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Lph 8Nachträge und Terminclaims: So beraten Sie Auftraggeber zum neuen BGH-Urteil richtig

Top-BeitragAbo-Inhalt02.01.20251362 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Gabriela Böhm, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht u. a., Partnerin c.r.p. law. partnerschaft mbb, Frankfurt am Main

| Als Objektüberwacher stehen Sie häufig vor der Herausforderung, Nachtragsforderungen von Auftragnehmern zu prüfen, die auf vermeintlichen Verzögerungen durch Vorunternehmer oder angeblich verletzten Mitwirkungspflichten Ihres Auftraggebers basieren. Eine aktuelle BGH-Entscheidung hilft Ihnen bei der Einschätzung, ob und wann die Nachträge berechtigt sind. PBP stellt Ihnen die Entscheidung vor und erläutert deren Folgen für Ihr Tagesgeschäft in der Objektüberwachung. |

Die Problematik für Sie in der Lph 8

In der Praxis werden Nachtragsforderungen und Terminclaims häufig mit Verzögerungen durch Vorunternehmer oder vermeintlich fehlenden Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers begründet.

Typische Beispiele aus der Praxis

  • Verspätete Vorunternehmerleistungen: Der Rohbauer kann nicht rechtzeitig beginnen, da der Tiefbauer seine Arbeiten nicht abgeschlossen hat.
  • Unzureichende Koordination: Gewerke behindern sich gegenseitig, weil der Auftraggeber angeblich keine ausreichenden Zeitpuffer eingeplant hat.
  • Verzögerte Bauablaufpläne: Der Auftragnehmer führt an, dass er wegen nicht rechtzeitig übermittelter Pläne den Bauablauf nicht einhalten konnte.

In solchen Fällen berufen sich Auftragnehmer häufig auf Behinderungen gemäß § 6 Abs. 2 VOB/B und stellen Nachtragsforderungen. Doch sind diese Nachträge berechtigt?

Der aktuelle Fall beim BGH

In dem Fall, der letztlich beim BGH gelandet war, begehrte ein Unternehmen, das mit der Errichtung von Starkstromanlagen beauftragt war, die Zahlung von 56.729,59 Euro aufgrund von Mehrkosten infolge einer Bauzeitverlängerung. Der Beklagte, ein öffentlicher Auftraggeber, hatte dem Unternehmen die Leistungen im Juni 2018 unter Einbeziehung der VOB/B (2016) vergeben. Gemäß den Vertragsbedingungen sollte das Unternehmen seine Leistungen bis zum 10.01.2019 abnahmereif fertigstellen.

Bereits kurz nach Beginn der Bauausführung meldete das Unternehmen Behinderung wegen fehlender Ausführungsplanung an. Obwohl die ersten Pläne im Juli und August 2018 übergeben wurden, zeigte sich, dass das Unternehmen seine Leistungen nur in Teilbereichen aufnehmen konnte. Der Auftraggeber übermittelte im August 2018 einen Bauablaufplan, der die schrittweise Ausführung der Leistungen sowie eine Verschiebung wesentlicher Arbeiten ins Jahr 2019 vorsah. Nach weiteren Verzögerungen und der Übermittlung eines korrigierten Bauablaufplans im Januar 2019 wurde die Abnahme schließlich auf Oktober 2019 verschoben.

Der ausführende Betrieb zeigte über den Bauzeitraum hinweg wiederholt Behinderungen an, die auf verspätete Ausführungspläne und unvollständige Vorleistungen anderer Auftragnehmer zurückzuführen waren. Nach der Fertigstellung im November 2019 machte er in der Schlussrechnung Mehrkosten für Personal- und Baucontainerbereitstellung sowie gestiegene Tariflöhne geltend. Der Auftraggeber verweigerte die Zahlung. In erster Instanz wies das Landgericht die Klage ab. Auch die Berufung vor dem OLG Dresden blieb ohne Erfolg.

