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EinkommensteuerErmäßigte Besteuerung bei Kapitalauszahlung aus betrieblicher Altersversorgung?

Abo-Inhalt05.03.20254 Min. LesedauerVon StB Dipl.-Finw. (FH) Karl-Heinz Günther, Übach-Palenberg

| Ist bei einer betrieblichen Altersversorgung ein Wahlrecht zwischen Verrentung und Kapitalauszahlung vorgesehen und entscheidet sich der Steuerpflichtige für eine einmalige Auszahlung, ist das Kriterium der „mehrjährigen Tätigkeit“ (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) für eine ermäßigte Besteuerung regelmäßig erfüllt (vgl. u. a. BFH 6.5.20, X R 24/19). Sind derartige Kapitalauszahlungen aber auch „außergewöhnlich“ i. S. des § 34 Abs. 2 EStG? |

1. Das Kriterium der Außerordentlichkeit

Außerordentlichkeit i. S. des § 34 Abs. 2 EStG bedeutet, dass die Einkünfte insgesamt auf einem Ereignis beruhen müssen, das nicht regelmäßig, sondern einmalig eintritt. Es muss sich dabei um einen ungewöhnlichen, bedeutsamen und untypischen Vorgang handeln. Durch die Tarifbegünstigung soll bei Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten erreicht werden, dass die steuerliche Belastung für Einkünfte, die dem Steuerpflichtigen in einem Veranlagungszeitraum für die Tätigkeit mehrerer Jahre zufließen, möglichst nicht höher wird als bei gleichmäßiger Verteilung auf mehrere Veranlagungszeiträume (BFH 14.10.04, VI R 46/99).

Grundvoraussetzung ist eine Zusammenballung der Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum. Bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ist hierfür ausreichend, dass die Zusammenballung auf wirtschaftlich vernünftigen Gründen beruht; bei anderen Einkünften muss die Zusammenballung aufgrund eines nicht vertragsgemäßen oder nicht typischen Ablaufs eintreten (R 34.4 Abs. 1 S. 3 EStR).

2. Rechtsprechungsentwicklung des BFH

Bei einem bestehenden Kapitalwahlrecht in der ursprünglichen Versorgungsregelung kann eine Außerordentlichkeit nur vorliegen, wenn die Zusammenballung nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entspricht. In der betrieblichen Altersversorgung sind Kapitalwahlrechte – anders als bei der Basisversorgung – nicht atypisch, sodass Zuflüsse aus Einmalzahlungen nicht außerordentlich sind (BFH 20.9.16, X R 23/15).

Merke | Diese Rechtsprechung hat der BFH in späteren Entscheidungen dahin gehend geändert, dass die vertragliche Vereinbarung nur ein Indiz bei der Beurteilung der Atypik darstellt, dem aber keine entscheidende Bedeutung zukommt. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird. Hierfür muss statistisches Material ausgewertet werden, worüber Organisationen, wie die zentrale Stelle (§ 81 EStG), Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter verfügen dürften (BFH 11.6.19, X R 7/18; BFH 6.5.20, X R 24/19 und X R 7/19).

Zum Umfang der statistischen Erhebung ist nach Auffassung des BFH auf sämtliche Versicherungsverträge abzustellen, die zu Leistungen i. S. des § 22 Nr. 5 S. 1 EStG aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen führen und die durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung oder sonstige Vertragsauflösung beendet worden sind. Dabei ist keine weitere Binnendifferenzierung vorzunehmen, d. h., es ist nicht zwischen Direktversicherungen, Pensionsfonds und Pensionskassen zu unterscheiden.

3. Nachfolgend ergangene FG-Entscheidungen

Das FG Köln (30.9.21, 15 K 855/18) hat nach Zurückverweisung durch den BFH Ermittlungen zu statistischen Erhebungen angestellt und die Klage abgewiesen, da es die vom BFH geforderte Atypik nicht feststellen konnte. Denn die eingeholten statistischen Daten waren letztlich unergiebig. Die überwiegende Zahl der angefragten Behörden und Organisationen hatte mitgeteilt, nicht über die gewünschten statistischen Daten zu verfügen. Entsprechend entschied auch das FG Berlin-Brandenburg (26.10.20, 7 K 7032/16) im zweiten Rechtsgang, da es die vom BFH geforderte Datenbasis nicht beschaffen konnte.

Beachten Sie | Das FG Köln äußerte in seiner Entscheidung jedoch Zweifel, ob an den vom BFH aufgestellten Grundsätzen festgehalten werden kann, wenn sich die von ihm beauftragte empirisch-statistische Auswertung als nicht durchführbar herausgestellt hat.

Auch das FG Münster (24.10.23, 1 K 1990/22 E) versagte im Ergebnis die Anwendung von § 34 EStG, schloss sich jedoch den vom FG Köln geäußerten Bedenken an. Die Revision wurde zugelassen (und eingelegt: BFH X R 25/23), da der BFH bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist. Zudem wies das FG darauf hin, dass für Fälle, in denen die statistischen Daten tatsächlich vorliegen, unklar ist, ab welchem Prozentsatz eine Atypik angenommen werden kann.

Zudem ist auf das Urteil des FG Thüringen (13.12.23, 4 K 294/20) hinzuweisen, das ebenfalls Bedenken hat, ob die vom BFH aufgestellten Kriterien zur Beurteilung des Merkmals der Atypik im Hinblick auf Kapitalauszahlungen aus Direktversicherungen i. S. von § 22 Nr. 5 S. 1 EStG noch Bestand haben können. Auch hier ist die Revision anhängig (BFH X R 28/23).

Fazit | Aus den dargestellten FG-Entscheidungen ist klar ersichtlich, dass die Rechtsprechung in Bewegung ist und sich der BFH in den anhängigen Revisionsverfahren insbesondere damit auseinandersetzen muss, dass (entgegen seiner Annahme) keine aussagekräftigen empirischen Daten zu Kapitalauszahlungen bei betrieblichen Altersvorsorgeverträgen zur Verfügung stehen.
Betroffene Steuerpflichtige, denen die ermäßigte Besteuerung versagt wird, sollten daher Einspruch einlegen und auf die gesetzliche Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 AO verweisen.

AUSGABE: MBP 3/2025, S. 41 · ID: 50285160

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