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Wettbewerbsrecht/SchadenersatzAuskunftsanspruch des Unternehmens bei begründetem Verdacht einer Vertragspflichtverletzung
| Wann kann ein Betrieb Auskunftsansprüche gegen einen für ihn tätigen Handelsvertreter geltend machen, um Schadenersatzansprüche vorzubereiten, weil der Verdacht einer Vertragspflichtverletzung besteht? Diese Frage hat das LAG Berlin-Brandenburg beantwortet und dabei auch datenschutzrechtliche Aspekte geklärt. Das sind allesamt Gründe, Ihnen das Urteil und dessen Bedeutung für die Praxis darzustellen. |
Betreuerwechsel im größeren Umfang kurz vor Ausscheiden
Ein Finanzdienstleister und selbstständiger Handelsvertreter war bei einer Vermittlungsgesellschaft tätig. Letztere übt die Vermittlungstätigkeit selbst als Handelsvertreterin nach §§ 84 ff. HGB aus. Hierzu bedient sie sich einer eigenen Außendienstorganisation. Dieser gehörte auch der Finanzdienstleister bis zu seinem kündigungsbedingten Ausscheiden am 31.12.2019 an.
Von April 2019 bis Dezember 2019 zeigten Partnerunternehmen der Vermittlungsgesellschaft über 300 Fälle eines Betreuerwechsels der bisher von dem Finanzdienstleister betreuten Kunden an. Im ersten halben Jahr nach Ausscheiden des Finanzdienstleisters waren es 46 Betreuerwechsel. Aus datenschutzrechtlichen Gründen informieren die Partnerunternehmen die Vermittlungsgesellschaft nur über den Wechselwunsch der betreuten Kunden, nicht aber darüber, von wem die Kunden künftig betreut werden würden.
Wegen der enorm hohen Anzahl an Betreuerwechseln im letzten halben Jahr vor dem Ausscheiden des Finanzdienstleisters hegte die Vermittlungsgesellschaft den Verdacht, dass sich der Finanzdienstleister noch während des laufenden Vertragsverhältnisses ihr gegenüber wettbewerbswidrig verhalten, indem er Kunden zur Vertragsbeendigung mit der Vermittlungsgesellschaft veranlasst und eigenständig weiterbetreut habe. Die Vermittlungsgesellschaft verlangte daher von ihm umfangreich Auskunft.
LAG bejaht Auskunftsanspruch der Vermittlungsgesellschaft
Das LAG sprach der Vermittlungsgesellschaft die Auskunftsansprüche dem Grunde nach zu, beschränkte jedoch den von der Vermittlungsgesellschaft verlangten Umfang des Auskunftsanspruchs (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.12.2022, Az. 21 Sa 390/22, Abruf-Nr. 233311).
Auskunftsanspruch zur Vorbereitung eines Schadenersatzanspruchs
Nach § 86 Abs. 2 HGB hat sich der Handelsvertreter um den Abschluss von Geschäften zu bemühen. Er muss hierbei das Interesse des Unternehmens wahren und alles unterlassen, was geeignet wäre, die Interessen seines Geschäftsherrn (hier das Unternehmen) zu schädigen. Hieraus folgt auch die Pflicht, sich desjenigen Wettbewerbs zu enthalten, der geeignet ist, Unternehmerinteressen zu beeinträchtigen.
Bestehe der Verdacht, so das LAG, dass der Handelsvertreter gegen das Gebot der Interessenwahrnehmung verstoßen habe, können sich daraus Auskunftsansprüche des Unternehmens nach § 241 Abs. 2 BGB ergeben. Nach ständiger Rechtsprechung gebiete es der Treu-und-Glauben-Grundsatz des § 242 BGB, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen sei und wenn der Verpflichtete in der Lage sei, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft erteilen zu können.
Nach ständiger Rechtsprechung sei es zudem unstreitig, dass sich ein Handelsvertreter während der Laufzeit des Handelsvertretervertrags regelmäßig schadenersatzpflichtig mache, wenn er ein Wettbewerbsverbot oder sonstige Pflichten zur Interessenwahrung verletze. Für diesen Schadenersatzanspruch sei der Unternehmer der Höhe nach darlegungs- und beweisbelastet.
Ein daraus abgeleiteter und selbstständiger Anspruch auf Auskunft, um einen vertraglichen Schadenersatzanspruch vorzubereiten, setze voraus, dass
- zumindest der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung bestehe und
- ein daraus resultierender Schaden des Anspruchstellers wahrscheinlich sei.
