Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Okt. 2024 abgeschlossen.
RegressVersicherer fordert über 33,18 Euro hinausgehende Desinfektionskosten zurück – was tun?
| So wirklich überraschend ist es nicht: Ein bisher nicht allzu regressauffälliger Versicherer bezieht sich auf die jüngste Desinfektionskostenentscheidung des BGH und fordert in älteren Fällen von Werkstätten Desinfektionskosten anteilig zurück. Damit ist ein neues Fass aufgemacht. Desinfektionskosten sind zwar kein Thema mehr, aber mancher Altfall wird jetzt erst abschließend erledigt. Und viele denkbare Rückforderungsansprüche sind noch nicht verjährt. UE erläutert, was gilt und wie zu reagieren ist. |
Forderungsschreiben des Versicherers
Das Forderungsschreiben des Versicherers liest sich so: „In Ihrer Rechnung wurden für Desinfektionsmaßnahmen netto 59,60 € / brutto 70,92 € berechnet. Zwischenzeitlich hat der BGH (VI ZR 348/21 vom 23.04.2024) entschieden, dass für die Desinfektion 2 Arbeitswerte = 29,80 € + 1 € Materialkosten = insgesamt 30,80 € netto / 36,65 € brutto ausreichend sind. Sie haben insgesamt 70,92 € berechnet. Somit liegt eine Überzahlung von 34,27 € vor, die wir hiermit von Ihnen zurückfordern.“
Zur Erinnerung: Kürzlich hatte der BGH einen Fall auf dem Tisch, in dem die Werkstatt 157,99 Euro berechnet hatte. Da hat der BGH gesagt: Das ist laienerkennbar überhöht. Dass das bereits im Gutachten vorhergesagt wurde, schützt den Geschädigten nicht, denn insoweit war auch das Gutachten laienerkennbar zweifelhaft.
Als der Fall beim BGH ankam, hatte zuvor das LG Hamburg als Berufungsgericht die 157,99 Euro bereits verworfen. Es hatte die berechtigte Höhe mit einem Betrag von 33,18 Euro geschätzt, wobei damals der reduzierte MwSt-Satz von 16 Prozent galt. Den hat der Versicherer in seinem Anspruchsschreiben bereits mit den heute wieder geltenden 19 Prozent umgerechnet.
Die Funktion des BGH als Revisionsgericht
Der BGH hat die gesetzliche Aufgabe zu prüfen, ob dem Berufungsgericht Fehler unterlaufen sind. Die Schätzung des Berufungsgerichts muss der BGH aufgrund seiner Stellung als reines Rechtsprüfungsgericht ohne Tatsachenaufklärungsfunktion weitgehend hinnehmen. Und das tut er auch. Mit keinem Wort hat er erklärt, dass der Betrag von 33,18 Euro die Obergrenze darstellt. Er hat nur gesagt, dass er diese Schätzung aus revisionsrechtlichen Gründen nicht beanstandet. Hätte das Gericht statt 33,18 Euro einen Betrag von 63,18 Euro geschätzt, hätte er auch das nicht beanstandet.
Die Darstellung des Versicherers, der BGH habe entschieden, dass der Betrag ausreiche, ist also sachlich nicht richtig. Der BGH hat nämlich entschieden, dass er nicht beanstandet, dass das LG Hamburg meint, der Betrag sei ausreichend. Das mag dem nicht juristisch ausgebildeten Leser nun wie Wortklauberei vorkommen. Das ist es aber nicht. Das ist die Beschreibung der Arbeitsweise des BGH im Revisionsrecht.
Wichtig | Die Berechnung „Rechnungsbetrag minus BGH-Betrag = Regressbetrag“ geht also nicht auf. Denn es handelt sich beim BGH-Betrag um eine Schätzung des LG Hamburg auf schadenrechtlicher Grundlage.
Was die BGH-Entscheidung gerade nicht aussagt
Was der Versicherer glatt übersieht oder was er wegbluffen möchte, ist: Bei der Rückforderung handelt es sich um seine Behauptung, der von der Werkstatt berechnete Betrag sei werkvertraglich überhöht. Aus der schadenrechtlichen Schätzung auf eine werkvertragliche Überhöhung zu schließen, ist also grundfalsch.
Werkvertragrecht geht nämlich anders: Die Grundlage für den Betrag, der werkvertraglich berechnet werden darf, bildet § 632 Abs. 2 BGB. Danach darf beim Werkvertrag entweder das Vereinbarte berechnet werden. Oder, wenn es keine Vereinbarung gibt, das Übliche. Wenn die Werkstatt also einen in der Region üblichen Betrag berechnet hat, dann kann der Kunde von der Werkstatt nichts zurückfordern. Die Rückforderung des Versicherers basiert auf der Abtretung des Werkstattkunden an den Versicherer, mit dem er seine – wenn sie denn bestehen – Rückforderungsansprüche an den Versicherer übertragen hat. Weil diese Abtretung die Grundlage ist, gilt: Was der Kunde nicht zurückfordern könnte, kann der Versicherer auch nicht fordern.
Recht früh nach Ausbruch der Pandemie hatte das Allianz Zentrum für Technik gemeinsam mit der IFL Interessengemeinschaft für Fahrzeugtechnik und Lackierung e.V. eine Studie erstellt und veröffentlicht, wonach die zweimalige sorgfältige Desinfektion des Fahrzeug etwa drei Arbeitswerte – also 15 Minuten – an Zeitaufwand erfordere. Hinzuzusetzen seien 7,50 Euro Sach- und Materialkosten. Diese Studie hat Maßstäbe gesetzt. Und so hat sich die Berechnung von drei Arbeitswerten plus die 7,50 Euro in Windeseile als Standard herausgebildet. Dass jeweils der Betrag unterschiedlich hoch ist, liegt in der Natur der unterschiedlichen Stundenverrechnungssätze. Ein Betrag in dieser Dimension dürfte leicht als der Üblichkeit entsprechend zu beweisen sein. Und der von der Werkstatt, die Empfängerin des Rückforderungsschreibens ist, berechnete Betrag sieht doch ganz danach aus. Wer jedoch deutlich mehr berechnet hat, wird die Üblichkeit nur schwer begründen können.
Praxistipp | Die Schadengutachter wissen, welche Werkstatt welchen Betrag berechnet hat. Die Werkstätten müssen sich da mal austauschen. Dann muss im Abwehrschreiben begründet werden, dass das die Messlatte ist und nicht etwa der Betrag aus der BGH-Entscheidung. |
- Textbaustein 616: Antwort auf Rückforderung anteiliger Desinfektionskosten (H)→ Abruf-Nr. 50172599
AUSGABE: UE 10/2024, S. 12 · ID: 50172595