Die Entscheidung des BGH

Das ausführende Unternehmen legte daraufhin Revision ein, die der BGH in letzter Instanz aber ebenfalls zurückwies (BGH, Urteil vom 19.09.2024, Az. VII ZR 10/24, Abruf-Nr. 244585).

Kein Mehrvergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B

Der BGH bestätigte die Auffassung der Vorinstanzen, dass ein Mehrvergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B nicht bestand. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH setzt eine Anordnung im Sinne dieser Vorschrift eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Auftraggebers voraus, mit der einseitig eine Änderung der vertraglichen Leistungspflichten des Auftragnehmers herbeigeführt wird.

  • Kein Anordnungscharakter der Bauablaufpläne: Die vom Auftraggeber übermittelten Bauablaufpläne dienten lediglich der Koordination und Reaktion auf behinderungsbedingte Störungen, wie sie in § 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B geregelt sind. Sie konkretisierten die veränderten zeitlichen Abläufe infolge der Bauzeitverlängerung. Sie stellten aber keine Anordnung dar, die die Vertragsgrundlagen im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B änderten.
  • Systematische Abgrenzung: Die Verlängerung der Ausführungsfristen bei Behinderungen erfolgt gemäß den Regelungen in § 6 VOB/B. Störungen des Bauablaufs, die auf Umständen aus dem Risikobereich des Auftraggebers beruhen, begründen daher keinen Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B, sondern führen lediglich zu Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüchen, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind.

Kein Schadenersatzanspruch gemäß § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B

Ein solcher Schadenersatzanspruch nach § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B setzt voraus, dass die Bauzeitverzögerung adäquat-kausal durch eine Pflichtverletzung des Auftraggebers verursacht wurde. Die sah das Gericht hier nicht.

  • Fehlende Pflichtverletzung: Die verspätete Bereitstellung von Vorleistungen anderer Auftragnehmer und die verspätete Übermittlung von Ausführungsplänen waren lediglich Mitwirkungsobliegenheiten des Auftraggebers. Diese sind nicht mit einklagbaren Vertragspflichten gleichzusetzen.
  • Kausalität und Darlegungslast: Der Starkstromanlagenbauer konnte nicht hinreichend darlegen, dass die verlängerte Bauzeit ausschließlich auf einer Pflichtverletzung des Auftraggebers beruhte. Insbesondere fehlte eine bauablaufbezogene Darstellung, die den kausalen Zusammenhang zwischen einzelnen Pflichtverletzungen des Auftraggebers und der Bauzeitverlängerung konkretisiert hätte.

Kein Entschädigungsanspruch gemäß § 642 BGB

Der BGH wies auch einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch gemäß § 642 BGB i. V. m § 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B zurück. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass der Auftraggeber durch das Unterlassen einer ihm obliegenden Mitwirkungshandlung in Annahmeverzug geraten ist. Der Anlagenbauer trug nicht hinreichend vor, in welchem Zeitraum der Auftraggeber sich im Annahmeverzug befand und welche konkreten Produktionsmittel er während dieser Zeit unproduktiv bereitgehalten hatte.

Zudem konnte er die verlangten Mehrkosten nicht nach Maßgabe des § 642 BGB als angemessene Entschädigung für ungenutzte Produktionsmittel bemessen, sondern bezog sich auf Kostensteigerungen infolge der verlängerten Bauzeit.

Keine Anpassung nach § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage)

Auch einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB lehnte der BGH ab. Die zeitliche Verzögerung des Bauvorhabens stellte keine so schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlagen dar, dass dem Betrieb ein Festhalten am Vertrag ohne Anpassung der Vergütung unzumutbar gewesen wäre.

