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VergütungGleiche Arbeit heißt gleicher Lohn für Männer und Frauen: Folgen des BAG-Urteils für die Praxis
| Eine weibliche ArbN hat einen Anspruch auf gleiches Entgelt wie ihr männlicher Kollege, wenn sie die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet. Der ArbG darf das höhere Gehalt eines männlichen ArbN nicht mehr damit begründen, dass dieser in den Vertragsverhandlungen das höhere Gehalt besser verhandelt hat. Das ist die Quintessenz aus einem Urteil des BAG. Daraus ergeben sich wichtige Folgen und Handlungsempfehlungen für ArbG. |
1. Entgeltgleichheit von Männern und Frauen für gleiche Arbeit
Der ArbG hatte der ArbN 3.500 EUR monatlich angeboten, ebenso kurz davor einem Mitbewerber. Weil der dies ablehnte, zahlte der ArbG ihm in der Einarbeitungsphase ein Grundgehalt von 4.500 EUR. Damit hat der ArbG nach Ansicht des BAG die ArbN aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Er hat ihr im Vergleich zu ihrem männlichen Kollegen ein niedrigeres Entgelt gezahlt, obwohl beide die gleiche Arbeit verrichteten. Daher hat die ArbN einen Anspruch auf gleiches Entgelt für die gleichwertige Arbeit wie ihr männlicher Kollege. Grundlage ist Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG (BAG 16.2.23, 8 AZR 450/21, Abruf-Nr. 233917).
Das BAG stellte fest: Weil die ArbN für die gleiche Tätigkeit ein niedrigeres Grundgehalt erhält als ihr männlicher Kollege, wird nach § 22 AGG vermutet, dass die niedrigere Vergütung nur aufgrund des Geschlechts erfolgt. Der ArbG kann diese Vermutung widerlegen, wenn er vorträgt und beweist, dass die Gehaltsunterschiede auf geschlechtsneutralen, objektiven Kriterien beruhen.
Das Interesse des ArbG an der Gewinnung eines geeigneten ArbN ist kein solches objektives Kriterium, wenn der männliche Bewerber während der Vertragsverhandlungen ein höheres Entgelt einfordert. Auch die Begründung des ArbG, der ArbN sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen ArbN nachgefolgt, reichte dem BAG nicht.
Da der ArbG die vermutete Diskriminierung nicht entkräften konnte, hat das BAG der ArbN einen Anspruch auf Nachzahlung der gesamten Gehaltsdifferenzen und einen Zahlungsanspruch auf Entschädigung in Höhe von 2.000 EUR nach § 15 Abs. 2 AGG zugesprochen.
2. Handlungsempfehlungen für die Praxis
Aufgrund der Entscheidung steht fest: ArbG können nur noch unter strengen Anforderungen vortragen und beweisen, dass Gehaltsunterschiede auf geschlechtsneutralen, objektiven Kriterien beruhen.
a) Für Gehaltsunterschiede sind objektive Kriterien nötig
Nach Ansicht des BAG kann ein solches objektives Kriterium je nach den Umständen des Einzelfalls z. B. das Dienstalter und die damit verbundene Berufserfahrung sein (BAG 21.1.21, 8 AZR 488/19, Abruf-Nr. 220283). Besonderes Verhandlungsgeschick eines männlichen Bewerbers während der Vertragsverhandlungen zählt jedenfalls nicht dazu.
Praxishinweis | ArbG ist zu raten, weiblichen ArbN mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit dasselbe Gehalt wie ihren männlichen Kollegen zu zahlen, wenn sie ausschließlich aufgrund von Forderungen eines männlichen Bewerbers die Bezahlung eines höheren Gehalts mit diesem vereinbaren. |
b) Entgeltgleichheit geht vor Vertragsfreiheit bei Arbeitsverträgen
Die Entscheidung zeigt auf, welches Spannungsverhältnis zwischen der im Privatrecht grundsätzlich geltenden Vertragsfreiheit und dem Grundsatz der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen vorliegt. Das BAG löst dieses Spannungsverhältnis dahin gehend auf, indem es den Grundsatz der Entgelt-gleichheit zwischen Männern und Frauen als eine Beschränkung der Vertragsfreiheit bei Abschlüssen von Arbeitsverträgen ansieht.
Das BAG geht wohl davon aus, dass weibliche und männliche Bewerber in arbeitsrechtlichen Vertragsverhandlungen schon aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich starke Verhandlungspositionen haben und daher das Geschlecht der bewerbenden Person einen maßgeblichen Einfluss auf den Verhandlungserfolg hinsichtlich der Höhe der Vergütung hat. Mithin ist die Vertragsfreiheit für Vereinbarungen von unterschiedlich hohen Vergütungen zumindest dann beschränkt, wenn der ArbG mindestens zwei ArbN unterschiedlichen Geschlechts in der gleichen oder gleichwertigen Tätigkeit beschäftigt. Dies sollte auch für den – wenn auch selteneren – Fall gelten, wenn ein Mann im Vergleich zu seiner weiblichen Kollegin für die gleiche oder gleichwertige Arbeit ein niedrigeres Entgelt erhält. Schließlich gilt der Grundsatz auf Entgeltgleichheit für alle Geschlechter, also auch für Männer, vgl. Art. 157 Abs. 1 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG.
Klagen auf Nachzahlung und Entschädigung drohen Fazit | Bereits jetzt lässt sich feststellen, dass der Grundsatz der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen zukünftig effektiver und leichter vor Gericht durchzusetzen ist. Es ist damit zu rechnen, dass Ansprüche auf Nachzahlung von Gehaltsdifferenzen und Entschädigungszahlungen wegen einer Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts in größerem Umfang geltend gemacht werden. Aktuell kann jeder ArbN, dessen ArbG mindestens 200 Angestellte beschäftigt, einen individuellen Auskunftsanspruch geltend machen, um das Vergleichsgehalt zu erfahren. Spätestens ab Juni 2026 gilt dieses Recht unabhängig von der Unternehmensgröße. Es ist ratsam, von Anfang an darauf zu achten, dass gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten gleich entlohnt werden. Ist dies nicht der Fall und werden deswegen Ansprüche auf Nachzahlung erhoben, sollte genau überprüft werden, ob sachliche Gründe vorliegen, die dies rechtfertigen können. |
AUSGABE: AA 7/2024, S. 121 · ID: 49965282