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BilanzBilanzierungswahlrechte (Teil 6): Die Rücklage für Ersatzbeschaffung
| Der Totalgewinn ist von der Aufnahme bis zur Beendigung einer Tätigkeit immer identisch – unabhängig von der Art der Gewinnermittlung. Allerdings gibt es eine Vielzahl steuerlicher Wahlrechte, mit denen Sie aktiv und legal den Gewinn von einer Periode in eine andere verschieben und so Steuern sparen können. Teil 6 der Serie begutachtet die Rücklage für Ersatzbeschaffungen. Mit dieser lassen sich durch Schäden realisierte stille Reserven steuerneutral übertragen. |
Anwendungsbereich der Rücklage für Ersatzbeschaffung
Das in R 6.6 EStR verankerte Wahlrecht zur Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung („RfE“) wurde eingeführt, um die Gewinnverwirklichung durch Aufdeckung stiller Reserven in bestimmten Fällen einer Ersatz- beschaffung zu vermeiden. Gemeint sind Konstellationen, in denen die zwangsweise Aufdeckung stiller Reserven schuldlos erfolgt, weil sich das Ereignis Ihrem Wirkungsbereich entzieht (z. B. wenn ein Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt zerstört wird). Die dadurch realisierten stillen Reserven sollen mittels Rücklagenbildung auf ein neues Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden können. Die Folge: Es tritt ein zinsloser Steuerstundungseffekt ein.
Die Voraussetzungen für die Nutzung der RfE
Damit Sie stille Reserven mittels RfE steuerneutral übertragen können, müssen diverse Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Höhere Gewalt oder behördlicher Eingriff
Erste Voraussetzung ist, dass das Wirtschaftsgut des Anlage- oder Umlaufvermögens infolge höherer Gewalt oder eines behördlichen Eingriffs aus Ihrem (Sonder-)Betriebsvermögen ausscheidet. Typische Anwendungsfälle sind:
- Höhere Gewalt: Elementarereignisse wie Brand, Sturm, Blitzschlag, Überschwemmung, Erdbeben und andere unabwendbare Ereignisse wie Diebstahl, Brandstiftung, Erpressung, Sachbeschädigung oder Unfall. Nicht dazu zählen Material-, Konstruktions- und Bedienungsfehler.Elementarereignis führt zum Aus-scheiden des Wirtschaftsguts
- Behördlicher Eingriff: Das sind Maßnahmen zur Enteignung bzw. zur Vermeidung der Enteignung oder die Inanspruchnahme von betrieblichen Wirtschaftsgütern für Verteidigungszwecke.
Wichtig | Der normale Verkauf eines Wirtschaftsguts berechtigt nicht zur Bildung einer RfE. Für die Praxis bietet es sich aber an zu prüfen, ob eine Übertragung nach § 6b EStG möglich ist.
2. Ausscheiden muss „entschädigt“ worden sein
Zweite Voraussetzung ist, dass das Wirtschaftsgut gegen eine Entschädigung (in Geld oder Sachwert) ausscheidet. Das ist in der Praxis gegeben
- bei Versicherungsleistungen bei einem Ausscheiden infolge höherer Gewalt oder
- bei Verkaufserlösen zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs.
Übersteigt der so realisierte Ertrag den zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Wirtschaftsguts bilanzierten Buchwert, erzielen Sie einen Gewinn (= stille Reserven). Diesen Gewinn können Sie mittels RfE steuerneutral übertragen.
Wichtig | Erhalten Sie neben der Entschädigung weitere Zahlungen, z. B. für Folgeschäden, künftige Nachteile beim Wiederaufbau oder Ertragswertentschädigungen für die Beeinträchtigung des verbleibenden Betriebs, dann werden diese weiteren Zahlungen nicht von der RfE begünstigt. Denn die weiteren Zahlungen erfolgen nicht mehr für das ausgeschiedene Wirtschaftsgut.
3. Investition in ein Ersatzwirtschaftsgut
Die mittels RfE steuerneutral übertragbaren Gewinne müssen natürlich irgendwo hin. Deshalb ist es – drittens – erforderlich, dass Sie auch ein Ersatzwirtschaftsgut anschaffen oder herstellen. Ersatzwirtschaftsgüter sind solche, die der Art nach funktionsgleich mit dem ausgeschiedenen Wirtschaftsgut sind und auch funktionsgleich genutzt werden (BFH, Urteil vom 29.04.1999, Az. IV R 7/98).
