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SBStiftungsBrief

UmsatzsteuerUmsatzsteuerliche Organschaft: Finanzielle Ein- gliederung und erneute Vorlage des BFH an EuGH

Top-BeitragAbo-Inhalt27.04.20234971 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuer- und Sozialrecht Gabriele Ritter, Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich

| Umsatzsteuerliche Organschaften sind bei Stiftungen sehr beliebt. In zwei Verfahren hat der BFH nun erneut zur umsatzsteuerlichen Organschaft entschieden. Dabei hat er zum einen die Vereinbarkeit der Steuerschuldnerschaft des Organträgers mit Unionsrecht bestätigt und seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung an die Rechtsprechung des EuGH angepasst. Zum anderen hat er ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, in dem es um die auch für Stiftungen wichtige Frage des nicht steuerbaren Innenumsatzes geht. SB erläutert die Einzelheiten. |

Die umsatzsteuerliche Organschaft nach deutschem Recht

Zentrale Regelung des deutschen Organschaftsrechts ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Demnach wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbstständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln.

BFH zu Steuerschuldnerschaft und finanzieller Eingliederung

Durch Urteil vom 18.01.2023 (Az. XI R 29/22 [XI R 16/18], Abruf-Nr. 234366) hat der BFH im Anschluss an das EuGH-Urteil Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie vom 01.12.2022 (Rs. C-141/20, Abruf-Nr. 232748) klärende Aussagen zum deutschen Organschaftsrecht getroffen.

BFH-Aussagen zum Organträger

Der BFH bestätigt, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG insoweit unionskonform ist, als dort die Steuerschuldnerschaft des Organträgers bestimmt wird. Nach deutschem Verständnis ist der Organträger der (einzige) Steuerpflichtige. Die Organgesellschaft ist unselbstständiger Teil des Unternehmens des Organträgers, sodass beide als ein Unternehmen zu behandeln sind. Dies bedeutet, dass jegliche Umsätze der Organgesellschaften dem Organträger zugerechnet werden. Er hat alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus § 18 UStG für das gesamte Unternehmen unter Einschluss der Organgesellschaft ergeben (z. B. BFH, Urteil vom 22.02.2017, Az. XI R 13/15, Rz. 45, Abruf-Nr. 193969).

Die vom EuGH genannten Bedingungen „Willensdurchsetzung“ und „keine Gefahr von Steuerausfällen“ werden durch das nationale Recht erfüllt:

  • Die Rechtsprechung des BFH basiere ohnehin auf dem Erfordernis, dass der Organträger zur Erreichung der umsatzsteuerlichen Organschaft seinen Willen in den Tochtergesellschaften durchsetzen können muss (z. B. BFH, Urteile vom 07.07.2011, Az. V R 53/10, Rz. 24, Abruf-Nr. 113561, Urteil vom 08.08.2013, Az. V R 18/13, Rz. 30, Abruf-Nr. 132833 und Urteil vom 27.11.2019, Az. XI R 35/17, Rz. 38, Abruf-Nr. 214468).
  • Zu Steuerausfällen komme es nicht, weil alle Organgesellschaften nach § 73 AO für solche Steuern des Organträgers haften, für welche die Organschaft zwischen der Organgesellschaft und dem Organträger steuerlich von Bedeutung ist. Tatsächliche Steuerausfälle z. B. als Folge einer Insolvenz beim Organträger als Steuerschuldner oder zusätzlich bei der Organgesellschaft als Haftungsschuldner stehen dem nicht entgegen. Denn insoweit verwirklicht sich für den BFH nur das allgemeine Gläubigerrisiko, das den Steuergläubiger wie jeden anderen Gläubiger auch treffen kann.

Neues vom BFH zur finanziellen Eingliederung

Im gleichen Urteil hat der BFH – ebenfalls als Folge der Rechtsprechung des EuGH vom 01.12.2022 – seine bisherige Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung angepasst.

  • Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH muss der Organträger für eine finanzielle Eingliederung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG über die Mehrheit der Stimmrechte verfügen, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist. Weiche die kapitalmäßige Beteiligung von den Stimmrechten ab (z. B. aufgrund „stimmrechtsloser Geschäftsanteile“ bei einer GmbH oder aufgrund von „Vorzugsaktien“ ohne Stimmrecht bei einer AG), ist auf das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Stimmrechte abzustellen (BFH, Urteil vom 26.08.2021, Az. V R 13/20, Rz. 29, Abruf-Nr. 225110). Erforderlich war nach dieser BFH-Rechtsprechung lediglich eine Stimmrechtsmehrheit, die auch ohne Mehrheitsbeteiligung bestehen kann, aber im Regelfall nur bei einer Anteilsmehrheit bestehen wird.
  • Die finanzielle Eingliederung soll nunmehr aber auch möglich sein, wenn
    • der Organträger nur über 50 Prozent der Stimmrechte verfügt,
    • seinen Willen in der Organgesellschaft aber dadurch durchsetzt, dass er über eine Mehrheit am Kapital der Organgesellschaft verfügt und
    • er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.

Im Zusammenhang mit der vom EuGH für möglich gehaltenen Willensdurchsetzung ohne Stimmrechtsmehrheit ist nach Sicht des BFH zu berücksichtigen, dass die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung nicht gleichermaßen stark ausgeprägt sein muss. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, hindert dies daher nicht, trotzdem eine Organschaft anzunehmen, wenn sich die Eingliederung deutlich auf den beiden anderen Gebieten zeigt. Deshalb erscheint es dem BFH gerechtfertigt, eine Mehrheitsbeteiligung trotz Stimmrechten von nur 50 Prozent als lediglich schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung anzusehen, wenn durch eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen von Mehrheitsgesellschafter und Organgesellschaft eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung vorliegt. Dann kann der Organträger seinen Willen bei der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und mit Hilfe seiner Stimmrechte in Höhe von 50 Prozent eine abweichende Weisung durch die Gesellschafterversammlung verhindern; so ist es ihm auch möglich, die Umsätze der Organgesellschaft ordnungsgemäß zu versteuern und den sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Organgesellschaft ergebenden sonstigen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen (BFH, Beschluss vom 11.12.2019, Az. XI R 16/18, Rz 47, Abruf-Nr. 214978).

Beispiel

Ein Betreiber mehrerer Altenheime ist mit einem gewerblichen Anbieter Gesellschafter einer Wäscherei-GmbH, die für die Altenheime die Wäsche aufbereitet.

  • Bislang musste für eine umsatzsteuerliche Organschaft sichergestellt sein, dass der Altenheimbetreiber über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt; dies war in der Regel dadurch gewährleistet, dass sich Stimmrecht- und Beteiligungsverhältnisse entsprachen oder dem Altenheimbetreiber zumindest – bei abweichender Kapitalbeteiligung – die Mehrheit der Stimmen zustanden.
  • Nun reicht es, wenn beide Gesellschafter über gleiche Stimmrechte verfügen. Allerdings ist nach Auffassung des BFH weiter erforderlich, dass der Altenheimbetreiber eine Mehrheitsbeteiligung hält. Zudem muss die organisatorische Eingliederung besonders stark ausgeprägt sein, was nach Meinung des BFH dann gegeben ist, wenn in der Geschäftsführung Personenidentität zwischen Organträger und Organgesellschaft besteht. Ob ein weiterer Geschäftsführer des gewerblichen Anbieters bereits schädlich ist, auch wenn dieser sich in der Geschäftsführung nicht durchsetzen kann, bleibt unbeantwortet.

Wichtig | Der zuvor im Wege der Divergenzanfrage einbezogene V. Senat des BFH hat der Rechtsprechungsänderung des XI. Senats zugestimmt.

Vorlage an EuGH zur Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze

Der BFH will nun vom EuGH klären lassen, ob an der Annahme festgehalten werden kann, dass entgeltliche Umsätze innerhalb des Organkreises zwischen Organgesellschaft und -träger nicht steuerbare Innenumsätze sind (BFH, Beschluss vom 26.01.2023, Az. V R 20/22 [V R 40/19], Abruf-Nr. 234377) .

