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LeserforumMahnbescheid: So müssen Sie reagieren, wenn der Gegner widerspricht und zahlungsunfähig ist
| FRAGE: „Nach dem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid haben wir die Gerichtsgebühr eingezahlt und die Abgabe an das Streitgericht beantragt. Dann erst erfuhren wir von der Zahlungsunfähigkeit der Gegenseite. Aus Kostengründen wurde daher nur ein Teilbetrag weiterverfolgt und in der Anspruchsbegründung nur eine geringere Forderung geltend gemacht. Damit haben wir in dem Verfahren voll obsiegt. Das Gericht legt uns nun gleichwohl einen Teil der Kosten auf. Es hat den Streitwert auf den vollen ursprünglich im Mahnverfahren geltend gemachten Betrag auch für das streitige Verfahren festgesetzt. Unserer Streitwertbeschwerde wurde nicht abgeholfen. Die Kostengrundentscheidung ist für uns nicht separat anfechtbar, weil wir voll obsiegt haben. Dies ist der erste Fall bei uns, in dem das Gericht so entscheidet, und wir finden, dass es für die Zukunft sehr relevant ist – gerade wenn man aus Kostenminderungsgründen nur einen Teil in der Anspruchsbegründung weiterverfolgt.“ |
ANTWORT von RA Norbert Schneider (Neunkirchen): Es kommt in der Praxis häufig vor, dass die im Mahnverfahren geltend gemachte Forderung im streitigen Verfahren nicht oder nur teilweise weiterverfolgt werden soll. Die hier auftretenden Probleme und deren Lösungen lassen sich am besten anhand eines Beispiels erläutern.
Der Fall |
Rechtsanwalt R hatte für seinen Mandanten K einen Mahnbescheid über eine Forderung in Höhe von 10.000 EUR erwirkt. Nachdem der Antragsgegner B Widerspruch eingelegt hatte, hat R die Abgabe der Sache an das im Mahnantrag benannte Streitgericht beantragt. Dort hat er die im Mahnverfahren geltend gemachten Ansprüche in Höhe von 6.000 EUR begründet. Das Gericht hat der Klage stattgegeben, den Streitwert auf 10.000 EUR festgesetzt und die Kosten zu 40 % dem K und zu 60 % dem B auferlegt. |
1. Mahnverfahren
Im Mahnverfahren ist eine Forderung in Höhe von 10.000 EUR geltend gemacht worden. Damit belief sich der Streitwert im Mahnverfahren auf 10.000 EUR. Hieraus angefallen ist bei Gericht eine 0,5-Gebühr nach Nr. 1100 KV GKG, die K zu zahlen hatte (§ 22 Abs. 1 GKG). Für R ist eine 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG nebst Auslagen und Umsatzsteuer angefallen:
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) | 652,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
Zwischensumme | 672,00 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 127,68 EUR |
799,68 EUR |
2. Streitiges Verfahren
a) Streitwert
Im streitigen Verfahren ist der Streitwert zu Recht auf 10.000 EUR festgesetzt worden. Insoweit kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe die Ansprüche begründet werden. Maßgebend ist, in welcher Höhe die Ansprüche vom Mahngericht abgegeben worden sind. Hier war die Abgabe uneingeschränkt beantragt worden, sodass die gesamten 10.000 EUR in das streitige Verfahren übergegangen sind.
b) Gerichtsgebühr
Damit ist die 3,0-Gebühr nach Nr. 1210 KV GKG aus dem vollen Wert von 10.000 EUR angefallen. Die spätere Reduzierung konnte keine Rolle mehr spielen. Nach § 40 GKG ist der Streitwert zu Beginn der Instanz zu berechnen. Der Streitwert kann nachträglich nicht reduziert werden. Angefallen ist also eine 3,0-Gebühr nach Nr. 1210 KV GKG. Dabei ist die 0,5-Gebühr Nr. 1100 KV GKG anzurechnen (Anm. Abs. 2 zu Nr. 1210 KV GKG).
Zu zahlen waren also
3,0-Gebühr, Nr. 1210 KV GKG | 849,00 EUR |
abzüglich 0,5 aus 1100 KV GKG (Anm. Abs. 2 zu Nr. 1210 KV GKG) | −141,50 EUR |
Rest | 707,50 EUR |
c) Anwaltsvergütung des R
Da die 1,3-Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV RVG bereits mit Abgabe anfällt, ist bei R eine 1,3-Gebühr aus dem vollen Streitwert von 10.000 EUR angefallen.
