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UmsatzsteuerBetreutes Wohnen: Ein einheitliches umsatzsteuerfreies Entgelt – ist das möglich?

Top-BeitragAbo-Inhalt27.09.20242632 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuer- und Sozialrecht Gabriele Ritter, Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich

| Leistungen im Rahmen des betreuten Wohnens stehen umsatzsteuerlich immer wieder auf dem Prüfstand der Finanzverwaltungen – und landen schließlich vor Gericht. Zahlreiche Finanzgerichte haben sich dafür ausgesprochen, dass ein Großteil der Leistungen umsatzsteuerfrei erbracht werden kann. Ob auch die Gesamtleistung umsatzsteuerfrei sein kann, untersucht der folgende Beitrag im Rahmen eines Praxisfalls. |

Der Praxisfall

Damit das Thema für Sie anschaulich wird, kurz folgender Praxisfall:

Fall

Eine gemeinnützige Stiftung ist Alleingesellschafterin mehrerer gemeinnütziger Tochtergesellschaften, die organschaftlich miteinander verbunden sind. Eine der Tochtergesellschaften, bislang Betreiberin von Altenheimen, beabsichtigt die Errichtung von Wohneinheiten, die im Rahmen des sog. Service-Wohnens in Einer- oder Zweierbelegung genutzt werden können. Die Tochtergesellschaft schließt dazu mit den Bewohnern einen einheitlichen Vertrag, den sog. Vertrag Service-Wohnen. Dieser Vertrag zeichnet sich dadurch aus, dass er ein einheitliches umsatzsteuerfreies Entgelt für alle angebotenen Leistungen vorsieht. Im Rahmen dieses Service-Wohnens werden als Gesamtpaket folgende Leistungen erbracht:

  • Überlassung der Wohneinheit
  • Verschiedene Serviceleistungen einschl. der Überlassung von Gemeinschaftsräumen und Durchführung von Veranstaltungen/ soziale Aktivitäten. Die Service-Leistungen umfassen:
    • Wöchentliche Reinigung der Räume
    • Reinigung der Fenster nach Plan
    • Reinigung der Gemeinschaftsräume
    • Hausdamenservice
    • Vermittlung Pflegedienst und 24h-Notruf
    • Teilnahme an Veranstaltungen und Gottesdiensten, Ausflüge etc.
    • Saisonale Feste
    • Beratung in betreuungstypischen Verwaltungs- und Behördenangelegenheiten
    • Vermittlung von weiteren hauswirtschaftlichen Diensten und Haustechnikdiensten

Die Leistungen der ambulanten Pflege erbringt nicht die Tochtergesellschaft selbst, sondern vermittelt diese nur. Die hauswirtschaftliche Versorgung (Reinigung) ist zwar Vertragsbestandteil. Hier bedient sich die Tochtergesellschaft im Innenverhältnis einer weiteren Tochtergesellschaft der Stiftung.

Für die gemeinnützige Stiftung ergeben sich folgende umsatzsteuerliche Fragen:

  • 1. Handelt es sich bei den zu erbringenden Leistungen im Rahmen des Service-Wohnens um umsatzsteuerfreie Leistungen?
  • 2. Kann die Tochtergesellschaft ein umsatzsteuerfreies Gesamtentgelt berechnen?

Alle Leistungen sind umsatzsteuerfrei

Nach unserer Einschätzung können die gesamten Leistungen im Rahmen des Service-Wohnens umsatzsteuerfrei erbracht werden.

Maßgebend dafür sind folgende Bestimmungen: Nach § 4 Nr. 16 Buchst. n UStG sind Leistungen, die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbunden sind, umsatzsteuerfrei, wenn die Betreuungs- oder Pflegekosten oder die Kosten für eng mit der Betreuung oder Pflege verbundene Leistungen in mindestens 25 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX oder den für die Durchführung des SGB IX zuständigen Stellen ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet werden.

§ 4 Nr. 16 UStG beruht auf Art 132 Abs. 1 b), 134 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gesamte Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Die Befreiungsvorschrift dient dem Zweck, die Kosten der Sozialleistungen zu senken und damit, neben den Sozialversicherungsträgern als Kostenträger für ihre Versicherten, typisierend auch die selbstzahlenden Leistungsempfänger zu entlasten.

Hilfebedürftige Personen

Um in den Genuss des § 4 Nr. 16 Buchst. n UStG zu kommen, müssen die Bewohner somit nachweislich „hilfebedürftig“ sein. Als Nachweis dient z. B. der Pflegegrad. Das Alter allein ist umsatzsteuerlich nicht entscheidend. So kann umsatzsteuerlich nicht unterstellt werden, dass Personen, die das 75. Lebensjahr vollendet haben, hilfebedürftig sind.

