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Provisionsrückforderungen – Teil 2Sich mittels aktueller Rechtsprechung erfolgreich gegen Provisionsrückforderungen wehren
| Die Rückbelastung von Provisionen ist ein „Dauerbrenner“ des Versicherungsvertriebsrechts. Immer wieder werden auch Gerichte damit befasst, vor allem, wenn das Vertragsverhältnis mit dem Vertreter beendet wurde und die andauernde Stornohaftung zu einem Minussaldo auf dem fortgeschriebenen Vertreterkonto führt. In einer Beitragsserie erfahren Sie, wie Sie sich mit Hilfe der aktuellen Rechtsprechung erfolgreich gegen Provisionsrückforderungen wehren. In Teil 2 dreht sich alles um die Anforderungen an die Nachbearbeitung sowie die Stornogefahrmitteilungen. |
Anforderungen an die Nachbearbeitung durch Versicherer
Entschließt sich der Versicherer, eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr zu ergreifen, müssen diese nach Art und Umfang ausreichend sein. Erforderlich ist, dass der Versicherer tätig wird und den VN zur Erfüllung seiner Vertragspflicht ernsthaft und nachdrücklich anhält. Welcher konkreten Maßnahmen es hierfür bedarf, kann nicht abstrakt entschieden werden, sondern bedarf stets einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls.
Einfaches Mahnschreiben genügt nicht
Die bloße Übersendung eines Mahnschreibens an den VN zur Stornoabwehr reicht nicht aus. Das würde der Treuepflicht des Versicherers nicht gerecht, Rücksicht auf das Provisionsinteresse des Versicherungsvertreters zu nehmen (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310, NJW 2011, 1590; OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az. 8 U 158/08, Abruf-Nr. 140137; OLG München, Beschluss vom 13.05.2020, Az. 7 U 5484/19, Abruf-Nr. 216062; OLG München, Urteil vom 27.03.2019, Az. 7 U 618/18, Abruf-Nr. 208102; OLG München, Urteil vom 07.06.2017, Az. 7 U 1889/16, Abruf-Nr. 235116; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015, Az. I-16 U 227/14, Abruf-Nr. 235113; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109).
Wichtig | Ein Hinweis auf die Vorteile der (Lebens-)Versicherung in einem solchen Schreiben ist jedenfalls kein nachdrückliches Anhalten des VN, seine Vertragspflicht zu erfüllen (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310; OLG München, Beschluss vom 13.05.2020, Az. 7 U 5484/19, Abruf-Nr. 216062 und Urteil vom 07.06.2017, Az. 7 U 1889/16, Abruf-Nr. 235116).
Drei Mahnschreiben können ausreichen
Ausreichend können allerdings nach Einstellung der Prämienzahlung drei aufeinander folgende automatisierte Mahnschreiben sein, in denen
- der VN auf die Folgen der Einstellung der Prämienzahlung hingewiesen wird,
- zur Wiederaufnahme der Zahlungen aufgefordert wird und
- dem VN in Zahlungsschwierigkeiten ein Gesprächsangebot unterbreitet und die Bereitschaft zu einem Entgegenkommen bekundet wird (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011, Az. 14 U 86/10, Abruf-Nr. 140136; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644).
Wichtig | Höchstrichterlich noch ungeklärt ist, ob der Versicherer nach den Gründen für die Nichtzahlung forschen und gemeinsam mit dem Prämienschuldner nach einer Lösung suchen muss und ob dafür regelmäßig eine persönliche Rücksprache mit dem Schuldner erforderlich ist:
- Der BGH hat die Frage offen gelassen (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310).
- Bejaht haben die Frage: OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011, Az. 14 U 86/10, Abruf-Nr. 140136; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015, Az. I-16 U 227/14, Abruf-Nr. 235113; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109; wohl auch OLG München, Beschluss vom 13.05.2020, Az. 7 U 5484/19, Abruf-Nr. 216062.
