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Maklerrecht/Wettbewerbsrecht/KartellrechtVersicherer verweigert Auskunft über Prämienhöhe aus kartellrechtlichen Gründen – zu Recht?
| Versicherer verweigern Versicherungsmaklern gegenüber oft bestimmte Auskünfte zu Versicherungsverträgen ihrer Versicherungsnehmer, etwa über die Prämienhöhe. Zur Begründung führen sie an, dass sie diese Auskünfte aus kartellrechtlichen Gründen nicht geben dürften. Dazu hat VVP folgende Frage eines Maklers erreicht. |
Inhaltsverzeichnis
- Wettbewerb unter VU schafft kartellrechtliche Sensibilität
- Kartellrecht verbietet Austausch über Prämienhöhe
- Ausgangspunkt für kartellrechtliches Verbot: Europarecht
- Besonders sensibel: Vorversichereranfragen
- VU legen Vorgaben (str)eng aus – auch bzgl. Vermittler
- Makler hat keinen Anspruch auf telefonische Auskunft
- Makler hat Anspruch auf Abschriften/Ersatzurkunde
- Folgerungen für Ihre Maklertätigkeit
Frage: Einer meiner Kunden hat mich gebeten, einen Gebäudeversicherungsvertrag zu prüfen. Anstatt mir die alten Versicherungsunterlagen geben zu lassen, habe ich von ihm eine Vollmacht erhalten und diese an den X-Versicherer gesendet. Nachdem die Bearbeitung lange gedauert hat, fragte ich telefonisch die relevanten Daten wie Versicherungssumme, Vorschäden, bisheriger Beitrag ab. Bei der Frage nach dem bisherigen Beitrag hat man mir gesagt, man dürfe mir diesen nicht mitteilen, weil dies kartellrechtlich als Preisabsprache gelte. Beruft sich der Versicherer hier zu Recht auf das Kartellrecht?
Antwort: Die Frage nach der Prämie ist in der Tat kartellrechtlich bedenklich. An die Informationen können Sie aber trotzdem kommen.
Wettbewerb unter VU schafft kartellrechtliche Sensibilität
Versicherer stehen im Wettbewerb zueinander. Sie sind Konkurrenten, die im Rahmen des Wettbewerbsrechts agieren. Zwangsläufig müssen sie damit auch immer das Kartellrecht im Blick haben. Das gilt besonders für die Fälle, in denen es um die Weitergabe konkreter Informationen aus Versicherungsverträgen ihrer Versicherungsnehmer geht, von der die Konkurrenz bei Kenntnis einen Wettbewerbsvorteil erlangen könnte, der im Einzelfall wettbewerbswidrig und kartellrechtlich unzulässig wäre. Daher sind Versicherer sensibilisiert und achten besonders darauf, welche Angaben sie wem weitergeben. Dabei orientieren sie sich an Folgendem:
Kartellrecht verbietet Austausch über Prämienhöhe
Nach einem Leitfaden des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), dessen Mitglieder Versicherungsunternehmen in der Regel sind, sind bestimmte Absprachen und der Austausch unzulässig, die sich auf ihre Versicherungsprodukte oder ihr vertriebliches Verhalten beziehen. Wie etwa solche zu/über
- Prämienhöhen, Prämienbestandteile (Kostenfaktoren), Provisionshöhen, Rabatte und Zuschläge;
- die Zusammenarbeit oder Nichtzusammenarbeit mit Dritten (z. B. Maklern, Dienstleistern);
- individuelles Zeichnungs- und Regulierungsverhalten, insbesondere Versicherbarkeit bestimmter Risiken, Vorgehen gegenüber Versicherungsnehmern;
- individuelle Versicherungsbedingungen, sofern nicht bereits öffentlich bekannt;Leitfaden bietet ...
- individuelles strategische Vorhaben und Überlegungen, z. B. Art und Zeitpunkt von Produkteinführungen, Änderung an Konditionen, sofern nicht bereits öffentlich bekannt.
