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WahlleistungsvereinbarungDiese Anforderungen müssen individuelle Vertretungsvereinbarungen erfüllen
| Grundsätzlich verpflichtet eine Wahlleistungsvereinbarung den Wahlarzt zur persönlichen Leistungserbringung. Gleichwohl kann sich der Wahlarzt in bestimmten Fällen vertreten lassen – bei unvorhersehbarer Verhinderung durch seinen ständigen Vertreter, bei vorhersehbarer Verhinderung auf der Basis einer individuellen Vertretervereinbarung (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 20.12.2007, Az. III ZR 144/07, CB 01/2008, Seite 1 f.) Die Frage, welche Anforderungen eine individuelle Vertretervereinbarung zu erfüllen hat und wie sie zu schließen ist, hat die Gerichte in neuerer Zeit regelmäßig beschäftigt. Die Entwicklung der Rechtsprechung ist für alle Chefärzte, die wahlärztliche Leistungen erbringen, sehr erfreulich. |
Inhaltsverzeichnis
- Ausgangspunkt: Kostenträger legen Gerichtsurteil falsch aus und stellen überzogene Anforderungen
- Wende in der Rechtsprechung: Die Angabe des Verhinderungsgrunds ist unerheblich
- Vertretervereinbarung gilt auch, wenn Verhinderung des Wahlarztes bei Wahlleistungsvereinbarung schon feststeht
- Auf die Reihenfolge von Wahlleistungs- und Vertretungsvereinbarung kommt es nicht an
- Vertretungsvereinbarung bleibt auch bei Verhinderung wegen zeitgleicher Behandlung eines anderen Patienten wirksam
- Trotz fehlendem Hinweis auf Zuzahlung bleibt Vertretungsvereinbarung gültig
- Vertretungsvereinbarung so früh wie möglich schließen!
Ausgangspunkt: Kostenträger legen Gerichtsurteil falsch aus und stellen überzogene Anforderungen
Das eingangs erwähnte BGH-Urteil definiert u. a. die Anforderungen an eine individuelle Vertretervereinbarung: Der Patient soll zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden können – Erbringung der Wahlleistung durch einen Vertreter, Inanspruchnahme allgemeiner Krankenhausleistungen unter Verzicht auf die Wahlleistung oder – soweit möglich – Abwarten, bis der Wahlarzt wieder verfügbar ist (CB 01/2008, Seite 1 f.) Die Vertretungsvereinbarung soll so früh wie möglich abgeschlossen werden und sie bedarf der Schriftform (Unterschriften der Vertragspartner unter dem Text der Vertretungsvereinbarung). Diese Vorgaben wurden über Jahre weithin problemlos umgesetzt.
Im Jahr 2018 fällte das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) zwei Entscheidungen, die die Kostenträger zum Anlass nahmen, überzogene Anforderungen an individuelle Vertretervereinbarungen zu stellen (Beschlüsse vom 15.01. und 27.03.2018, 3 U 220/16). Im betreffenden Fall war eine Patientin 23-mal auf der Basis formularmäßiger Vertretungsvereinbarungen operiert worden. Die Vereinbarungen waren entweder zu spät oder gar nicht unterschrieben. Zudem boten die jeweiligen Formulare auch die Möglichkeit, Dauer und Grund der Verhinderung des Wahlarztes einzutragen. Diese Möglichkeit war jedoch nicht genutzt worden. Das Gericht stufte das Verhalten des Wahlarztes als rechtsmissbräuchlich ein (CB 08/2018, Seite 3 ff.)
Was für formularmäßige Vereinbarungen gilt, gilt nicht für alle Vereinbarungen! Merke | Für formularmäßige Vertretungsvereinbarungen, die die Möglichkeit bieten, Dauer und Grund der Verhinderung des Wahlarztes einzutragen, vertrat das Gericht die Auffassung, dass diese Möglichkeiten genutzt werden müssen. Das gelte insbesondere, wenn für einen Krankenhausaufenthalt mehrere Vertretungsvereinbarungen abgeschlossen werden. Das heißt aber nicht, dass Grund und Dauer der Verhinderung in jede Vertretungsvereinbarung gehören. |
In der Folgezeit wurden die Beschlüsse des Hanseatischen OLG von privaten Krankenversicherungen jedoch durchgehend so interpretiert, dass die Angabe des Grundes und der Dauer der Verhinderung des Wahlarztes in jede Vertretungsvereinbarung gehören, sie ansonsten nicht wirksam sei. Auf Vertretungsvereinbarungen, wo diese Angaben fehlten, wurde nichts mehr gezahlt.