Das ist jetzt für Sie in der Lph 8 veranlasst

Die vom BGH behandelte rechtliche Differenzierung zwischen Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers und dessen Vertragspflichten liefert klare Ansatzpunkte zur Abwehr von Terminclaims. Für Objektüberwacher, die im Auftrag des Bauherrn tätig sind, ergeben sich daraus folgende Strategien:

Verantwortungsbereiche präzise abgrenzen

Terminclaims der Auftragnehmer basieren häufig auf Behauptungen, dass Bauzeitverzögerungen auf Pflichtverletzungen des Auftraggebers zurückzuführen seien, etwa wegen verspäteter Vorunternehmerleistungen oder mangelnder Planung. Das BGH-Urteil bestätigt, dass solche Umstände regelmäßig nicht als Pflichtverletzungen des Auftraggebers einzustufen sind, sondern lediglich in dessen Risikobereich als Obliegenheiten fallen. Ohne den Nachweis einer konkreten Pflichtverletzung scheidet ein Schadenersatzanspruch des Auftragnehmers aus (§ 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B).

Behinderungsanzeigen sorgfältig prüfen

Objektüberwacher sollten Behinderungsanzeigen der Auftragnehmer auf Vollständigkeit und Substantiierung hin prüfen. Das Urteil verdeutlicht, dass der Auftragnehmer nicht nur eine Behinderung behaupten, sondern auch deren kausale Verbindung zu einer Pflichtverletzung des Auftraggebers konkret und bauablaufbezogen darlegen muss. Fehlt eine solche Darstellung, sind die Ansprüche des Auftragnehmers in der Regel zurückzuweisen.

Kommunikation zur Bauzeitverlängerung steuern

Wird eine Behinderung angezeigt, sollte die Bestätigung einer Bauzeitverlängerung stets klar und ohne Anerkennung weitergehender Ansprüche formuliert werden. Die Mitteilung einer verlängerten Ausführungsfrist gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B begründet weder einen Schadenersatzanspruch noch eine Entschädigung.

Keine Anordnung i. S. v. § 2 Abs. 5 VOB/B

Die Übermittlung von Bauablaufplänen und behinderungsbedingten Anpassungen darf nicht als Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B ausgelegt werden. Objektüberwacher sollten daher klarstellen, dass es sich um Maßnahmen zur Koordination der Gewerke handelt und keine Erweiterung der vertraglichen Leistungspflichten des Auftragnehmers vorliegt.

Entschädigungsansprüche auf Grundlage von § 642 BGB begrenzen

Entschädigungsansprüche nach § 642 BGB können nur für die unproduktive Bereithaltung von Produktionsmitteln während eines Annahmeverzugs geltend gemacht werden. Der Auftragnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Dauer des Verzugs und die ungenutzte Bereithaltung von Personal, Geräten und Kapital. Fehlen hierzu konkrete Angaben, sind diese Ansprüche nicht durchsetzbar.

Nachtragsforderungen detailliert hinterfragen

Oft werden Terminclaims mit Nachtragsforderungen kombiniert. Hier sollten Objektüberwacher darauf achten, dass sich die Forderungen nicht auf hinderungsbedingte Bauzeitverlängerungen stützen, die durch Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers ausgelöst wurden. Auch insoweit gelten die vom BGH bestätigten Kriterien zur Abgrenzung von Obliegenheiten und Pflichtverletzungen.

Wie ist die Entscheidung im HOAI-Kontext einzuordnen?

In den obigen Ausführungen hat PBP die BGH-Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Dokumentationspflichten und Kontrollaufgaben des Objektüberwachers bei Behinderungen und Bauzeitverschiebungen behandelt. Nachfolgend erfolgt eine fachliche Präzisierung im Hinblick auf die Leistungsbilder der HOAI 2021.

Dabei geht es insbesondere um die Abgrenzung von Grundleistungen und Besonderen Leistungen bei der Prüfung von Nachträgen in den Lph 7 und 8. Ob der Architekt auch abgerechnete bauinhaltliche Nachtragspositionen aus geänderten oder zusätzlichen Leistungen oder Bauumstandsnachträge, insbesondere Bauzeitnachträge, prüfen muss, ist umstritten. Die Frage dürfte jedoch entsprechend der Pflicht zur Prüfung von Nachtragsangeboten aus der Leistungsphase 7 zu beantworten sein (vgl. Fuchs/Berger/Seifert/Seifert/Fuchs, 3. Aufl. 2022, HOAI § 34 Rn. 319).