Der Leitfaden soll allen Mitarbeitern des GDV, aber auch den in den Gremien des Verbands vertretenen Mitarbeitern der Mitgliedsunternehmen eine Hilfestellung bei der Beachtung des Kartellrechts geben. Er soll sicherstellen, dass der Verband weder selbst kartellrechtswidrig handelt noch sich an kartellrechtswidrigem Verhalten Dritter beteiligt bzw. ein solches fördert (Quelle: Leitfaden Kartellrecht und Verbandsarbeit, 4. Aufl., Berlin, August 2018, D. II. 1.1. b), Seite 18).
Ausgangspunkt für kartellrechtliches Verbot: Europarecht
Als Rechtsgrundlage hierfür dient Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese europarechtliche Vorschrift als Ausgangspunkt für die nationalen Regelungen und Handhabungen verbietet Unternehmen im Binnenmarkt, wie z. B. Versicherungsunternehmen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die innerhalb des Binnenmarkts den Wettbewerb verhindern, einschränken oder verfälschen. Damit begründet die Vorschrift die wettbewerbsrechtlich zulässigen Vorgaben des Informationsaustauschs zwischen den Marktteilnehmern. Das tangiert unter anderem die Festsetzung der An- oder Verkaufspreise (worunter die Prämienhöhen eines Versicherungsprodukts zu subsumieren wären) oder sonstige Geschäftsbedingungen (also etwa Versicherungsbedingungen).
Besonders sensibel: Vorversichereranfragen
Besonders sensibilisiert sind Versicherungsunternehmen bei Auskunftsersuchen im Bereich von Vorversichereranfragen. Hier handelt es sich um einen Informationsaustausch zwischen Versicherern und damit zwischen Wettbewerbern. Vorversichereranfragen finden statt, wenn ein Versicherungsnehmer oder ein von ihm beauftragter Vermittler einen Wechsel zu einem anderen Versicherer anstrebt. Die im Rahmen der Anfrage erhaltenen Informationen, die für die Kalkulation der künftigen Prämie relevant werden, legt der neue Versicherer seinem Vertragsangebot zugrunde.
- Vorversichereranfragen sind kartellrechtlich dann unbedenklich, wenn keine wettbewerbsrelevanten Informationen, sondern reine Risikodaten ausgetauscht werden, die nicht zur Koordination des Wettbewerbsverhaltens der beteiligten Versicherungsunternehmen herangezogen werden.
- Kartellrechtlich bedenklich sind Vorversichereranfragen hingegen, wenn Informationen ausgetauscht werden, die normalerweise Geschäftsgeheimnisse sind und unter echten Konkurrenten nicht mitgeteilt werden.Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen sind bedenklich
Zu den Geschäftsgeheimnissen zählen etwa der angewandte Prämiensatz, der tatsächlich erhaltene Prämienbetrag und das Finanzergebnis (Renta) bzw. die Verlaufsübersicht des zu übernehmenden Vertrags. Konkrete Rechtsprechung gibt es hierzu zwar nicht, gleichwohl haben sich im Laufe der Zeit in der Versicherungsbranche folgende Einzelpunkte als anerkannt herauskristallisiert (vgl. Bunte/Stancke, Leitfaden Versicherungskartellrecht, 4. Aufl., Karlsruhe 2018, Ziffer 5.13; Riechert, Die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, Berlin 2019, § 11a, Rz. 21 ff.; Bürkle, Compliance in Versicherungsunternehmen, 3. Aufl., München 2020, § 13, Kap. E. VI.):
Kartellrechtlich zulässige Fragen
Mit Blick auf Geschäftsgeheimnisse dürfen Vorversicherer gefragt werden nach
- Versicherungssumme,
- Schadenfreiheitsrabatt,
- Vorschäden/Rückstellungen,
- Schadenaufwand (nicht: Schadenquote),
- der für die Tarifierung verwendeten Einordnung in Risikoklassen,
- Anzahl, Art und Häufigkeit von Schäden,
- etwaige Besonderheiten mit Einfluss auf den Schadenaufwand (z. B. Selbstbeteiligung, Haftungslimits, Ein- und Ausschlüsse, Kooperationsbereitschaft bei der Schadenermittlung) und
- Versicherungszeiten.
