrauch vorgetragen, aber nicht im Ansatz zu seinem konkreten Interesse an der Stelle.

Soweit er behaupte, sich im November und Dezember 2022 auch auf andere geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen beworben zu haben, sei allein maßgeblich, aus welchen Gründen die Bewerbung erfolgt sei, auf deren Grundlage die streitgegenständliche Entschädigung begehrt werde. Nach Auffassung der Kammer sei es kein Zufall, dass der Kläger entsprechende Bewerbungsschreiben trotz entsprechenden Hinweises nicht vorgelegt habe. Unerheblich sei daher auch, ob der Kläger zwischenzeitlich tatsächlich für einen ArbG tätig gewesen sei. Soweit das BAG (14.6.23, 8 AZR 136/22, Abruf-Nr. 237449) den Antritt einer Stelle bei einem Mitbewerber als Kriterium gegen einen Rechtsmissbrauch angesehen habe, liege der Sachverhalt vorliegend insgesamt anders. Der Kläger habe zunächst eine Stelle angetreten, diese verloren und habe sich im Nachgang bei der hiesigen Beklagten beworben.

Auf eine datenschutz- bzw. grundrechtliche Rechtsgrundlage könne sich der Kläger nicht berufen. Sei eine Maßnahme zur Informationsbeschaffung nach datenschutzrechtlichen Vorschriften zulässig gewesen, liege insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Die Datenverarbeitung sei nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig und zur Wahrung berechtigter Interessen der Beklagten erforderlich gewesen.

Da die Beklagte die Darlegungslast für das Vorliegen von Indizien trage, die auf Rechtsmissbrauch hindeuten, sei sie insoweit auf die Beschaffung von Informationen angewiesen. Das Interesse des Klägers müsse zurückstehen. Eine Recherche aus allgemein zugänglichen Quellen des Internets, wie etwa juristischen Datenbanken, sei von vornherein nicht zu beanstanden. Auch die Nachfrage bei anderen Unternehmen, die der Kläger auf Zahlung einer Entschädigung verklagt habe, begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Relevanz für die Praxis

Nachdem das BAG die Hürden für den Einwand des Rechtsmissbrauchs bei Bewerbungen auf AGG-widrig ausgeschriebene Stellen zuletzt im Hinblick auf das diesen Einwand begründende objektive und subjektive Element hoch gelegt hat, lässt die vorliegende Entscheidung des LAG Hamm ArbG im Kampf gegen potenziell missbräuchliche Bewerbungen hoffen. Anhaltspunkte für objektive Missbrauchselemente, die im Ergebnis hier durchgreifen, können weite Entfernungen zwischen Wohn- und potenziellem Arbeitsort, fehlende Angaben zur Wohnungssuche, inhaltsleere Bewerbungsschreiben ohne entsprechende Unterlagen und Nachweise, Hinweise auf nicht abgefragte Umstände in provokativer Form, orthografische Fehler und eine Vielzahl vorheriger Rechtsstreite in Form eines „Geschäftsmodells“ sein. Dies und eine ausgefeilte Minimierung des Kostenrisikos sprechen auch auf subjektiver Seite bei vollumfänglicher Kenntnis der einschlägigen AGG-Rechtsprechung dann für Rechtsmissbrauch, wenn ein Kläger keine weiteren Motive für seine Bewerbung als die Entschädigungszahlung in den Rechtsstreit einführt.

AUSGABE: AA 4/2024, S. 63 · ID: 49967244

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