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AltersversorgungAnpassung von laufenden Betriebsrenten im aktuellen wirtschaftlichen Inflationsumfeld?

Abo-Inhalt05.03.2024382 Min. LesedauerVon Dr. Claudia Veh, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München

| Welche Möglichkeiten für die Anpassung laufender Betriebsrenten im aktuellen wirtschaftlichen Inflationsumfeld gibt es? Wann kann eine Anpassung unterbleiben? VK beleuchtet die Lösungsansätze für die Praxis. |

1. Gesetzliche Regelungen zur Anpassung laufender Leistungen

Das Betriebsrentengesetz enthält in § 16 Regelungen zur Anpassung laufender Leistungen der betrieblichen Altersversorgung (bAV).

a) Anpassungsverpflichtung – Grundregel in § 16 Abs. 1, 2 BetrAVG

Die Grundregel des § 16 Abs. 1, 2 BetrAVG sieht vor, dass der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung laufender Leistungen der bAV prüfen und hierüber entscheiden muss. Dabei sind die Belange der Versorgungsempfänger zu berücksichtigen, d. h. die Kaufkraftstabilität ihrer Rente, aber auch die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers.

Es ist keine Anpassung nötig, wenn

  • die Eigenkapitalrendite des Unternehmens niedriger ist als die Umlaufrendite öffentlicher Anleihen zuzüglich eines Risikozuschlags von zwei Prozent für operativ tätige Unternehmen oder
  • dafür in die Unternehmenssubstanz eingegriffen werden müsste bzw. Gewinne verwendet werden müssen, um einen Substanzverzehr durch Eigenkapitalverlust aus der Vergangenheit zu kompensieren. Ggf. ist auch nur eine Teilanpassung möglich, wenn nicht genügend verfügbare Mittel erwirtschaftet wurden, um einen vollen Kaufkraftausgleich zu gewährleisten.

Der Arbeitgeber muss die wirtschaftliche Lage darlegen und beweisen. Dafür wird regelmäßig auf betriebswirtschaftliche Prognosen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens zurückgegriffen. Basis für die Berechnung der Eigenkapitalverzinsung sind in der Regel die handelsrechtlichen Jahresabschlüsse der letzten drei Jahre vor dem Prüfungsstichtag. Die Anpassungsprüfung und -entscheidung gilt regelmäßig als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg des Verbraucherpreisindexes (VPI) bzw. alternativ der Anstieg der Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen im Unternehmen.

Als Vereinfachung für die Unternehmen ist es möglich, einen bestimmten Stichtag im Jahr zu wählen – häufig ist dies der 1.7. –, um alle in diesem Kalenderjahr zur Anpassung anstehenden Renten einer Anpassungsprüfung und -entscheidung zu unterziehen. Weiter ist der gesetzlichen Vorgabe auch Genüge getan, wenn man diese Prüfung und Entscheidung nicht jährlich, sondern nur alle drei Jahre durchführt, sofern bei der ersten Anpassungsprüfung der Prüfungszeitraum nicht länger als drei Jahre und sechs Monate beträgt.

b) Zu Recht unterlassene Anpassung (§ 16 Abs. 4 BetrAVG)

Kann eine Anpassung aufgrund der wirtschaftlichen Lage ausbleiben, muss diese bei Prüfungsterminen ab 1999 nicht nachgeholt werden, wenn sich die wirtschaftliche Lage wieder verbessert (vgl. § 16 Abs. 4 BetrAVG, § 30c Abs. 2 BetrAVG). Dies gilt allerdings nur, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich dargelegt hat, der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgemäßen Widerspruchs hingewiesen wurde.

Die Darstellung der wirtschaftlichen Lage im Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers muss so detailliert sein, dass der Versorgungsempfänger allein durch diese Unterrichtung in die Lage versetzt wird, die Entscheidung des Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Dabei muss der Arbeitgeber die sich aus den Bilanzen der letzten drei Jahre ergebenden Daten zum Eigenkapital und zur Berechnung der Eigenkapitalverzinsung für jedes zur Prognoseerstellung herangezogene Jahr angeben und ausführlich erläutern (BAG 11.10.11, 3 AZR 732/09, Abruf-Nr. 120610).

c) Escape-Klauseln (§ 16 Abs. 3 BetrAVG)

Abweichend von den obigen Regelungen gilt die Anpassungsprüfung und -entscheidung auch als erfüllt, wenn

  • bei Zusagen, die ab dem 1.1.99 erteilt wurden (§ 30c Abs. 1 BetrAVG), die Anpassung laufender Leistungen garantiert um mindestens ein Prozent pro Jahr erfolgt,
  • bei Direktversicherungen oder Pensionskassen die Überschüsse in der Leistungsphase leistungserhöhend verwendet werden oder
  • es sich um eine Beitragszusage mit Mindestleistung handelt (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG).

2. Volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen und Anpassung

Aufgrund der gesetzlichen Regelungen in § 16 BetrAVG kommt insbesondere der Entwicklung der Inflation eine hohe Bedeutung zu. Denn ein Großteil der Unternehmen hat bisher laufende Renten entsprechend der Entwicklung des VPI angepasst. Diese Form der Anpassung ist leicht zu ermitteln – das Statistische Bundesamt veröffentlicht den VPI monatlich.

a) Inflation und Anpassungsverpflichtung

Die monatlichen Inflationsraten sind seit der zweiten Jahreshälfte 2021 deutlich gestiegen. So ist die jährliche Inflationsrate, die als Durchschnitt der monatlichen Inflationsraten des Kalenderjahrs ermittelt wird, von 3,1 Prozent im Jahr 2021 auf 6,9 Prozent im Jahr 2022 geklettert (Quelle: Statistisches Bundesamt. [10.02.2023]. Inflationsrate in Deutschland von 1950 bis 2022 [Graph]. In Statista. Zugriff am 8.8.23).

Beispiel

Stand in einem Unternehmen z. B. zum 1.7.23 die dreijährige Anpassung laufender Leistungen an, beträgt auf Basis des VPI die Anpassung 16,22 Prozent ([VPI Juni 2023 116,8 : VPI Juni 2020 100,5] ./. 1] x 100).

Zum Vergleich: Hat im Unternehmen die dreijährige Anpassung zuletzt im Juli 2022 stattgefunden, betrug die Anpassung 9,91 Prozent (VPI Juni 2019 = 99,9; VPI Juni 2022 = 109,8). Die nächste Anpassungsprüfung und -entscheidung wäre im Juli 2025 zu treffen. Hat die dreijährige Anpassung zum 1.7.21 stattgefunden, hatte die Anpassung sogar nur 4,68 Prozent betragen (VPI Juni 2018: 98,3; VPI Juni 2021 = 102,9). Damit wird deutlich, dass die hohen Inflationsraten aktuell zu einem besonders hohen Anpassungsbedarf bei den laufenden Leistungen führen.

Als Alternativmaßstab für die Anpassungsprüfung und -entscheidung kommt die Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen im Unternehmen in Betracht. Die Entwicklung der Nettolöhne ist allerdings unternehmensindividuell zu ermitteln und grundsätzlich aufwendiger in der Umsetzung. So ist zu prüfen, wie man die Arbeitnehmer in Gruppen einteilt (z. B. tariflich und außertarifliche Mitarbeiter). Oft ist hier auch fraglich, ob insbesondere seit Langem laufende Rentner noch klar einer Gruppe zugeordnet werden können, insbesondere wenn es zwischenzeitlich Umstrukturierungen im Unternehmen gegeben hat. Auch ist fraglich, ob stets noch alle Daten aus der Historie vorliegen.

Das Unternehmen kann grundsätzlich zu jedem Stichtag wählen, ob es die Anpassung gemäß VPI oder gemäß Nettolohnentwicklung vornimmt. Bei beiden Methoden ist auf den Rentenbeginn abzustellen, wobei Zeiträume herauszurechnen sind, für die aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens keine Anpassung vorzunehmen war.

Praxistipp | Vor dem Hintergrund der Nettolohnentwicklung und Inflation sollten Unternehmen prüfen, ob für sie Anpassungen nach der Nettolohnmethode günstiger sind und sich auch der administrative Mehraufwand lohnt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nettolöhne der Arbeitnehmer in der Regel in den vergangenen drei Jahren nicht in vergleichbarer Höhe wie die Inflation gestiegen sind. Davor war das aber gerade in vielen Unternehmen andersherum.

b) Rezessive Tendenzen und Anpassungsverpflichtung

Viele Unternehmen haben in der aktuellen makro- und mikroökonomischen Situation mit sinkenden Umsätzen und Renditen zu kämpfen. Zudem ist nach etlichen Jahren mit sehr niedrigen, zum Teil sogar negativen Umlaufrenditen öffentlicher Anleihen zuletzt ein deutlicher Zinsanstieg festzustellen. So stieg die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen Deutschlands von Juni 2019 bis Juni 2023 von –0,27 Prozent auf +2,35 Prozent, wobei die Null-Linie erst im Februar 2022 durchbrochen wurde.

Praxistipp | Die steigenden Umlaufrenditen bedeuten, dass eine höhere Eigenkapitalverzinsung erforderlich ist, um in die Anpassungspflicht zu kommen. Denn für die Anpassung laufender bAV-Leistungen ist – wie oben erwähnt – eine Eigenkapitalverzinsung in Höhe der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen zzgl. eines Zuschlags von zwei Prozent nötig. Das ein oder andere Unternehmen kann diese Hürde nicht nehmen – und muss deswegen keine Anpassung vornehmen.

AUSGABE: VK 3/2024, S. 52 · ID: 49887755

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