Soweit im Anschluss die im Mahnverfahren geltend gemachten Ansprüche nur in Höhe von 6.000 EUR begründet worden sind, galt dies gemäß § 697 Abs. 1 S. 2 ZPO als Klagerücknahme.
§ 697 Abs. 1 S. 2 ZPO lautet: |
Soweit der Antrag in der Anspruchsbegründung hinter dem Mahnantrag zurückbleibt, gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Antragsteller zuvor durch das Mahngericht über diese Folge belehrt oder durch das Streitgericht auf diese Folge hingewiesen worden ist. |
Da nichts Gegenteiliges erklärt worden ist, galt also mit der beschränkten Anspruchsbegründung die Klage in Höhe von 4.000 EUR als zurückgenommen. Das konnte aber nichts mehr daran ändern, dass mit der Abgabe bereits die volle 1,3-Verfahrensgebühr entstanden war. Der Antrag auf Abgabe ist bereits ein das Verfahren einleitender Antrag i. S. d. Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG. Auch die Klagerücknahme löst bereits die volle 1,3-Verfahrensgebühr aus.
Soweit das Gericht dann entschieden hat, also über die verbliebenen 6.000 EUR, ist eine Terminsgebühr angefallen, sei es nach mündlicher Verhandlung oder aufgrund einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Der Gegenstandswert dieser Terminsgebühr richtet sich allerdings nur nach dem verbliebenen Wert von 6.000 EUR, da nur hierüber verhandelt worden ist. Dieser Wert ist gegebenenfalls nach § 33 RVG auf Antrag gesondert festzusetzen.
Abzurechnen ist also wie folgt:
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) | 847,60 EUR |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) | 498,60 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
Zwischensumme | 1.366,20 EUR |
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG | 259,59 EUR |
1.625,78 EUR |
Soweit das Gericht durch Versäumnisurteil entscheidet, entsteht die Terminsgebühr aus den 6.000 EUR nur zu 0,5.
d) Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung des Gerichts ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf § 92 Abs. 1, § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 ZPO.
- Soweit der Klage in Höhe von 6.000 EUR stattgegeben worden ist, waren die anteiligen Kosten dem Beklagten aufzuerlegen, da er insoweit unterlegen war (§ 91 Abs. 1 ZPO).
- Soweit die Klage in Höhe von 4.000 EUR zurückgenommen worden ist, waren diese Kosten gemäß § 269 Abs. 3 ZPO dem Kläger aufzuerlegen.
- Beides zusammen hat nach § 92 Abs. 1 ZPO zutreffenderweise die Kostenquote 60/40 zur Folge. Man hätte im Rahmen des § 92 Abs. 1 ZPO daran denken können, die Quote etwas zugunsten der Klägerin zu verschieben, da die Terminsgebühr nach der Klagerücknahme nur nach einem geringeren Wert angefallen ist und insoweit erfolgreich war.
e) Anfechtung der Kostenentscheidung
Entgegen der Auffassung der Leserin war die Kostenentscheidung anfechtbar. Zugrunde lag eine gemischte Kostenentscheidung. Soweit diese auf § 269 Abs. 3 ZPO beruht, war sie nach § 269 Abs. 5 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Die nach § 567 Abs. 2 ZPO erforderliche Beschwer von mehr als 200 EUR wäre hier gegeben gewesen. Allerdings hätte eine sofortige Beschwerde keinen Erfolg gehabt. Sie hätte nur unnötige Kosten ausgelöst.