Ist z. B. ein bisher eigenbetrieblich genutztes Lagergebäude durch einen Brand zerstört worden, und wird es wiederaufgebaut, aber an einen fremden Unternehmer vermietet, handelt es sich nicht um ein begünstigtes Ersatzwirtschaftsgut. Es fehlt an der „funktionsgleichen Nutzung“. Wird das Lager hingegen selbst genutzt, dann ist es begünstigt (funktionsgleiche Nutzung). Unerheblich ist dabei der Standort des Ersatzwirtschaftsguts. Das abgebrannte Lager muss nicht an selber Stelle errichtet, sondern kann auch an einem anderen Ort aufgebaut werden.
Wichtig | Die Ersatzbeschaffung darf regelmäßig erst nach dem Ausscheiden des bisherigen Wirtschaftsguts erfolgen. Deshalb stellt die Einlage eines Wirtschaftsguts aus dem Privatvermögen keine Ersatzbeschaffung dar (BFH, Urteil vom 11.12.1984, Az. IX R 27/82). Nur in Ausnahmefällen erkennt der BFH eine vorgezogene Ersatzbeschaffung an. Nämlich dann, wenn zwischen vorgezogener Ersatzbeschaffung und Ausscheiden des bisherigen Wirtschaftsguts ein ursächlicher Zusammenhang besteht (BFH, Urteil vom 12.06.2001, Az. XI R 5/00, Abruf-Nr. 011290).
Die direkte Übertragung aufgedeckter stiller Reserven
Die aufgedeckten stillen Reserven des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts – also die Differenz zwischen der Entschädigungszahlung und dem Restbuchwert – müssen Sie eigentlich sofort versteuern. Durch die RfE können Sie den Betrag auf das Ersatzwirtschaftsgut übertragen und so die Anschaffungs- oder Herstellungskosten zugunsten eines Steuerstundungseffekts mindern:
Beispiel 1 |
So funktioniert die RfE bei der Entschädigung ... Ein betrieblicher Pkw (Restbuchwert 15.000 Euro) wird durch Brandstiftung zerstört. Der Unternehmer erhält eine Versicherungsentschädigung über 40.000 Euro. Die verwendet er vollständig für den Erwerb eines neuen Pkw. ... für einen durch Brandstiftung zerstörten Betriebs-Pkw Lösung: Durch die Zerstörung und den Erhalt der Entschädigung werden 25.000 Euro stille Reserven aufgedeckt (40.000 Euro ./. 15.000 Euro). Diese sind grundsätzlich sofort zu versteuern. Es ist aber auch eine Übertragung auf den neuen Pkw als Ersatzwirtschaftsgut möglich. Dadurch reduzieren sich die Anschaffungskosten des neuen Pkw um 25.000 Euro und es tritt keine sofortige Steuerbelastung ein. Die Abschreibung des neuen Pkw richtet sich nun jedoch nach den um 25.000 Euro geminderten Anschaffungskosten. Fazit | Eine Steuerstundung über sechs Jahre. |
Wichtig | Soll nicht die komplette Entschädigung für die Beschaffung des Ersatzwirtschaftsguts verwendet werden, können die stillen Reserven nur anteilig in dem Umfang übertragen werden, wie die Entschädigung für die Anschaffung bzw. Herstellung des Ersatzwirtschaftsguts genutzt wurde.
Eine Sonderregelung existiert für bebaute Grundstücke: Scheiden sie aus dem Betriebsvermögen aus, sind die aufgedeckten stillen Reserven des Grund und Bodens auf den neuen Grund und Boden sowie die stillen Reserven des Gebäudes auf das neue Gebäude zu übertragen. Können die stillen Reserven des Grund und Bodens nicht auf den neuen Grund und Boden übertragen werden, können sie aufs Gebäude übertragen werden (R 6.6 Abs. 3 EStR). Entsprechendes gilt für stille Reserven des Gebäudes.
Die indirekte Übertragung durch Rücklagenbildung
Nicht immer wird das Ersatzwirtschaftsgut noch im selben Jahr angeschafft oder hergestellt. Dann ist eine direkte Übertragung der stillen Reserven wie im Beispiel 1 unmöglich.
Ist aber zum Bilanzstichtag eine spätere Anschaffung bzw. Herstellung ernstlich geplant und zu erwarten, können Sie in Höhe der aufgedeckten stillen Reserven eine steuerfreie Rücklage bilden. Diese wird dann im Jahr der Anschaffung oder Herstellung des Ersatzwirtschaftsguts auf dieses übertragen. Durch die Auflösung der Rücklage und die parallele Reduzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten tritt ebenfalls keine Steuerbelastung ein.
