FeedbackAbschluss-Umfrage

PersonalmanagementFehlzeiten auf Höchststand: Kann man „robusten Mitarbeitern“ Anwesenheitsprämien ausloben?

Abo-Inhalt28.08.20245 Min. LesedauerVon Fachanwalt für Arbeitsrecht Jörg Steinheimer und Rechtsanwältin Saskia Koçak, LIEB.Rechtsanwälte, Nürnberg

| „Chef, ich bin heute krank!“ Mit dieser Schlagzeile hat die ZEIT vom 08.08. aufgemacht und in dem Beitrag auf historische Höchststände bei Fehlzeiten und Krankenständen hingewiesen. Auch Architektur- und Ingenieurbüros sind davon betroffen. Büroinhaber stellen sich deshalb die Frage, ob sie Anwesenheitsprämien für „robuste Mitarbeiter“ ausloben können und wie sie das rechtssicher umsetzen. |

Regelungen aus Entgeltfortzahlungsgesetz kennen

Eine Überlegung ist, eine jährliche, freiwillige Anwesenheitsprämie gestaffelt nach der Anzahl der Krankheitstage zu zahlen; z. B. bei weniger als fünf Krankheitstagen 2.000 Euro brutto, bei fünf bis zehn Tagen 1.000 Euro, bei zehn bis 15 Tagen 500 Euro und ab 16 Tagen nichts mehr.

Doch das funktioniert so nicht. Die Kürzung einer Sondervergütung für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit ist zwar zulässig, aber nicht grenzenlos möglich. Denn die Kürzung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit darf maximal ein Viertel des Arbeitsentgelts betragen, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. So bestimmt es § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).

Rettung durch Freiwilligkeitsvorbehalt?

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Sonderzahlung wirksam mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt für die Zukunft versehen werde könnte – was rechtlich zweifelhaft ist –, ändert das nichts daran, dass die Kürzungsvorschrift des § 4a EFZG greift. Bitter für Sie: Eine unwirksame Prämienklausel kann nicht auf das gesetzlich zulässige Maß reduziert werden. Sie müssten die Prämie voll zahlen, auch wenn der Mitarbeiter z. B. 200 Tage krank war.

Widerrufsvorbehalt möglich?

Auch ein Widerrufsvorbehalt – der rechtlich möglich sein dürfte – setzt § 4a EFZG nicht außer Kraft. Außerdem stellt die Rechtsprechung für einen Widerrufsvorbehalt strenge Regeln auf.

Beispiel § 4a-EFZG-konforme Kürzung um krankheitsbedingte Fehltage

Ein Mitarbeiter erhält bei einer Fünf-Tage-Woche 3.000 Euro brutto monatlich sowie eine einmalige Anwesenheitsprämie in Höhe von 2.000 Euro brutto. Gemäß Arbeitsvertrag wird die Anwesenheitsprämie konform mit § 4a EFZG um krankheitsbedingte Fehltage gekürzt. Der Arbeitnehmer ist im Jahr 2024 an 30 Arbeitstagen (von 250 Arbeitstagen) krankheitsbedingt nicht zur Arbeit erschienen.
Ohne Sonderzahlung beträgt das Jahresbruttoentgelt 36.000 Euro (12 x 3.000 Euro). Auf einen Arbeitstag entfallen 144 Euro (36.000 Euro : 250 Arbeitstage). 1/4 davon machen 36 Euro aus. Die Anwesenheitsprämie von 2.000 Euro darf also um höchstens 1.080 Euro (36 Euro x 30 Fehltage) gekürzt werden. Im Ergebnis würde die Prämie erst ab 56 Krankheitstagen entfallen.

Wichtig | § 4a EFZG stellt auf das Arbeitsentgelt ab, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. Sonn- und Feiertagszuschläge, Leistungszulagen und Bonuszahlungen aus Zielvereinbarungen mit individuellen Leistungszielen zählen zum laufenden Entgelt, das nicht gekürzt werden kann.

Anderweitige Kürzungsmöglichkeiten außer Krankheit

Abgesehen von krankheitsbedingten Fehlzeiten, bei denen die Kürzung auf ein Viertel des Tagesentgelts beschränkt ist, dürfen Sie die Anwesenheitsprämie ohne Beschränkung in folgenden Fällen kürzen:

  • Um Fehlzeiten, in denen der Arbeitnehmer unberechtigt von der Arbeit fehlt: z. B. bei „Blau-Machen“, Verspätung oder aus Gründen, die der Arbeitnehmer persönlich zu vertreten hat (z. B. Hochzeit eines Freundes).
  • Im Falle einer (auch berechtigten) Streikteilnahme: Denn für Zeiten einer Streikteilnahme besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
  • Für Elternzeit, weil hier ohnehin kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht und das Arbeitsverhältnis ruht. Im Übrigen trifft diese Kürzungsmöglichkeit Männer und Frauen gleichermaßen, sodass kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt.