Diese Voraussetzungen erachtete das LAG hier für gegeben. Aus den zahlreichen Betreuerwechseln von Kunden, die im Verantwortungsbereich des Finanzdienstleisters standen und bereits im Jahr 2019 einen Betreuerwechsel angezeigt haben, ergebe sich der Verdacht, so das LAG, dass der Finanzdienstleister seine Konkurrenztätigkeit bereits im Jahre 2019 und damit noch während des Bestehens des Vertragsverhältnisses mit der Vermittlungsgesellschaft aufgenommen habe. Die angezeigten Betreuerwechsel mit einem Umfang von 300 Kunden seien in dieser Höhe untypisch und sprächen für vertragswidrige Aktivitäten des Finanzdienstleisters.
Wichtig | Das LAG stützte den dem Grunde nach zugesprochenen Auskunftsanspruch der Vermittlungsgesellschaft im Rahmen seiner Urteilsbegründung auf den allgemeinen Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB (Treu und Glauben). Es ließ aber offen, ob sich der Auskunftsanspruch ggf. bereits aus der Berichtspflicht nach § 86 Abs. 2 HGB oder aus § 666 BGB ergibt.
Umfang des Auskunftsanspruchs der Vermittlungsgesellschaft
Den Umfang des Auskunftsanspruchs gemäß § 242 BGB begrenzte das LAG jedoch auf folgende Punkte (verkürzt dargestellt):
- Welche Finanzdienstleistungsprodukte hat der Finanzdienstleister unter Umgehung der Vermittlungsgesellschaft vermittelt?... Dinge Rechen- schaft ablegen
- Welche Kunden hat der Finanzdienstleister zur Kündigung, Beitragsfreistellung etc. der Verträge mit der Vermittlungsgesellschaft veranlasst?
- Welche Kunden hat der Finanzdienstleister zum Betreuungsende durch die Vermittlungsgesellschaft veranlasst bzw. hierzu Hilfe geleistet hat, und zwar unter Angabe des vollständigen Namens des Kunden?
Wichtig | Der Umfang der zu erteilenden Auskunft ergibt sich, so das LAG, aus der Funktion des Auskunftsanspruchs. Demnach sei Auskunft nur insoweit zu erteilen, als dies zur Prüfung und (geschätzten) Bezifferung des Schadenersatzanspruchs erforderlich sei.
Angaben zu den Kunden zur Bezifferung des Schadens nötig
Um den Verdacht auf Vertragspflichtverletzung zu untermauern, legte die Vermittlungsgesellschaft vor Gericht die Liste der 300 Kunden vor, die zwischen April und September 2019 ihre Verträge mit der Vermittlungsgesellschaft gekündigt, beitragsfrei gestellt, widerrufen oder anderweitig aufgelöst hatten.
Das LAG erstickte jegliche datenschutzrechtlichen Bedenken im Keim. Es erklärte, dass die Vermittlungsgesellschaft die Liste in das Verfahren einführen und das Gericht diese zur Entscheidungsfindung auch verwenden dürfe, obwohl die Liste Kundennamen enthalte. Auch das Recht der Kunden auf informationelle Selbstbestimmung, welches Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sei, stehe dem Auskunftsanspruch der Vermittlungsgesellschaft nicht entgegen Die Interessenabwägung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Kunden einerseits sowie die Wahrnehmung berechtigter rechtlicher Interessen von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Vermittlungsgesellschaft andererseits ergebe, dass die Interessen der Vermittlungsgesellschaft überwiegen. Gegenständlich ginge es nämlich, so das LAG, lediglich um die Information, dass die Kunden zunächst eine Versicherung hatten und im Rahmen dieser sodann den Betreuer wechselten. Diese Umstände seien jedoch keine „sehr persönlichen“ Informationen, so das LAG. Zudem sei die Gefahr solcher Auseinandersetzungen wie der vorliegenden beim Abschluss von Geschäften über einen Vermittler geradezu angelegt und damit auch Teil der Risikosphäre der Kunden.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
Das LAG stellt klar, dass bei einem begründeten Verdacht einer Vertragspflichtverletzung, aus der wahrscheinlich ein Schaden resultiert, ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Handels-/Untervertreter dem Grunde nach besteht. Im Hinblick auf die Reichweite des Auskunftsanspruchs kommt es auf den Einzelfall an, welche Auskünfte tatsächlich notwendig sind, um den Schaden beziffern bzw. schätzen zu können.
Erfreulich: Das LAG hat keine Datenschutzbedenken, die Liste mit Kundennamen ins Verfahren einzuführen. Denn es setzt sich mit der DSGVO und dem BDSG und den Rechtfertigungsgründen auseinander und wägt klar ab.
AUSGABE: VVP 4/2023, S. 9 · ID: 49198733