Wichtig | Das Maß der Nachbearbeitungspflicht hat sich an dem Aufwand zu orientieren, den der Versicherungsvertreter im Provisionserhaltungsinteresse betreiben würde, wenn ihm die Nachbearbeitung überlassen würde (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az. 8 U 158/08, Abruf-Nr. 140137; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011, Az. 14 U 86/10, Abruf-Nr. 140136; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124). Der Versicherungsvertreter würde es dabei in der Regel nicht bei standardisierten Mahnschreiben belassen. Er würde persönlich oder telefonisch Kontakt mit dem VN aufnehmen, ihn nachdrücklich auf die auch für ihn negativen Folgen einer Vertragsbeendigung hinweisen und auf eine Vertragsfortsetzung hinwirken (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124; OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az. 8 U 158/08, Abruf-Nr. 140137 ausdrücklich auch für „Kleinstornos“).
Ein bis zwei (Mahn-)Schreiben können ausreichen
Demgegenüber meint das OLG Brandenburg (Urteil vom 10.01.2013, Az. 5 U 54/11, Abruf-Nr. 140138), im Einzelfall könnten zwei Mahnschreiben oder ein einfaches Schreiben des Versicherers genügen. Das soll jedenfalls dann ausreichen, wenn der Betrag der Provisionsrückbelastung im Hinblick auf den stornogefährdeten Einzelvertrag gering ist.
Nachbearbeitung durch Bestandsnachfolger
Der Versicherer kann auch den Nachfolger des ausgeschiedenen Versicherungsvertreters mit der Nachbearbeitung beauftragen. Jedoch reicht die bloße Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Bestandsnachfolger nicht. Denn das Interesse des Bestandsnachfolgers ist in erster Linie darauf gerichtet, Neuverträge abzuschließen, und nicht, dem Provisionsinteresse seines Vorgängers zu dienen. Daher muss der Versicherer im Fall der Provisionsrückforderung vortragen, wie der Nachfolger konkret nachgearbeitet hat oder warum die Nacharbeit des Nachfolgers aussichtslos gewesen ist (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az. VII ZR 130/12, Abruf-Nr. 140135; OLG München, Urteil vom 27.03.2019, Az. 7 U 618/18, Abruf-Nr. 208102).
Rechtzeitige Nachbearbeitung
Eigene Bestandserhaltungsmaßnahmen des Versicherers sind rechtzeitig zu ergreifen. Denn die Aussichten auf Rettung eines Vertrags sinken je mehr Zeit verstreicht. Insoweit sollen nach Ansicht des OLG Düsseldorf die Maßstäbe für die Rechtzeitigkeit einer Stornogefahrmitteilung (dazu unten mehr) entsprechend gelten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109).
Anforderungen an Stornogefahrmitteilungen
Entschließt sich der Versicherer zur Stornogefahrmitteilung an den Versicherungsvertreter, so ist er seiner Pflicht zur Stornogefahrabwehr unter folgenden Voraussetzungen in ausreichendem Maße nachgekommen (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az. VII ZR 130/12, Abruf-Nr. 140135; BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015, Az. I-16 U 227/14, Abruf-Nr. 235113; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109):
- Er sendet dem Versicherungsvertreter eine Stornogefahrmitteilung, die diesen in die Lage versetzt, seinerseits Stornogefahrabwehrmaßnahmen zu ergreifen,
- und zwar so rechtzeitig, dass bei normalem Verlauf mit deren rechtzeitigem Eingang (siehe unten) beim Vertreter zu rechnen ist.
Wichtig | Übersendet der Versicherer Stornogefahrmitteilungen durch die Post, so darf er grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Postsendung ordnungsgemäß befördert wird und, wenn sie im Bundesgebiet werktags aufgegeben wird, am folgenden Werktag ausgeliefert wird. Geht eine Stornogefahrmitteilung gleichwohl auf dem Postweg verloren, so ist dies – und damit ebenso das hierauf zurückzuführende Unterbleiben von Nachbearbeitungsmaßnahmen des Versicherungsvertreters – ein Umstand, den der Versicherer nicht im Sinne des § 87a Abs. 3 S. 2 HGB zu vertreten hat. Die Konsequenz daraus ist: Der Versicherer muss nur nachweisen, dass er die Stornogefahrmitteilung rechtzeitig versendet hat, nicht aber den Zugang der Stornogefahrmitteilung beim Vertreter (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310, NJW 2011, 1590; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.03.2022, Az. 21 Sa 965/19, Abruf-Nr. 229739; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124; OLG Köln, Beschluss vom 13.11.2014, Az. 19 U 99/14, Abruf-Nr. 189781).