Wichtig | Es bedarf in den Fällen, in denen kein Pflegegrad besteht, des Nachweises von altersbedingten Einschränkungen der Alltagskompetenzen z. B. durch Dokumentation, ob und wie diese Personen der Hilfe bedürfen (FG Münster, Urteil vom 25.01.2023, Az. 15 K 3554/18 U, Abruf-Nr. 227790).

Eng mit Sozialfürsorge und sozialer Sicherheit verbundene Leistungen

Die Umsatzsteuerbefreiung umfasst alle Leistungen, die für den Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit und dem Betrieb einer solchen Einrichtung unerlässlich sind (FG Münster, Urteil vom 25.01.2023, Az. 15 K 3554/18 U, Abruf-Nr. 227790).

Ausgehend hiervon hat die Rechtsprechung insbesondere die Leistungen der ambulanten Pflege, die hauswirtschaftliche Versorgung, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung, die Gestellung einer Haushaltshilfe, Leistungen der Kinderbetreuung und die Bereitstellung eines Haus-Notruf-Dienstes als unerlässlich angesehen (BFH, Urteile vom 21.04.2021, Az. XI R 31/20 [XI R 34/18], Abruf-Nr. 224147). Dazu zählen aber auch sämtliche Leistungen, die altersspezifische Schwierigkeiten ausgleichen sollen; d. h. auch solche Angebote, die auf die sozio-kulturelle Teilhabe der Bewohner zur Verhinderung einer alterstypischen Vereinsamung gerichtet sind (auch vgl. BFH, Urteil vom 01.12.2010, Az. XI R 46/08, Abruf-Nr. 110730).

Eng mit der Betreuung und Pflege zusammenhängende Leistungen

Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. n UStG, die eng mit der Betreuung und Pflege zusammenhängen, sind all diejenigen Leistungen, die eine solche Einrichtung für betreutes Wohnen anbieten muss und die zum Zweck haben, die Unterstützung und Betreuung von Senioren sicherzustellen und denjenigen Leistungen entsprechen, die auch Altenheime anbieten müssen (EuGH, Urteil vom 21.01.2016, Rs. C-335/14, Abruf-Nr. 187002, les jardins de jouvence).

Wichtig | Dass die Pflege nicht selbst erbracht wird, ist für die Befreiung unschädlich (BFH, Urteil vom 03.08.2017, Az. V R 52/16, Abruf-Nr. 197532 sowie FG Münster, Urteil vom 11.12.2023, Az. 15 K 448/20 U, Abruf-Nr. 239175, Rz. 71). Es ist nicht notwendig, dass der Anbieter selbst z. B. mit den Sozialversicherungsträgern Verträge abschließt. Ausreichend ist allein die Tatsache, dass

Fortführung des Falls

Die Bewohner des Service-Wohnens zählen zum Kreis der hilfebedürftigen Personen, was idealerweise durch Zuerkennung eines Pflegegrades nachzuweisen ist.

Bei den vertraglich zugesicherten Serviceleistungen handelt es sich u. E. um solche Leistungen, die für den Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlich sind. Schädlich ist hier nicht, dass die Leistungen der ambulanten Pflege lediglich vermittelt werden. Es reicht der Nachweis der grundsätzlichen Berechtigung. Konkret bedeutet das für die Umsatzsteuerbefreiung:

  • Zu den umsatzsteuerfreien Teilleistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung zählen die
    • wöchentliche Reinigung,
    • Reinigung der Fenster nach Plan und
    • Reinigung der Gemeinschaftsräume in festgelegten Intervallen.
  • Zu den umsatzsteuerfreien Teilleistungen, die zum Ausgleich altersspezifischer Schwierigkeiten angezeigt sind, gehören
    • soziale Aktivitäten,
    • Hausdamenservice,
    • Teilnahme an Veranstaltungen und Gottesdienste, Ausflüge,
    • Nutzung von Gemeinschaftsräumen,
    • saisonale Feste und
    • Beratung in betreuungstypischen Verwaltungs- und Behördenangelegenheiten.
  • die Bewohner der Hilfe bedürfen und
  • die angebotenen Leistungen als (Teil-)Leistungen Elemente der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit im Sinne dieser Vorschrift darstellen.

Vermittlungstätigkeit und die Umsatzsteuer

Unter diesen Grundsätzen dürfte sich lediglich die Vermittlungstätigkeit als „kritische“ Leistung darstellen. Sie könnte jedoch zumindest als Nebenleistung zur Hauptleistung zu verstehen sein und damit deren Schicksal teilen.

Fortführung des Falls

Im Praxisfall besteht das Hauptkonzept darin, den Bewohnern eine einheitliche Leistung anzubieten, um bei Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit Sicherheit durch ein einheitliches Leistungsbündel zu gewährleisten. Hinzubuchbare Einzel-Leistungsmodule würden diesem Grundverständnis entgegenstehen. Durch ein solches Gesamtpaket wird ein höheres Maß an Versorgungssicherheit erreicht.

