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WohnraummieteTreuwidrige Kündigung bei unklarer Mieterhöhung und Zahlungsverzug
| Eine vermieterseits auf § 543 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a und b BGB gestützte außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund ist nach § 242 BGB ohne vorherige Abmahnung rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter über einen Zeitraum von 16 Monaten nach einer vermeintlichen übereinstimmenden Mieterhöhung zugewartet hat, bis der vermeintliche Zahlungsverzug einen kündigungsrelevanten Umfang erreicht, obwohl für ihn erkennbar war, dass der Mieter von einer vollständigen Zahlung der geschuldeten Miete ausging (AG Gießen 17.1.25, 46 C 55/24, Abruf-Nr. 249811). |
Im Mietvertrag war eine Bruttomiete von 1.180 DM vereinbart (980 DM Nettokaltmiete und 200 DM Betriebskostenvorauszahlung). Nach der Euro-Umstellung entsprach dies einer monatlichen Nettokaltmiete von 501,07 EUR zzgl. 102,26 EUR Vorauszahlung. Ab 2013 zahlten die Mieter eine monatliche Bruttomiete von 500 EUR. Grundlage war eine Mietbescheinigung zur Vorlage bei der Grundsicherungsbehörde, die vom verstorbenen Ehemann der Vermieterin unterzeichnet war. Darin wurde die Miethöhe mit 500 EUR angegeben, aufgeschlüsselt in 350 EUR Kaltmiete und 150 EUR Betriebskosten. Die Zahlungen beanstandete die Vermieterin jahrelang nicht. Im Februar 2022 verlangte sie schriftlich eine Mieterhöhung ab Mai auf 600 EUR. In dem Erhöhungsverlangen wurde ausdrücklich auf die bislang unveränderte Miethöhe von 501,07 EUR seit 1996 hingewiesen; eine Differenzierung zwischen Kaltmiete und Nebenkostenvorauszahlungen erfolgte nicht. Die Mieter stimmten zu und zahlten ab Mai 2022 monatlich 600 EUR. Im August 2023 erklärte die Vermieterin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs. Sie meinte, die Erhöhung habe sich nur auf die Nettokaltmiete bezogen und die bisherige Betriebskostenvorauszahlung von 102,62 EUR sei weiter geschuldet. Aus den Differenzbeträgen über 16 Monate errechnete sie einen Rückstand von 1.636,16 EUR.
Die Räumungsklage scheiterte. Das AG ließ offen, ob ein kündigungsrelevanter Zahlungsverzug bestand, denn die Kündigung sei nach § 242 BGB unwirksam. Die Vermieterin habe über Jahre eine Bruttomiete von 500 EUR widerspruchslos akzeptiert. Auch das Erhöhungsverlangen vom Februar 2022, in dem ohne jede Differenzierung von einer Erhöhung auf 600 EUR die Rede gewesen sei, habe für die Mieter plausibel den Eindruck erweckt, sie seien zur Zahlung dieses Betrags in voller Höhe verpflichtet. In einer solchen Fallkonstellation hätte eine Abmahnung zwingend erfolgen müssen. Die Mieter durften aufgrund des Wortlauts des Erhöhungsverlangens und der jahrelangen Duldung ihrer Zahlweise davon ausgehen, dass 600 EUR der geschuldeten Miete entsprechen. Eine fristlose oder ordentliche Kündigung ohne vorherige Klarstellung sei daher rechtsmissbräuchlich. Dass sich der vermeintliche Rückstand aus einer Betriebskostendifferenz ergebe, die sich aus dem ursprünglichen Mietvertrag ergab und bereits vor 2013 bestand, ändere daran nichts (Verweis auf KG 16.3.23, 8 U 178/22).
Beachten Sie | Die Anwendung des § 242 BGB auf Kündigungen wegen Zahlungsverzugs entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung. Danach ist eine Kündigung rechtsmissbräuchlich, wenn der Zahlungsrückstand für den Vermieter offenkundig auf einem Versehen des Mieters beruht. In solchen Fällen ist vorab regelmäßig eine Abmahnung erforderlich (KG, a. a. O.; OLG Brandenburg 29.11.22, 3 U 93/21; OLG Hamm 24.4.98, 33 U 97/97).
AUSGABE: MK 9/2025, S. 160 · ID: 50515719