Lph 7: Mitwirken bei der Vergabe

Die fachtechnische Prüfung von Nachtragsangeboten ist primär der Lph 7 zugeordnet. Grundleistung u. a.:

  • Prüfen und Werten der Angebote zusätzlicher und geänderter Leistungen der ausführenden Unternehmen und der Angemessenheit der Preise.

Besondere Leistung

  • Mitwirken bei der Prüfung von bauwirtschaftlich begründeten Nachtragsangeboten.
  • Die Prüfung von Bauzeitnachträgen wird aufgrund der hohen baubetrieblichen und baurechtlichen Prüfungsanforderungen ebenfalls nicht von der Grundleistung abgedeckt, sondern erfordert eine Beauftragung als Besondere Leistung. Zu berücksichtigen hierbei ist, dass der Architekt nur auf ein Mitwirken beschränkt ist (BGH, Urteil vom 09.11.2023, Az. VII ZR 190/22 – Stichwort unzulässige Rechtsberatung durch Architekten). Der Auftraggeber oder seine juristischen oder baubetrieblichen Berater dürfte die Prüfung derartiger Nachträge verantwortlich durchzuführen haben, sodass der Architekt insoweit nur aufgrund seiner Kenntnisse der Bauabläufe unterstützend tätig werden sollte.

Lph 8: Objektüberwachung

Grundleistungen sind hier u. a.:

  • Überwachung der Bauausführung auf Übereinstimmung mit den Verträgen
  • Dokumentation des Bauablaufs
  • Fortschreibung von Terminplänen
  • Überwachung von Behinderungsanzeigen und deren Auswirkungen auf den Bauablauf

Wichtig Eine inhaltliche Prüfung von Nachträgen – insbesondere Bauzeitnachträgen – fällt nicht in die Grundleistungen des isoliert mit der Objektüberwachung beauftragten Architekten. Sie fällt nur dann in seinen Aufgabenbereich, wenn dies ausdrücklich als Besondere Leistung vereinbart wurde. Ohne eine solche Vereinbarung ist die Nachtragsprüfung weder vom Grundleistungshonorar in Lph 8 abgedeckt noch vom Architekten geschuldet. Sollte der Auftraggeber dennoch eine solche Prüfung verlangen, ist dies gesondert zu honorieren – entweder durch ein anteiliges Honorar aus Lph 7 oder durch eine Vereinbarung zur Besonderen Leistung in Lph 8.

Fazit | Die Entscheidung des BGH unterstreicht, dass Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers regelmäßig als Obliegenheiten und nicht als vertragliche Pflichten anzusehen sind. Dabei hat der BGH klargestellt, dass Behinderungen, die auf solchen Obliegenheiten beruhen, zwar eine Bauzeitverlängerung gemäß § 6 Abs. 2 VOB/B rechtfertigen können, jedoch keinen Schadenersatzanspruch nach § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B begründen. Für einen Schadenersatzanspruch ist die Verletzung einer vertraglichen Pflicht erforderlich, was im Falle bloßer Mitwirkungshandlungen ausgeschlossen ist. Im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 642 BGB hebt das Urteil hervor, dass der Auftragnehmer die Anforderungen des Annahmeverzugs konkret darzulegen hat. Fehlt es an einer detaillierten bauablaufbezogenen Darstellung der Behinderung und deren Auswirkungen, scheidet sowohl ein Anspruch auf Schadenersatz als auch auf Entschädigung aus. Diese Differenzierung ist insbesondere für Objektüberwacher von Bedeutung, da sie einen klaren Ansatz zur Abwehr von Terminclaims bietet. Sie sollten das Urteil aber auch im HOAI-Kontext (Grundleistung - Besondere Leistung) und der BGH-Rechtsberatungsrechtsprechung richtig einordnen.

AUSGABE: PBP 1/2025, S. 11 · ID: 50261655

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