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EntschädigungArbG muss bei der Google-Recherche im Rahmen der Stellenbesetzung Regeln beachten
| Eine Google-Recherche kann gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b DSGVO zulässig sein. Aber: Führt sie der ArbG durch, muss er den Bewerber über die Datenerhebung gemäß Art. 14 DSGVO informieren. Diese Information muss so präzise und spezifisch sein, dass die betroffene Person die Risiken abschätzen kann, die mit der Verarbeitung der erhobenen Daten verbunden sein können. Kommt der ArbG seiner Informationspflicht nicht nach und verwertet die erlangte Information im Stellenbesetzungsverfahren, hat der Bewerber einen Entschädigungsanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO. |
Sachverhalt
Der Kläger ist Volljurist und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er wurde im Jahr 2020 vom LG München I erstinstanzlich wegen Betrugs in drei Fällen und versuchten Betrugs in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das LG-Urteil wurde vom BGH im Jahr 2022 aufgehoben. Über den Kläger existierte ein Wikipedia-Eintrag, in dem u. a. auch Angaben zu diesem Strafverfahren enthalten waren.
Die Beklagte, eine Universität, schrieb im Rahmen einer Mutterschutz- und Elternzeitvertretung für ca. 18 Monate eine Stelle für „eine*einen Volljurist*in (m/w/d)“ aus. Auf diese Ausschreibung bewarb sich der Kläger. Nach dem Gespräch wurde ein Auswahlvermerk zu den Personen angefertigt. Hierin befand sich folgende Anmerkung:
„Aus öffentlich zugänglichen Quellen ist zu entnehmen, dass Herr Y. bereits erstinstanzlich wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt wurde (LG München 6.7.20, 12 KLs 231 Js 139171/12). Der Vorwurf lautete, Herr Y. habe vielfach fingierte Bewerbungen eingereicht, um potenzielle Arbeitgeber anschließend wegen angeblicher Diskriminierung zur Zahlung von Entschädigungen (nach AGG) zu veranlassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Herr Y. hat hiergegen Revision beim BGH eingelegt. Der o. g. Sachverhalt ist ein solch negativer Aspekt, der in gebotener Weise bei der Besetzung der Stelle „Volljurist*in“ in der Stabsstelle Justitiariat zu berücksichtigen ist. Eine Einstellung von Herrn Y. könnte nur unter der auflösenden Bedingung eines einwandfreien Führungszeugnisses erfolgen. Zwar steht die Entscheidung des BGH bzgl. der Revision im o. g. Verfahren noch aus. Jedoch kann der L. als öffentlichem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, diese Entscheidung abzuwarten. Es besteht ein (nicht ganz unwahrscheinliches) Risiko, dass die Verurteilung wegen Betrugs Rechtskraft erlangt. Zudem werden in der Stabsstelle Justitiariat organisatorisch alle AGG-Fälle betreut. Hierbei ist eine sachliche und objektive Bearbeitung aller Fälle notwendig, was bei Herrn Y. jedoch zu bezweifeln ist. Aus diesen Gründen wird Herr Y. als nicht geeigneter Bewerber bewertet.“
Die Universität erteilte dem Kläger eine Absage. Dieser bat um Übersendung der dem Auswahlverfahren zugrunde liegenden Dokumentationen und forderte die Beklagte auf, von einer Besetzung einstweilen abzusehen. Die Einstellung war aber bereits erfolgt. Anschließend erhielt der Kläger eine zurückgerufene E-Mail von der Mitarbeiterin Z. der Beklagten. Hierin stand unter anderem: „Ihrer Bitte, Ihnen die dem Auswahlverfahren zugrunde liegende Dokumentation zur Verfügung zu stellen, möchten wir aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht nachkommen. Wir haben die für unsere Entscheidung wesentlichen Aspekte in diesem Schreiben aufgeführt.“
Nachdem der Kläger seinen Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO geltend gemacht hatte, erhielt dieser den teilweise geschwärzten Auswahlvermerk. Anschließend machte er – zunächst – außergerichtlich Schadenersatzansprüche unter Berufung auf Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG, § 280 Abs. 1 BGB sowie Art. 82 Abs. 1 DSGVO geltend. Er habe erstmals durch den Auswahlvermerk erfahren, dass die Universität über ihn im Internet „geschnüffelt“ und das Ergebnis in den Bewerbungsprozess habe einfließen lassen. Jedenfalls hätte die Beklagte ihn über die Datenerhebung informieren müssen.
Entscheidungsgründe
Anders als das Arbeitsgericht war die Berufung des Klägers vor dem LAG Düsseldorf (10.4.24, 12 Sa 1007/23, Abruf-Nr. 242210) teilweise erfolgreich. Die Beklagte sei verpflichtet, ihm eine Entschädigung in Höhe von 1.000 EUR gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu zahlen, weil sie den Kläger entgegen Art. 14 Abs. 1 lit. d DSGVO nicht über die Kategorie der von ihr im Rahmen des Auswahlverfahrens verarbeiteten Daten, nämlich der strafrechtlichen Verurteilung durch das LG, informiert habe. Dadurch habe der Kläger einen Schaden erlitten.
Ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens des Klägers scheide nicht deshalb aus, weil es hier um einen bloßen Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO gehe, der allein nicht zur Begründung des Schadenersatzes ausreiche. Der EuGH (4.5.23, C-300/21) habe ausgeführt, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen sei, dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht ausreiche, um einen immateriellen Schadenersatzanspruch zu begründen. Anderseits habe der EuGH erkannt, dass der Begriff des immateriellen Schadens autonom und unionsrechtlich einheitlich zu definieren ist. Dabei sei die betroffene Person nicht von dem Nachweis befreit, dass der Verstoß gegen die DSGVO für sie negative Folgen gehabt habe, welche einen immateriellen Schaden darstellten. Andererseits sei keine Voraussetzung, dass der der betroffenen Person entstandene immaterielle Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat.
Der Nachteil müsse weder „spürbar“ noch die Beeinträchtigung „objektiv“ sein. Der EuGH habe klargestellt, dass der Unionsgesetzgeber unter den Schadensbegriff insbesondere auch den bloßen „Verlust der Kontrolle“ über die eigenen Daten infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO fassen wollte, selbst wenn konkret keine missbräuchliche Verwendung der betreffenden Daten zum Nachteil dieser Personen erfolgt sein sollte. Auch sei nach dem EuGH Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung vorgesehene Schadenersatzanspruch eine Ausgleichsfunktion habe.
Der Kläger habe hier einen immateriellen Schaden dargelegt, der durch die fehlende Information verursacht worden sei. Die Beklagte habe ohne Mitteilung an den Kläger dessen nicht rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung zur – und sei es nur hilfsweisen – Grundlage ihrer Datenverarbeitung im Auswahlprozess gemacht. Sie habe dies im Auswahlvermerk niedergelegt, ohne den Kläger über diese Datenkategorie zu informieren. Damit sei der Kläger zum bloßen Objekt der Datenverarbeitung geworden. Er habe einen erheblichen Kontrollverlust mit negativen Auswirkungen auf die Auswahlentscheidung erlitten. Diese sei objektiv im Ergebnis richtig, weil der Kläger ungeeignet gewesen sei. Dies ändere aber nichts daran, dass er im Auswahlprozess bloßes Objekt der Datenverarbeitung gewesen sei. Dies beeinträchtige den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es handele sich außerdem um eine erheblich negative Tatsache, nämlich eine strafrechtliche Verurteilung. Es liege ein erheblicher Kontrollverlust aufseiten des Klägers vor.
Relevanz für die Praxis
Dabei hielt das LAG Düsseldorf weitere wichtige Argumente fest:
- Es besteht aufgrund der Art der Informationsbeschaffung seitens der Beklagten mittels Internetrecherche und Wikipedia über seine Verurteilung kein Beweisverwertungsverbot betreffend die Verurteilung durch das Landgericht München I, weil die Internetrecherche über den Kläger als solche rechtmäßig war. Der Verstoß gegen die Informationspflicht aus Art. 14 Abs. 1 lit. d DSGVO führt zu keinem Beweisverwertungsverbot.Kein Beweis- verwertungsverbot bzgl. Internetrecherche
- Das Merkmal der Erforderlichkeit ist gewahrt. Die Google-Recherche nach dem Namen des Klägers im Internet war gestattet. Sie war erforderlich. Die Zweckbindung des Einstellungsverfahrens in den öffentlichen Dienst ergibt sich aus Art. 33 Abs. 2 GG. Es ist notwendige Aufgabe des öffentlichen ArbG, die Eignung des Bewerbers festzustellen und zu überprüfen. Ob dies dazu berechtigt, anlasslos einen Bewerber zu „googeln“, bedarf keiner Entscheidung. Hier kam einem Mitglied der Auswahlkommission der Name des Klägers bekannt vor. Dadurch war aufgefallen, dass er nicht nur im Einzelfall Entschädigungsverlangen nach dem AGG geltend gemacht hatte. Wenn eine Stelle im Justiziariat bzw. Personaldezernent zu besetzen ist, zu deren Aufgabe auch die Mitwirkung in der AGG-Beschwerdestelle gehört, war es bei diesen Anhaltspunkten im Rahmen der Eignungsfeststellung erforderlich, dem nachzugehen. Die Recherche erfolgte aus einem konkreten Anlass zweckbezogen auf das Auswahlverfahren.Eignungsfeststellung durch Google- Recherche war gestattet ...
- Die Beklagte war nicht dazu verpflichtet, diesen Sachverhalt durch Fragen beim Kläger aufzuklären. Insoweit liegt der Sachverhalt anders, als wenn ohne eine vorherige solche Sachverhaltsermittlung eine Detektei beauftragt wird (LAG Düsseldorf 26.4.23, 12 Sa 18/23).
- Es geht hier zudem um öffentlich zugängliche Informationen. Richtig ist, dass der Kläger nicht etwa eine eigene Webseite betreibt. Es handelt sich um einen Wikipedia-Eintrag mit seinem Namen, den die Beklagte gefunden hat und der umfängliche Informationen über den Kläger enthält. Gibt es Unstimmigkeiten in der Bewerbung, welche dem einstellenden ArbG auffallen, wie hier der bekannte Name, darf er dazu googeln.… durfte aber nicht im Geheimen ablaufen
AUSGABE: AA 8/2024, S. 130 · ID: 50098769