Im Urteilsfall geht es um eine Stiftung öffentlichen Rechts, die neben einem hoheitlichen Bereich einen Krankenhausbetrieb unterhält. Als Organträgerin der U-GmbH, die für die Stiftung Reinigungs-, Hygiene- und Wäschereileistungen sowie Patiententransporte übernimmt, behandelte sie und ihr folgend das Finanzamt und das FG die für den Krankenhausbereich erbrachten Leistungen als nicht steuerbare Innenumsätze. Die für den Hoheitsbereich erbrachten Leistungen betrachtete das Finanzamt als umsatzsteuerpflichtig (als unentgeltliche Wertabgabe, § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG), während sich die Organschaft nach Ansicht des FG auch auf den Hoheitsbereich der Stiftung erstrecke. Hiergegen wandte sich das Finanzamt mit der Revision.

Der BFH ist nach dem Grundsatz der sogenannten Vollrevision nach nationalem Recht verpflichtet, die Entscheidung der Vorinstanz materiell-rechtlich in vollem Umfang zu überprüfen.

  • Der BFH will nun im ersten Schritt explizit geklärt haben, ob eine Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG dazu führt, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer nach Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie unterliegen.
  • In einem zweiten Schritt möchte der BFH wissen, ob entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, weil sonst die Gefahr von Steuerverlusten besteht.

Immense Bedeutung des EuGH-Verfahrens für die Praxis

Unmittelbar im Anschluss an das kürzlich ergangene EuGH-Urteil Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie vom 01.12.2022 wurde die Steuerbarkeit (oder Nichtsteuerbarkeit) der Innenleistungen sehr kontrovers diskutiert, weshalb die (erneute) Vorlage an den EuGH insofern zu begrüßen ist.

Für das Eingangsbespiel würde die Bejahung der zweiten Vorlagefrage durch den EuGH zur Konsequenz haben, dass die Wäscherei-GmbH künftig dem Organträger die Leistungen mit Umsatzsteuer fakturieren muss, der Organträger aus diesen Eingangsleistungen aber keinen Vorsteuerabzug hat. Zwar hätte die Organgesellschaft für ihre Eingangsleistungen einen Vorsteuerabzug, der aber nur teilweise neutralisierende Funktion hat. Insbesondere für Bereiche mit besonders hohem Personalanteil – wie etwa im Bereich der Reinigungsdienste – wäre in der Gesamtbetrachtung mit einer erheblichen Verteuerung zu rechnen; das zeigt zugleich, dass dem Staat aktuell Steuereinnahmen vorenthalten werden.

Besteht nämlich keine Organschaft, was zur Steuerbarkeit der Innenumsätze führt, entsteht ein Steueranspruch, der zu keinem Vorsteuerabzug beim Organträger führt. Demgegenüber unterbleibt bei der Vergleichsbetrachtung (Organschaft mit Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze) von vornherein die Entstehung eines Steueranspruchs. Die Gefahr von Steuerverlusten werde – so der BFH – in dem Fall der entgeltlichen Innenleistungen nicht durch die Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO für die Steuern des Organträgers gebannt. Sind Innenumsätze nicht steuerbar, scheidet eine Haftung bereits mangels Steuerentstehung aus.

Deshalb: Sollte der EuGH entscheiden, dass Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung steuerbar sind, hätte dies weitreichende Folgen. Umsatzsteuerrechtlich dient die Organschaft als Gestaltungsinstrument für Unternehmer, die nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind (z. B. Banken und Versicherungen, Unternehmer im Gesundheits- und Sozialwesen und im Bildungsbereich sowie Vermieter von Wohnungen). Nichtabziehbare Vorsteuerbeträge lassen sich bislang für derartige Unternehmen dadurch vermeiden, dass sie mit Dienstleistern Organschaften begründen, sodass die bezogenen Leistungen nicht steuerbar sind.

AUSGABE: SB 5/2023, S. 93 · ID: 49333564

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