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CBChefärzteBrief

StrafrechtChefärzte können für Nachlässigkeiten nachgeordneter Ärzte strafrechtlich verurteilt werden

Abo-Inhalt07.08.20244 Min. LesedauerVon RA Dr. Matthias Losert, LL.M., Berlin

| Dass Chefärzte zivilrechtlich im Sinne eines Organisationsverschuldens haften können, ist gemeinhin bekannt (CB 10/2021, Seite 13). Doch auch strafrechtlich können sie belangt werden, wenn sie gegen Fehler nachgeordneter Ärzte nicht einschreiten. Das musste ein niedergelassener HNO-Arzt erfahren, der mit einem Kollegen eine Gemeinschaftspraxis betrieb: Das Gericht verurteilte nicht nur den behandelnden Arzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge, sondern auch den Mitinhaber der Praxis wegen Beihilfe durch Unterlassen (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 18.06.2024, Az. 5 StR 67/24). Das Urteil ist auf Chefärzte im Krankenhaus übertragbar. |

HNO-Arzt missachtet ärztlichen Standard, Patient verstirbt

Ein HNO-Arzt führte im Jahr 2007 in seiner Praxis eine ambulante Operation an einem Kind durch. Nach dem Eingriff wurde das Kind in einen Aufwachraum verbracht. Wie bei solchen Operationen in einigen Fällen üblich, gab es eine Nachblutung, sodass der Patient nicht mehr atmen konnte. Er wurde durch einen herbeigeholten Notarzt versorgt und verstarb später. Der HNO-Arzt hatte darauf verzichtet, den Patienten nach dem Aufwachen im Aufwachraum zu überwachen. Das widersprach ärztlichen Standards. Denn der Arzt hätte den Patienten an ein Gerät zur Messung der Sauerstoffsättigung im Blut anschließen müssen. Das ergibt sich durch eine im Jahr 1997 veröffentlichte Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Durch den Einsatz eines solchen Pulsoxymeters hätte man die Atemprobleme des Patienten früher erkennen und behandeln können.

Justizmarathon endet mit Verurteilung beider Praxisinhaber

Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst gegen beide Praxisinhaber, stellte aber im Jahr 2011 die Ermittlungsverfahren ein. Daraufhin erstattete der Rechtsanwalt der Eltern des Opfers, die im Verfahren als Nebenkläger auftraten, Strafanzeige. Im Jahre 2013 wurden die Ermittlungsverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage seitens des Operateurs erneut eingestellt. Dagegen wandte sich wiederum der Anwalt der Eltern des Geschädigten mit einem gerichtlichen Klageerzwingungsantrag. Diesen verwarf das Hanseatische Oberlandesgericht 2015 als unzulässig. Eine hiergegen eingereichte Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg, sodass im Jahre 2021 die Anklage erhoben wurde, die dann zur Verurteilung durch das Landgericht (LG) Hamburg führte. Die dagegen gerichtete Revision scheiterte vor dem BGH.

Der BGH bestätigt das Strafmaß und die Urteilsgründe

Der BGH konnte im Urteil des LG Hamburg keinen Rechtsfehler erkennen und stützte sich im Wesentlichen auf dessen Urteilsbegründung.

Das LG verurteilt den Operateur wegen Körperverletzung mit Todesfolge ...

Das LG Hamburg verurteilte den HNO-Arzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 440 Euro. Die Höhe der Tagessätze bemisst sich nach dem monatlichen Nettoeinkommen des Täters, welches durch 30 Tage geteilt wird. Das LG sah es als erwiesen an, dass der HNO-Arzt den Patienten operierte, ohne eine ordnungsgemäße postoperative Überwachung sicherzustellen. Hätte der Vater des Patienten als Erziehungsberechtigter gewusst, dass bei der Operation gegen ärztliche Standards verstoßen wurde, hätte er seine Einwilligung nicht erteilt. Daher liegt hier tatbestandlich eine Köperverletzung vor. Da diese Fahrlässigkeit des HNO-Arztes sich im Tode des Patienten realisiert hat, erfolgte die Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

... und den Mitinhaber wegen Beihilfe durch Unterlassen

Der Mitinhaber der Gemeinschaftspraxis erhielt eine Verurteilung wegen Beihilfe durch Unterlassen zur Körperverletzung mit Todesfolge. Er wurde zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen à 70,00 Euro verurteilt. Ihm wurde ein Organisationsmangel hinsichtlich der mangelhaften Ausgestaltung der postoperativen Überwachung in der Gemeinschaftspraxis angelastet. Denn dem Mitinhaber oblag eine Garantenpflicht. Wer eine Gefahrenquelle eröffnet, wozu auch der Betrieb einer Arztpraxis zählt, hat dafür einzustehen, dass diese niemanden schädigt. Obwohl der Mitinhaber dem verstorbenen Patienten niemals begegnet war, oblag ihm die Pflicht, den Operateur zu einer ordnungsgemäßen postoperativen Überwachung des Patienten anzuhalten. Denn er konnte davon ausgehen, dass der Operateur dieselbe mangelhafte postoperative Überwachung wie er selbst betrieb. Da er diese Garantenpflicht verletzt hat, liegt eine strafbare Beihilfe zur Haupttat des Operateurs vor.

Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und andere Gründe wirkten sich strafmildernd aus

Das LG Hamburg hat für die im Jahre 2007 stattfindende Tat eine Untätigkeit der Strafverfolgungsorgane von ca. 96 Monaten strafmildernd berücksichtigt. Ferner wertete das LG das Nachtatverhalten der Täter strafmildernd. Denn diese haben aus dem Fehler gelernt und die Praxisorganisation unmittelbar nach dem Unglücksfall grundlegend umgestaltet. Ein weiterer Milderungsrund bestand in der intensiven Berichterstattung der Boulevardmedien. Denn deren Fotoberichterstattung verdeckte nur deren Gesichtspartien, sodass die Angeklagten für ihre Bekannte erkennbar waren. Auch die fehlenden Vorstrafen wurden strafmildernd berücksichtigt.

Schreiten Sie als Chefarzt gegen Fehler von Untergebenen ein!

Für Chefärzte sind insbesondere die Ausführungen des Gerichts zum Organisationsverschulden des Mitinhabers der Gemeinschaftspraxis relevant. Aufgrund seiner höheren hierarchischen Stellung gelten für einen Chefarzt noch strengere Anforderungen hinsichtlich der Organisation. Sobald die geringsten Anhaltspunkte für eine mangelhafte ärztliche Berufsausübung seiner Untergebenen vorliegen, muss der Chefarzt einschreiten. Ansonsten könnte er sich wegen einer Beihilfe durch Unterlassen strafbar machen.

AUSGABE: CB 12/2024, S. 10 · ID: 50117884

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