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StrafrechtVerwechslungsfall zeigt: Halten Sie sich bei Sterilisationen an die rechtlichen Vorgaben!
| Mit einem für die Patienten besonders tragischen Verlauf hatte ein Chirurg gleich bei zwei Operationen fehlerhaft gehandelt: Im ersten Fall sterilisierte er im Zuge einer Leistenbruch-OP einen Patienten, der gar nicht sterilisiert werden sollte – aufgrund einer Personenverwechslung. Im anderen Fall nahm er bei einem einwilligungsunfähigen Patienten eine Sterilisation vor – ohne dass ein Sterilisationsbetreuer oder das Betreuungsgericht zugestimmt hätten. Das strafrechtliche Verfahren gegen den Chirurgen gelangte bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Dieser hat nunmehr seine Revisionsentscheidung (Beschluss vom 17.04.2024, Az. 1 StR 403/23) getroffen. Was (Chef-)Ärzte im Krankenhaus zu dieser Entscheidung und zu den juristischen Erfordernissen bei Sterilisationen wissen sollten, zeigt dieser Beitrag. |
Chirurg verwechselt zwei Patienten – mit tragischen Folgen
Das strafrechtliche Verfahren richtete sich gegen einen Facharzt für Allgemeinchirurgie. Dieser hatte im Jahr 2016 die beiden Sterilisationen vorgenommen.
Chirurg sterilisiert erst den falschen Patienten ...
Im ersten Fall sterilisierte der Chirurg im Rahmen einer beidseitigen Leistenbruch-OP einen 17-jährigen Patienten, der unter Autismus litt. Er ging aufgrund einer Personenverwechslung davon aus, einen anderen Patienten zu operieren, bei dem zeitgleich zur Behandlung des Leistenbruchs eine Sterilisation durchgeführt werden sollte. Unmittelbar im Anschluss an den Eingriff erkannte der Chirurg seinen Irrtum. Er legte die Personenverwechslung noch am selben Tag gegenüber der Mutter des Patienten offen und vermittelte sie am Folgetag an einen Spezialisten für Refertilisation. Zwei Wochen später konnte die Zeugungsfähigkeit durch eine sechsstündige robotisch unterstützte Operation – nicht ausschließbar – wiederhergestellt werden.
... und dann den richtigen, aber ohne Bestellung eines Sterilisationsbetreuers!
Etwa einen Monat später sterilisierte der Chirurg dann den anderen Patienten, mit dem er zuvor den ersten Patienten verwechselt hatte. Doch auch bei der zweiten Sterilisations-OP kam es zu einem gravierenden Fehler: Der Patient selbst war einwilligungsunfähig. Zwar holte der Chirurg die Einwilligung der Eltern ein, die als Betreuer ihres Sohnes bestellt waren. Jedoch wurde kein separater Sterilisationsbetreuer bestellt – und auch die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts für die Sterilisation lag nicht vor.
Wofür wurde der Chirurg wie verurteilt?
Das in erster Instanz zuständige Landgericht (LG) München verurteilte den Chirurgen insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dies bedeutet, dass im Falle seines Wohlverhaltens der Chirurg tatsächlich keine Gefängnisstrafe antreten muss.
1. OP = vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung
Wegen der Personenverwechslung bei der ersten OP sah das Gericht den Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einer versuchten schweren Körperverletzung als erfüllt an. Eine vorsätzliche Körperverletzung wurde angenommen, da natürlich kein Einverständnis von Patientenseite bestand mit dem Sterilisationseingriff und dieser daher mangels rechtfertigender Einwilligung juristisch eine vorsätzliche Körperverletzung darstellt. Der Straftatbestand der „schweren“ Körperverletzung als Versuch stand in Rede, da der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit als „schwere Folge“ qualifiziert wurde.
Eine Strafbarkeit wegen Versuchs – hier der schweren Körperverletzung – scheidet aus, wenn der Angeklagte freiwillig von seiner Tat zurücktritt. Die Freiwilligkeit des Rücktritts hatte das LG München verneint, obwohl der Chirurg den Patienten bzw. seine Mutter sogleich an den Refertilisierungsexperten vermittelt hatte. Diese Bewertung der Münchener Richter teilte der BGH nicht. Nach Ansicht der BGH-Richter sei das LG München bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktritts von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Deshalb hob der BGH das Urteil des Landgerichts München auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Gerichtskammer zurück. Es bleibt daher abzuwarten, welche Strafe den Chirurgen im Ergebnis erwartet.
2. OP = schwere Körperverletzung
Unangetastet durch den BGH blieb jedoch die Bewertung der Strafbarkeit wegen der zweiten OP durch das Landgericht München: Hierfür wurde dem Chirurgen die Begehung einer schweren Körperverletzung zur Last gelegt. Dies deshalb, weil ihm die Einwilligung der Eltern ausreichte, die für den Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“ als Betreuer ihres Sohnes eingesetzt waren. Was jedoch unterblieb: Es war kein separater Sterilisationsbetreuer bestellt worden. Zudem fehlte die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts für die Sterilisation.
Rechtstipp: Bei Sterilisation reicht die Einwilligung der „normalen“ Betreuer nicht aus!
Für die Sterilisation bei betreuten einwilligungsunfähigen Patienten muss ein separater Sterilisationsbetreuer bestellt werden. Dies darf nicht der ansonsten eingesetzte „normale“ Betreuer übernehmen. Der Zweck dieser gesetzlichen Regelung in § 1817 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) liegt darin, dass der besondere Sterilisationsbetreuer eine neutrale Außensicht einnehmen kann. Zudem muss die Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation in einem separaten Betreuungsverfahren durch das Betreuungsgericht genehmigt werden. Auch diese gesetzliche Anordnung in § 297 Familiengesetz dient dem Schutz der Rechte der betroffenen Betreuten.
AUSGABE: CB 12/2024, S. 12 · ID: 50144089