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AnwaltshaftungBeim Anwaltsregress des Rechtsschutz-VR gilt der Anscheinsbeweis nicht

Abo-Inhalt18.11.20243144 Min. Lesedauer

| Wird dem Rechtsanwalt eine Falschberatung vorgeworfen, besteht grundsätzlich kein Anscheinbeweis dafür, dass sich der Mandant im Falle zutreffender Rechtsberatung gegen eine (weitere) Rechtsverfolgung entschieden hätte. |

1. Rechtsschutz-VR nimmt Anwalt in Regress

Diese Entscheidung traf der BGH in einem Regressverfahren gegen einen Rechtsanwalt (16‌.5‌.24‌, IX ZR ‌38‌/‌23‌, Abruf-Nr. 243917). Geklagt hatte der Rechtsschutz-VR des Mandanten. Er verlangt Ersatz der von ihm aufgrund der erteilten Deckungszusagen in den Ausgangsverfahren erstatteten Kosten der Rechtsverfolgung.

2. BGH hebt die Verurteilung auf

Der BGH hob die Verurteilung des Rechtsanwalts in der Vorinstanz auf. Das Berufungsgericht habe seine Entscheidung nicht auf die Annahme stützen dürfen, dass sich der VN im Falle zutreffender Rechtsberatung gegen eine (weitere) Rechtsverfolgung entschieden hätte. Nachfolgend zeigen wir Ihnen die Begründungskette des BGH auf. Er legt dabei auch dar, unter welchen Voraussetzungen von einem Anscheinsbeweis ausgegangen werden kann.

a) Beweislastumkehr oder Anscheinsbeweis?

Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Belehrung durch den rechtlichen Berater verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität. Diese muss der Anspruchsteller nach dem Maßstab des § 287 ZPO beweisen. Zugunsten des Anspruchstellers ist jedoch zu vermuten, der Mandant wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen hätten.

Greift die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ein, liegt hierin keine Beweislastumkehr, sondern ein Anscheinsbeweis. Dieser kann durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten im Falle pflichtgemäßer Beratung sprechen (BGH 10.5.12, IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rn. 36 m. w. N.; 15.5.14, IX ZR 267/12, WM 14, 1379, Rn. 2 ff; st. Rspr.).

b) Besonderheiten bei Vorliegen einer bestandsfesten Deckungszusage

Mit Urteil vom 16.9.21 (IX ZR 165/19, WM 23, 91, Rn. 37 ff.) hat der BGH Grundsätze zum Eingreifen des Anscheinsbeweises im Falle pflichtwidriger Beratung über die Erfolgsaussichten eines rechtlichen Vorgehens bei bestehendem Deckungsanspruch aus einer Rechtsschutzversicherung oder bereits vorliegender Deckungszusage entwickelt. In diesem Fall greift der Anscheinsbeweis nur ein, wenn die (weitere) Rechtsverfolgung des Mandanten objektiv aussichtslos war; ist das Kostenrisiko durch eine (versicherungs-)rechtlich einwandfrei herbeigeführte und daher bestandsfeste Deckungszusage weitestgehend ausgeschlossen, können schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen.

c) Voraussetzungen des Anscheinsbeweises liegen nicht vor

Der Anscheinsbeweis setzt voraus, dass ein Sachverhalt feststeht, auf dessen Grundlage die Schlussfolgerung gerechtfertigt ist, dass der Mandant bei zutreffender Beratung von einer Rechtsverfolgung abgesehen hätte. Ausgangspunkt ist die allgemeine Lebenserfahrung.

Dies kann angesichts der Interessen eines rechtsschutzversicherten Mandanten, mithilfe seiner Rechtsschutzversicherung von Kostenrisiken befreit zu werden, erst dann bejaht werden, wenn das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung in jeder Hinsicht unzweifelhaft ist. Es bestehen hohe Anforderungen, um eine Aussichtslosigkeit annehmen zu können. Die Rechtsverfolgung muss aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein (BGH 16.9.21, IX ZR 165/19, WM 23, 91, Rn. 40).

Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist. Regelmäßig ist dies der Fall, wenn eine einschlägige Entscheidung ergangen ist. Auch dann können aber im Schrifttum geäußerte Bedenken, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht auseinandergesetzt hat, Veranlassung zu der Annahme geben, die Rechtsprechung werde noch einmal überdacht. Die niemals auszuschließende Möglichkeit einer zugunsten des Mandanten ergehenden Fehlentscheidung vermag die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung indes nicht auszuschließen (BGH a. a. O.).

Geht es um die Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen, muss klar sein, welcher Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung im jeweils maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung zugrunde zu legen ist. Fehlt es an einer höchstrichterlichen Klärung, muss sich der Sachverhalt zudem derart unter Rechtsvorschriften subsumieren lassen, dass das Ergebnis einer Auslegung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zweifelhaft sein kann. Eine Rechtsverfolgung kann auch in tatsächlicher Hinsicht objektiv aussichtslos sein. Das kommt in Betracht, wenn der dem Mandanten ohne jeden Zweifel obliegenden Darlegungs- und Beweislast offenkundig nicht genügt werden kann.

AUSGABE: VK 12/2024, S. 213 · ID: 50204220

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