Inhalt der Stornogefahrmitteilung
Der Vertreter muss diejenigen Informationen erhalten, die er aus objektiver Sicht für eine sachgerechte und erfolgreiche Nachbearbeitung benötigt.
- Für ausreichend erachtet wurden etwa Angaben zum vollständigen Namen und zur Anschrift des Kunden, zum Vertrag, zum Grund für die Stornogefahr und zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Stornogefahr sowie zur Höhe der Abschlussprovision (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.03.2022, Az. 21 Sa 965/19, Abruf-Nr. 229739).Welche Informationen die Rechtsprechung als ausreichend erachtet ...
- Die Kopie eines Kündigungs- oder Mahnschreibens kann im Einzelfall ebenfalls ausreichen (OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644; KG Berlin, Beschluss vom 04.06.2021, Az. 2 U 5/18, Abruf-Nr. 224131). Reichen kann auch die Einstellung von Besuchsaufträgen in ein Vermittler-Portal (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.02.2013, Az. I-16 U 64/12, Abruf-Nr. 235118).
- Die bloße Mitteilung über nicht gezahlte Prämien reicht als Inhalt einer Stornogefahrmitteilung dagegen nicht.... und welche nicht
Wichtig | Stornogefahrmitteilungen müssen nicht unterschrieben sein (OLG Brandenburg, Urteil vom 10.01.2013, Az. 5 U 54/11, Abruf-Nr. 140138).
Rechtzeitiger Zugang der Stornogefahrmitteilung
Der Versicherer muss die Mitteilung so rechtzeitig versenden, dass der Vertreter sich sinnvoll und mit Aussicht auf Erfolg um eine Rettung des Vertrags bemühen kann. Der Versicherer muss den Vertreter unverzüglich auf die Gefahr der Stornierung des betroffenen Versicherungsvertrags hinweisen. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB).
Der Versicherer muss sich daher so bald, wie es ihm nach den Umständen möglich und zumutbar ist, gegenüber dem Versicherungsvertreter erklären. Die Anforderungen an den Versicherer dürfen dabei nicht überspannt werden. Ergibt sich nach einem Klärungsversuch des Versicherers eine Stornogefahr – was regelmäßig anzunehmen sein dürfte, wenn eine Reaktion auf eine standardisierte Anfrage in angemessener Frist nicht erfolgt – darf der Versicherer mit der entsprechenden Mitteilung an den Vertreter in der Regel nicht mehr als zwei Wochen abwarten (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az. VII ZR 130/12, Abruf-Nr. 140135; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109; anders wohl OLG Köln, Beschluss vom 13.11.2014, Az. 19 U 99/14, Abruf-Nr. 189781: regelmäßige monatliche Stornogefahrmitteilungen sollen genügen, allerdings gab es daneben auch wöchentliche Inkasso-Nachbearbeitungslisten).
Wichtig | Die Zusendung der Stornogefahrmitteilung an eine Führungskraft des Vertreters genügt nicht. Daraus kann nicht auf den Zugang beim Vertreter selbst geschlossen werden (OLG Brandenburg, Urteil vom 10.01.2013, Az. 5 U 54/11, Abruf-Nr. 140138).
Gute Chancenzur Gegenwehrbei Provisionsrück-forderungen Fazit | Oft sind es Details, die darüber entscheiden, ob der Versicherer ausreichend nachgearbeitet oder dem Vertreter die Stornogefahr wirksam mitgeteilt hat. Dieser Umstand liefert Ihnen als Vertreter viele gute Argumente, mit denen Sie sich – mit Unterstützung eines auf das Handelsvertreterrecht spezialisierten Rechtsanwalts – gegen Provisionsrückforderungen wehren können. |
- Teil 1 zu den Provisionsrückforderungen in Ausgabe 7/2023, Seite 7 → Abruf-Nr. 49437050
AUSGABE: VVP 8/2023, S. 5 · ID: 49483235