Beispiel 2 |
... eine steuerfreie Rücklage bilden Bei einem Brand im Winter 2024 wurde eine Maschine zerstört (Restbuchwert 10.000 Euro). Die Versicherung erstattete noch 2024 einen Betrag von 50.000 Euro. Eine neue Maschine wird erst im Frühjahr 2025 für 55.000 Euro erworben. Lösung: Die realisierten stillen Reserven von 40.000 Euro müssen grundsätzlich 2024 versteuert werden. Es kann jedoch zum 31.12.2024 eine Rücklage für Ersatzbeschaffung über 40.000 Euro gebildet werden. Der Gewinn 2024 mindert sich dann um 40.000 Euro und es tritt keine Steuerbelastung ein. Im Jahr 2025 kann die Rücklage auf die neue Maschine übertragen werden. Die Anschaffungskosten der Maschine mindern sich von 55.000 Euro um 40.000 Euro und betragen 15.000 Euro. Damit tritt auch 2025 keine Steuerbelastung ein. Allerdings reduzieren sich die künftigen Abschreibungen der Maschine, weil diese nun ausgehend von 15.000 Euro (und nicht mehr 55.000 Euro) zu berechnen sind. |
Wichtig | Die Rücklage muss nicht übertragen werden. Sie kann im Folgejahr auch aufgelöst und der so entstehende Gewinn versteuert werden. Das bietet sich insbesondere an, um Progressionsschwankungen auszugleichen.
Übertragungsfristen kennen und beachten
Haben Sie eine RfE gebildet, können Sie sich für die Übertragung auf das Ersatzwirtschaftsgut nicht ewig Zeit lassen. Haben Sie die Rücklage aufgrund des Ausscheidens eines beweglichen Wirtschaftsguts gebildet, besteht für eine Übertragung auf das Ersatzwirtschaftsgut lediglich Zeit bis zum Ende des nächsten Jahres (R 6.6 Abs. 4 EStR). Haben Sie bis dahin keine Ersatz- beschaffung vorgenommen, müssen Sie die Rücklage in diesem Jahr gewinnerhöhend auflösen. Nur wenn Sie dem Finanzamt glaubhaft machen können, dass die Ersatzbeschaffung weiterhin noch ernstlich geplant und zu erwarten ist, aber aus besonderen Gründen noch nicht durchgeführt werden konnte, kann die Jahresfrist im Einzelfall auf vier Jahre verlängert werden.
Gleichermaßen beträgt die Frist generell vier Jahre, wenn die Rücklage aufgrund des Ausscheidens eines Wirtschaftsguts i. S. v. § 6b Abs. 1 S. 1 EStG gebildet wurde (z. B. Grund und Boden, Binnenschiffe). Bei neu herzustellenden Gebäuden beträgt die Frist generell sechs Jahre.
Beispiel 3 |
Am 24.12.2024 wurden Waren mit Anschaffungskosten von 10.000 Euro gestohlen. Die Versicherung erstattete 2024 wegen Preissteigerungen 13.000 Euro. Der Inhaber beabsichtigt, die Waren erneut zu erwerben. 2025 stellt sich allerdings heraus, dass die Produkte nicht mehr erhältlich sind. Lösung: Die 2024 aufgedeckten stillen Reserven in Höhe von 3.000 Euro müssen grundsätzlich 2024 versteuert werden. Der Unternehmer kann jedoch in Höhe von 3.000 Euro zum 31.12.2024 eine RfE bilden. Dann tritt 2024 keine Steuerbelastung ein. Weil sich 2025 herausstellt, dass keine Ersatzbeschaffung erfolgen wird und zum 31.12.2025 die Übertragungsfrist ausläuft, ist die RfE im Jahresabschluss zum 31.12.2025 aufzulösen, der Gewinn für 2025 erhöht sich um 3.000 Euro. |
- Die Teile 1 bis 5 der Beitragsserie finden Sie in SSP 2/2025, Seite 22 → Abruf-Nr. 50227636; 3/2025, Seite 27 → Abruf-Nr. 50314890; 5/2025, Seite 17 → Abruf-Nr. 50348365; 6/2025, Seite 20 → Abruf-Nr. 50414430 und 7/2025, Seite 22 → Abruf-Nr. 50457839
AUSGABE: SSP 8/2025, S. 16 · ID: 50487723