Kartellrechtlich unzulässige Fragen
Nicht gefragt werden darf hingegen nach
- Prämien der Vergangenheit oder Zukunft,
- Konditionen der Vergangenheit oder Zukunft, sofern es sich nicht um Besonderheiten mit Einfluss auf den Schadenaufwand handelt,
- Verlaufsübersichten zu Kundenbeziehungen (Renta),
- Schadenquote und
- Erwägungen hinsichtlich der künftigen Behandlung des betreffenden Vertrags (z. B. Sanierung).
Der Versicherungsnehmer willigt in der Regel schriftlich ein, dass der Vorversicherer die im Rahmen der Vorversichereranfrage erbetenen zulässigen Daten an den Makler übermitteln darf. Aus Datenschutzgründen tut er dies regelmäßig in Form einer Einwilligungsklausel.
VU legen Vorgaben (str)eng aus – auch bzgl. Vermittler
Die vorstehende Übersicht zu Vorversichereranfragen bildet für die meisten Versicherer eine Art kartellrechtlicher Leitfaden. Sie integrieren diesen (wie im Internet recherchierbar ist) intern im Bereich Compliance.
So heißt es beispielsweise im Leitfaden eines Versicherers zu Vorversichereranfragen: „Informationen zur Prämie (bisherige oder zukünftige), zu Prämienbestandteilen, zur Schadenquote oder zu sonstigen Vertragsbedingungen dürfen weder angefragt noch entgegengenommen werden! Dies gilt auch dann, wenn Versicherungsnehmer, Vertreter oder Makler hiermit einverstanden sind.“
Makler hat keinen Anspruch auf telefonische Auskunft
Die Praxis zeigt jedoch: Bei der bloßen Informationsbeschaffung eines bevollmächtigten Maklers geht es nicht um eine unlautere Absprache oder einen unzulässigen Austausch mit Blick auf kartell- oder wettbewerbsrechtliche Verstöße. Als Sachwalter seines Kunden versucht er vielmehr, für ihn die beste Versicherungslösung zu finden. Dafür benötigt er in einigen Fällen (im Vorfeld) vertragsbezogene Auskünfte von einem Versicherer.
Der Versicherer wiederum hält sich strikt an die vorgenannten kartellrechtlichen Vorgaben. Im Bereich Vorversichereranfragen sitzt er mithin am längeren Hebel.
Das gilt insbesondere, wenn der Makler bestimmte Auskünfte per Telefon erfragen möchte. Doch ein Versicherer wäre auch ohne die kartellrechtlichen Vorgaben nicht verpflichtet, Auskünfte zu Versicherungsverträgen telefonisch zu geben. Denn bereits aus datenschutzrechtlichen Gründen wäre dies sehr problematisch. Etwa, wenn sich der anfragende Makler und der jeweilige Mitarbeiter des Versicherers nicht persönlich kennen, also für Letzteren keine Gewissheit besteht, dass der Anfragende auch tatsächlich der vom Kunden legitimierte Makler oder ein befugter Mitarbeiter des Maklers ist.
Makler hat Anspruch auf Abschriften/Ersatzurkunde
Doch ganz rechtlos ist der Makler nicht: Versicherer müssen dem bevollmächtigten Makler auf sein Verlangen Ersatzurkunden und Abschriften des Versicherungsvertrags zur Verfügung stellen.
Das ergibt sich aus dem Gesetz. Der Versicherungsnehmer kann jederzeit eine Ersatzurkunde des Versicherungsscheins sowie Abschriften der Erklärungen fordern, die er „mit Bezug auf den Vertrag“ abgegeben hat (§ 3 Abs. 3 und 4 VVG). Der Versicherungsnehmer kann auch einen Versicherungsmakler bevollmächtigen, die Unterlagen anzufordern. Hier gelten die allgemeinen Grundsätze des BGB über die Bevollmächtigung (§§ 164 ff. BGB).