3. Richtiges Vorgehen in entsprechenden Fällen
Das unbefriedigende Ergebnis hätte sich leicht vermeiden lassen.
a) Beschränkung des Mahnantrags
Zunächst einmal hätte schon vor Erlass des Mahnbescheids überlegt werden müssen, ob der Mahnbescheid tatsächlich wegen der vollen Forderung in Höhe von 10.000 EUR beantragt werden soll oder ob nicht schon im Mahnverfahren die Forderung auf 6.000 EUR zu begrenzen gewesen wäre. Über die Solvenz des Gegners sollte man sich gegebenenfalls schon vor Einleitung des Mahnverfahrens Gedanken machen. Abgesehen davon kann man die Klage später problemlos erweitern.
b) Beschränkung des Streitantrags
Nach dem Widerspruch hätte nicht sogleich die Abgabe beantragt werden dürfen. Vielmehr hätte die Abgabe nur wegen der 6.000 EUR beantragt werden dürfen. Der Streitwert des gerichtlichen Verfahrens hätte sich dann nur auf 6.000 EUR belaufen. Die 3,0-Gebühr der Nr. 1210 KV GKG wäre auch nur aus 6.000 EUR erhoben worden (unter Abzug einer 0,5-Gebühr aus 6.000 EUR; Anm. Abs. 2 zu Nr. 1210 KV GKG) und der Kläger wäre mit seiner Forderung voll durchgedrungen. Er hätte dann also eine 100%ige Kostenerstattung erhalten.
Die restlichen 4.000 EUR wären dann zunächst im Mahnverfahren „steckengeblieben“. Solange keine der beiden Parteien einen Streitantrag gestellt hätte, wären neben der bereits abgerechneten 0,5-Gerichtsgebühr aus der Differenz von 6.000 EUR zu 10.000 EUR keine weiteren Kosten entstanden.
c) Teilweise Rücknahme des Streitantrags
Aber auch nach dem Streitantrag wegen der gesamten 10.000 EUR hätten die Kosten noch minimiert werden können. R hätte nämlich bis zur mündlichen Verhandlung noch den Streitantrag zurücknehmen können (§ 696 Abs. 4 S. 1 ZPO). Dies hätte im Gegensatz zur Klagerücknahme keinen Kostennachteil gehabt, weil damit nachträglich die Rechtshängigkeit der 4.000 EUR entfallen wäre. Die 4.000 EUR wären wieder in das Mahnverfahren „zurückversetzt“ worden. Insoweit hätte auch keine (anteilige) Kostenentscheidung ergehen dürfen, da die Rücknahme eines Streitantrags keine Kostenfolge nach sich zieht (BGH NJW-RR 06, 201 = AGS 05, 570). Mit Rücknahme des Streitantrags wird die Sache nämlich nicht erledigt, sondern nur in das Mahnverfahren zurückversetzt. Erst wenn jemand (erneut) den Streitantrag hinsichtlich dieser 4.000 EUR stellt, wird darüber entschieden. Anderenfalls passiert nichts.
Unsichere Forderungen im Mahnbescheid bergen ein Risiko Merke | Auch wenn das Mahnverfahren ein „vereinfachtes Verfahren“ ist und häufig dazu genutzt wird, eine Forderung titulieren zu lassen, ohne sie begründen zu müssen, bedeutet dies nicht, dass man sich vor Einleitung des Mahnverfahrens keine Gedanken über die Begründetheit der Forderung machen muss. Sicherlich kann man darauf hoffen, dass der Gegner sich nicht meldet und dann ein Vollstreckungsbescheid gegen ihn ergeht. Man muss aber immer damit rechnen, dass der Gegner sich verteidigt und man dann die Forderung begründen muss. Es ist daher ein gewisses Risiko, unsichere Forderungen im Mahnbescheid geltend zu machen, in der Hoffnung, der Schuldner werde sich nicht melden oder die Forderung akzeptieren. |
4. Fazit
Hat der Schuldner Widerspruch eingelegt, dürfen Sie nicht ohne weitere Überlegung den Streitantrag stellen. Schon gar nicht darf der Streitantrag im Mahnbescheid gestellt werden, was nach § 696 Abs. 1 S. 2 ZPO möglich ist. Vielmehr sollten Sie überlegen, ob Sie mit der gesamten Forderung in das streitige Verfahren übergehen oder ob Sie sich auf einen sicheren Teil der Forderung beschränken. Selbst wenn die Sache in vollem Umfang abgegeben worden ist und Sie feststellen, dass die geltend gemachte Forderung nicht oder nicht in vollem Umfang durchsetzbar ist, sollten Sie nicht die Klage zurücknehmen, sondern nur den Streitantrag. Das ist kostengünstiger.
AUSGABE: RVGprof 9/2025, S. 153 · ID: 50489362