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PatentnichtigkeitsklageStreitwert einer patentrechtlichen Nichtigkeitsklage
| Diskutiert wird immer wieder, wie der Streitwert einer Patentnichtigkeitsklage festzusetzen ist, wenn gegen das streitgegenständliche Patent zusätzlich Schadenersatzansprüche aus einer separaten Verletzungsklage erhoben werden und insbesondere, wenn diese Schadenersatzklage erst nach Einleitung der Nichtigkeitsklage beziffert wird. Problematisch ist hierbei vor allem, dass die Festsetzung des Streitwerts unmittelbare Auswirkungen auf die Gerichtskosten und das Prozessrisiko der Parteien hat. |
In einem aktuellen Beschluss entschied der BGH (11.3.25, X ZR 114/22, Abruf-Nr. 247273), dass nicht nur bereits bekannte, sondern auch erst nachträglich bezifferte Schadensersatzforderungen bei der Bemessung des Streitwerts für die Nichtigkeitsklage zu berücksichtigen sind. Dies kann zu deutlich höheren Streitwerten und damit zu Kosten führen. Zudem ist es für die Bewertung des Streitwerts irrelevant, welche tatsächlichen Erfolgsaussichten die erhobene Schadenersatzklage besitzt.
Relevanz der Entscheidung
Die Entscheidung führt für die Parteien, insbesondere für die Klägerin einer Nichtigkeitsklage, zu einer erhöhten Unsicherheit hinsichtlich der finanziellen Belastung des Verfahrens. Zugleich eröffnet der Beschluss komplexe Abgrenzungsfragen zwischen materieller Anspruchsdurchsetzung und prozessualer Kostensteuerung.
Übersicht: Vorteile für die anwaltliche Praxis | |
Vorteil | Bedeutung |
Streitwertsteigerung durch prozessuale Dynamik | Anwälte können den Streitwert strategisch beeinflussen, z. B. durch spätere Bezifferung von Ansprüchen. |
Planungssicherheit | Orientierung an bezifferten Schadensersatzforderungen verschafft solide Berechnungsbasis für das Prozesskostenrisiko, auch wenn Schadenersatzklagen erst später eingereicht werden. |
Strategische Nutzbarkeit | Anwälte können parallel anhängige oder unmittelbar drohende Schadenersatzansprüche als Streitwertindikator nutzen, und zwar auch dann, wenn diese erst nach Einreichung der Nichtigkeitsklage beziffert werden. |
Verlässliche Bemessung unabhängig vom Klageerfolg | Auch unsichere Klageaussichten erhöhen den Wert – nützlich bei Kostenkalkulation und Verfahrensstrategie; es genügt, die Existenz und Höhe (nicht den voraussichtlichen Prozesserfolg) von Schadensersatzforderungen darzulegen. |
Rechtsklarheit zur Wertfestsetzung | Der BGH bekräftigt klare Kriterien zur Berücksichtigung von Zahlungsforderungen und verweist auf eine gefestigte Rechtsprechung. |
Argumentationshilfe gegenüber Gericht | Anwälte können später eingereichte Klagen als Bewertungsgrundlage für bereits anhängige Nichtigkeitsklagen nutzen. |
Mandantenberatung | Mandanten können frühzeitig und realistisch über Kostenrisiko inklusive möglicher Nachforderungen bei höheren Streitwerten beraten werden. |
Handlungsempfehlungen für die anwaltliche Praxis
Streitwertquellen umfassend identifizieren: Berücksichtigen Sie nicht nur vorliegende Klagen, sondern auch später eingereichte bezifferte Forderungen. Bei bestehenden Feststellungen zur Schadensersatzpflicht prüfen Sie daher, ob daraus abgeleitete Ansprüche den Streitwert – und damit das Gebührenaufkommen – erhöhen.
Erfolgsaussichten nicht überbewerten: Auch unsichere oder schwache Klagen können den Streitwert beeinflussen. Denn bei der Streitwertfestsetzung zählt nur der geforderte Betrag, nicht die Realisierbarkeit.
Eigenständiger Streitwertvorschlag: Machen Sie in Ihren Schriftsätzen offensiv einen eigenen Streitwertvorschlag und begründen Sie ihn.
Vergleichsangebote taktisch nutzen: Erhöhen Sie den Verhandlungsdruck mit höheren Streitwerten. Sie erhöhen dadurch das Kostenrisiko für die Gegenseite.
Aktive Einflussnahme: Weisen Sie das Gericht und den Gegner auf die (auch später bekannt werdenden) Höhe von Schadenersatzklagen und deren Bedeutung für den Streitwert hin. Argumentieren Sie dabei, dass Standardwerte aus anderen Patentsparten (z. B. SEP) nachrangig sind, wenn konkret bezifferte Forderungen aus Verletzungsklagen vorliegen.
Mandantenaufklärung/Kostenrisiko: Informieren Sie Ihre Mandanten umfassend über die Bedeutung des Streitwerts für die zu erwartenden Verfahrenskosten und weisen Sie auf die dynamischen Anpassungen hin.
Überprüfung der Festsetzung: Überprüfen Sie die Streitwertfestsetzung des Gerichts darauf, ob alle relevanten Schadensersatzforderungen (auch solche aus erst nach Klageerhebung eingereichten Klagen) vollständig einbezogen wurden.
Korrektur/Abwehr von Fehlfestsetzungen: Erwägen Sie stets eine Streitwertbeschwerde gegen fehlerhafte Festsetzungen.
Checkliste / Streitwert Nichtigkeitsklage bei unbekannten Schadenersatzansprüchen | |||
Prüffrage | Ja | Nein | Bemerkung |
Bestehen laufende/parallele oder drohende Schadenersatzklagen? Sind alle relevanten Zahlungsansprüche erfasst (auch spätere Klagen)? | ☐ | ☐ | Grundlage für spätere Streitwertsteigerung |
Wurde nachträglich eine bezifferte Schadensersatzklage erhoben? | ☐ | ☐ | Dient als Erkenntnisquelle für den Wert des Patents im Klagezeitpunkt |
Betrifft die Forderung konkret den deutschen Teil des Patents? | ☐ | ☐ | Erforderlich, um Abschläge aufgrund internationaler Zuständigkeit auszuschließen |
Ist die Forderung realistisch durchsetzbar? | ☐ | ☐ | Nicht erforderlich für die Streitwertbemessung – nur für Taktik |
Kann durch eine strategische Schadensbezifferung Einfluss auf Streitwert genommen werden? | ☐ | ☐ | Sinnvoll bei taktischer Prozessführung |
Ist der Mandant über das Kostenrisiko je nach Streitwert nachweislich informiert? | ☐ | ☐ | Erforderlich um ggf. Regressansprüche zu vermeiden |
AUSGABE: RVGprof 9/2025, S. 162 · ID: 50500174