In der Praxis läuft das so ab: Der Makler lässt sich in der Maklervollmacht vom Kunden bevollmächtigen, Erklärungen zu Versicherungsverträgen abzugeben und entgegenzunehmen. Die Vollmacht umfasst damit auch das Recht des Maklers, die in § 3 VVG genannten Unterlagen zu fordern. Der Versicherungsnehmer muss die Kosten der Ersatzurkunde sowie der Abschriften tragen. Auf Verlangen muss er die Kosten sogar vorschießen (§ 3 Abs. 5 VVG). Ersatzurkunden und Abschriften an den Makler steht dann nichts entgegen.
Folgerungen für Ihre Maklertätigkeit
Der Versicherer muss Ihnen keine telefonischen Auskünfte zu Versicherungsverträgen geben, insbesondere dann nicht, wenn es um eine neue Kunden-Makler-Beziehung geht und der Ansprechpartner auf Seiten des Versicherers Sie als neuen Makler des Kunden (noch) nicht persönlich kennt. Hier kann der Versicherer als Begründung das Datenschutzgesetz anführen. Verweigert der Versicherer im Rahmen der Anfrage die Auskunft über Prämienhöhen, kann er sich darüber hinaus auf das Kartellrecht berufen.
Anspruch auf Abschriften/Ersatzurkunde
Verweigern darf sich der Versicherer aber grundsätzlich nicht, wenn Sie sich im Rahmen Ihrer, dem Versicherer nachgewiesenen (Original-)Vollmacht (vgl. § 174 BGB) auf den Anspruch auf Abschriften/Ersatzurkunde aus § 3 VVG berufen.
Wichtig | Durch die Hintertür erhalten Sie somit über die Abschriften Auskunft über die Prämie, weil aus ihnen ja Vertragsinformationen hervorgehen, deren Bestandteil u. a. die Prämie ist.
Hemmung bei fristgebundenen Handlungen
Benötigen Sie die Abschriften vom Versicherer, um ihm gegenüber fristgebundene Handlungen vorzunehmen, z. B. Vertragsannahme, Kündigung oder Widerruf nach § 8 VVG, gilt:
- Der Lauf der Frist ist in der Zeit vom Verlangen der Abschriften bis zu deren Eingang gehemmt (§ 3 Abs. 4 S. 2 VVG).Lauf der Frist gehemmt ...
- Verzögert der Versicherer die Überlassung der geforderten Abschriften, geht das nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers.
Wichtig | Die Hemmung tritt aber nur ein, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer bzw. seinem bevollmächtigten (auch vormaligen) Makler die Abschriften nicht schon früher einmal ausgehändigt hat. Das bedeutet: Der Versicherungsnehmer bzw. Makler kann die Abschriften zwar jederzeit fordern. Das Verlangen, die Abschriften auszuhändigen, hat aber nur einmal die hemmende Wirkung. Das gilt selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer die Unterlagen verloren oder verlegt hat.
Folgen von Verzögerungen bei der Herausgabe von Vertragsabschriften
Die Folgen von Verzögerungen richten sich danach, ob die Unterlagen erstmalig angefordert wurden:
- Überlässt der Versicherer dem Versicherungsnehmer bzw. Ihnen die erstmalig angeforderten Abschriften nicht oder nur verspätet, muss er dem Versicherungsnehmer die Nachteile ausgleichen, die dieser dadurch erleidet.
- Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bzw. Ihnen oder dem vormaligen Makler die Abschriften auf Verlangen schon einmal zur Verfügung gestellt, ist es anders: Da entscheidet der jeweilige Einzelfall, ob dem Versicherer überhaupt eine Pflichtverletzung vorgehalten werden kann, die Schadenersatzansprüche begründet.
- Beitrag „Versicherer verweigert Makler Abschriften/Ersatzurkunde – was tun?“, Ausgabe 8/2021, Seite 9 → Abruf-Nr. 47485259
- Beitrag „Müssen Versicherer Maklern Vertragskopien zur Verfügung stellen?“, Ausgabe 12/2021, Seite 2 → Abruf-Nr. 47481356
AUSGABE: VVP 2/2022, S. 10 · ID: 47910883