Ausschluss der Kürzungsmöglichkeit

Für folgende Fehlzeiten dürfen Sie Anwesenheitsprämien nicht kürzen:

  • Bezahlter Erholungsurlaub: In den nach § 1 BUrlG geregelten Mindesturlaubsanspruch darf nicht durch die Arbeitsvertragsparteien eingegriffen werden. Eine Kürzung wegen unbezahlten Sonderurlaubs ist dagegen möglich, da hier kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht.
  • Mutterschutz: Eine Kürzung der Prämie für die Fehlzeiten infolge des Mutterschutzes ist nicht möglich (Verstoß gegen Art. 14 der Europäischen Grundrechtecharta sowie gegen § 7 i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 2 AGG).

Ausgestaltung der Anwesenheitsprämie

Wenn Sie sich dennoch für eine Anwesenheitsprämie entscheiden, sollten Sie diese (und auch die Kürzungsmodalitäten) explizit – am besten im Arbeitsvertrag – regeln. Die Klausel könnte wie folgt lauten:

Musterformulierung / Anwesenheitsprämie

  • 1. Zusätzlich zum monatlichen Grundgehalt erhält der/die Arbeitnehmer/-in für das laufende Kalenderjahr eine Anwesenheitsprämie in Höhe von bis zu … Euro brutto.
  • 2. Die Anwesenheitsprämie wird für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit um 1/4 desjenigen Bruttoarbeitsentgelts gekürzt, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt.
  • 3. Für die Dauer berechtigter Fehlzeiten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung (insbesondere unbezahlter Sonderurlaub, Streik) wird die Anwesenheitsprämie jeweils um dasjenige Bruttoarbeitsentgelt gekürzt, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. Gleiches gilt für den Fall unberechtigter Fehlzeiten.
  • 4. Ruht das Arbeitsverhältnis während des gesamten Kalenderjahrs aufgrund von Elternzeit o. Ä., entsteht kein Anspruch auf Zahlung der Anwesenheitsprämie. Ruht das Arbeitsverhältnis nicht das gesamte Kalenderjahr, wird die Anwesenheitsprämie jeweils um 1/12 pro vollem Kalendermonat Fehlzeit gekürzt.
  • [5. Ggf. Widerrufsvorbehalt, wenn man das Risiko eingehen möchte.]
  • 6. Die Anwesenheitsprämie wird im ... [Monat] des Folgejahrs berechnet und ausgezahlt. Bei unterjährigem Ein- oder Austritt erfolgt eine anteilige Berechnung. Im Austrittsfall erfolgt die Auszahlung mit der letzten Abrechnung.

Wichtig | Als Arbeitgeber können Sie über die Einführung einer Anwesenheitsprämie frei entscheiden. Ein Betriebsrat (so es einen gibt) kann nicht mitbestimmen. Etwas anderes gilt hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung. Hier muss der Betriebsrat beteiligt werden (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG).

Alternative Möglichkeiten zur Anwesenheitsprämie

Aufgrund der eingeschränkten Kürzungsmöglichkeit im Krankheitsfall ist die Anwesenheitsprämie kaum ein Anreiz für Mitarbeiter, Fehlzeiten zu reduzieren. Sie haben folgende Alternativen:

  • Sie haben die Möglichkeit zu vereinbaren, dass ein 13. Monatsgehalt als reines Entgelt nur für Zeiten der Entgelt(fort-)zahlung entsteht. Erhält der Arbeitnehmer dann bei einer länger als sechswöchigen Erkrankung nur noch Krankengeld (oder aus anderen Gründen keinen Lohn), kürzt sich der Anspruch auf das 13. Monatsgehalt, ohne dass eine Kürzung vereinbart werden müsste (BAG, Urteil vom 21.03.2001, Az. 10 AZR 28/00, Abruf-Nr. 145609).
  • Offiziell kann eine nur freiwillige Gratifikation gewährt werden, bei denen die Arbeitnehmer weder einen Verteilschlüssel noch Kriterien für die Bildung der Gratifikation erkennen können.
  • Sie könnten statt Geld übergesetzliche, freiwillige Urlaubstage gewähren. Europarechtlich ist noch nicht entschieden, ob ein Urlaubsanspruch einen geldwerten Entgeltcharakter hat. Dann würde wieder § 4a EFZG greifen. Entsprechende Formulierungen und Staffelungen sollten jedenfalls nicht ohne arbeitsrechtliche Beratung gewählt werden.
  • Statt die bloße Anwesenheit zu prämieren, versprechen leistungs- und erfolgsabhängige Vergütungssysteme oder eine Mitarbeiterbeteiligung mehr Erfolg bei der gewünschten Steigerung der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter.

AUSGABE: PBP 9/2024, S. 30 · ID: 50129497

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2024

Bildrechte