Dieser Auffassung schließt sich auch die Finanzverwaltung an. Eine Leistung ist demnach grundsätzlich dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie im Vergleich zu der Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng – im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung – zusammenhängt und üblicherweise in ihrem Gefolge vorkommt. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn die Leistung für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Abschn. 3.10 Abs. 5 UStAE m.w.N.).

Die Vermittlung von Pflegedienst und 24h-Notruf sowie von weiteren hauswirtschaftlichen Diensten und Haustechnikdiensten dient dazu, dem angedachten Sicherheitskonzept gerecht zu werden. Bei der angedachten Vermittlungsleistung handelt es sich oft um einmalige oder wenige Unterstützungsleistungen für den Hilfebedürftigen zu Beginn seines Einzugs oder seiner Hilfsbedürftigkeit.

Die Vermittlungsleistung ist damit geringfügig und nebensächlich, aber eng im Sinne einer Abrundung des eigenen Leistungsangebots zu sehen. Zudem ist die Vermittlungstätigkeit, wie im übrigen auch alle anderen Leistungen, nicht abwählbar. Hier handelt es sich um ein Gesamtpaket, das dem Bewohner zusteht. Es ist nicht möglich, einzelne Module herauszunehmen und den Preis zu mindern.

Der Vollständigkeit halber: Die Vermietung/Überlassung der Räumlichkeiten ist eine umsatzsteuerfreie Leistung nach § 4 Nr. 12 UStG, soweit sie länger als sechs Monate erfolgt.

  • Im Grundsatz gilt zwar, dass umsatzsteuerlich jede Leistung in der Regel als eigene und selbstständige Leistung zu betrachten ist (EuGH, Urteile vom 27.09.2012, Rs. C-392/11, Field Fisher Waterhouse, Abruf-Nr. 243894, EU:C:2012:597 und Rs. C-224/11, BGZ Leasing, Abruf-Nr. 131371, EU:C:2013:15).
  • Allerdings sind nach der Rechtsprechung des EuGH mehrere formal eigenständige Leistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnte unter bestimmten Umständen als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie voneinander abhängig sind. Ein einheitlicher Umsatz liegt vor, wenn die Leistung des Steuerpflichtigen aus zwei oder mehreren Elementen oder Handlungen besteht, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Dies ist auch der Fall, wenn eine oder mehrere Leistungen die Hauptleistung und der oder die anderen Leistungen Nebenleistungen darstellen, die steuerlich ebenso zu behandeln sind wie die Hauptleistung (EuGH, Urteil vom 17.01.2013, Rs. C-224/11, Abruf-Nr. 131371 – BGZ Leasing).
  • Eine Leistung ist insbesondere dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 27.09.2012, Rs. C-392/11, Abruf-Nr. 243894 – Field Fisher Waterhouse und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wichtig | Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass alle im vorliegenden Fall angebotenen Leistungsmodule umsatzsteuerfrei sind.

Umsatzsteuerfreies Gesamtentgelt

Die Tochtergesellschaft kann ein einheitliches umsatzsteuerfreies Gesamtentgelt berechnen. Denn sind die einzelnen Leistungselemente nach unterschiedlichen Befreiungsnormen umsatzsteuerfrei, gilt die Gesamtleistung als umsatzsteuerfrei.

Der BFH hat jüngst für den ermäßigten Steuersatz entschieden, dass eine einheitliche komplexe Leistung, die sich durch ein einheitliches Entgelt auszeichnet, insgesamt dem ermäßigten Steuersatz unterliegt, wenn für die einzelnen Leistungselemente Ermäßigungen nach unterschiedlichen Normen vorliegen und es für die Gesamtleistung keine passende Norm gibt (BFH, Beschluss vom 29.05.2024, Az. XI B 3/23, Abruf-Nr. 242120). Für den Bereich der Steuerbefreiungen dürfte nichts anderes gelten (Anmerkung Andreas Treiber, Richter am BFH zu o. a. Beschluss des BFH vom 29.05.2024, Az. XI B 3/23, Abruf-Nr. 242120).

Daher darf zu Recht ein einheitliches umsatzsteuerfreies Gesamtentgelt erhoben werden.

Fazit | Die umsatzsteuerliche Einordnung von Leistungen im Rahmen des Betreuten Wohnens ist trotz der zitierten Rechtsprechung häufig noch Gegenstand von Betriebsprüfungen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die jeweiligen Finanzämter eine andere Rechtsauffassung vertreten. Das finanzielle Risiko des Betreibers ist groß, denn er wird die nachzuentrichtende Umsatzsteuer im Regelfall nicht auf die Bewohner abwälzen können. Es wird daher dringend angeraten, bei komplexen Fällen eine vorzeitige Abstimmung mit der Finanzverwaltung anzustreben.

AUSGABE: SB 10/2024, S. 188 · ID: 50175300

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