Wende in der Rechtsprechung: Die Angabe des Verhinderungsgrunds ist unerheblich
Am 27.04.2022 entschied das Landgericht (LG) Hamburg: Bei einer ärztlichen Stellvertretervereinbarung kommt es nicht auf die Angabe eines konkreten Verhinderungsgrunds des Wahlarztes an (Az. 336 O 141/21.) Das Gericht war der Auffassung, für die Entscheidung des Patienten, wie er mit einer Verhinderung des Wahlarztes umgehe, sei der Grund in der Regel nicht maßgeblich. Unerheblich sei weiterhin, ob der Wahlarzt bei der Operation tatsächlich verhindert war, wenn der Patient von dem Arzt behandelt wurde, auf den sich die vertraglichen Absprachen von Anfang an bezogen hatten.
Für den Patienten sei bei Abschluss einer Vertretungsvereinbarung in erster Linie maßgeblich, dass der Wahlarzt verhindert ist und die Leistung, die bei Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung versprochen wurde, nicht bekomme. Der Grund der Verhinderung des Wahlarztes spiele keine Rolle. Denn selbst wenn der Patient den Grund erführe, würde dies an der Verhinderung nichts ändern. Der Patient könne zudem, wenn es für ihn wichtig sei, nach dem Verhinderungsgrund fragen. Dies habe er vorliegend nicht getan.
Vertretervereinbarung gilt auch, wenn Verhinderung des Wahlarztes bei Wahlleistungsvereinbarung schon feststeht
Das Landgericht (LG) Heidelberg erkannte eine Stellvertretervereinbarung als wirksam an, mit der sich der Wahlarzt von seiner Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung befreien lässt und deren Ausführung an den Stellvertreter überträgt (30.11.2022, Az. 4 S 3/22; CB 04/2023, Seite 3 ff.). Eine solche Vereinbarung sei auch dann zulässig, wenn die Verhinderung des Wahlarztes beim Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung bereits feststehe. Die Vereinbarung bedürfe für ihre Wirksamkeit der Schriftform (§ 17 Abs. 2 S. 1 KHEntgG). Sie müsse somit vom Patienten und vom Wahlarzt unterschrieben werden. Der Wahlarzt könne sich dabei durch einen anderen Arzt vertreten lassen.
Praxistipp | Eine Vertretung des Wahlarztes bspw. durch die Chefarztsekretärin ist dagegen nicht zu empfehlen. Denn diese dürfte regelmäßig nicht kompetent sein, medizinische Fragen des Patienten im Zusammenhang mit dem Abschluss der Vertretungsvereinbarung zu beantworten. |
Bei Abschluss der Vertretungsvereinbarung müssen weiterhin besondere Aufklärungspflichten erfüllt sein. Dabei sieht das LG Heidelberg die Inhalte der Vertretungsvereinbarung als ausreichend an, die bereits der BGH im Jahr 2007 angeführt hat. Die Angabe des Verhinderungsgrundes und der Dauer der Verhinderung des Wahlarztes seien nicht erforderlich.
Auf die Reihenfolge von Wahlleistungs- und Vertretungsvereinbarung kommt es nicht an
Für die Wirksamkeit der Vertretungsvereinbarung ist es unerheblich, ob diese vor oder nach der Wahlleistungsvereinbarung geschlossen wurde (LG Frankenthal, Urteil vom 24.02.2023, Az. 4 O 229/22 und OLG Zweibrücken, Beschluss vom 03.07.2023, Az. 5 U 34/23).
In dem von beiden Gerichten entschiedenen Fall waren am gleichen Tage (10.01.2019) um 15:15 Uhr zunächst die Stellvertretervereinbarung unterschrieben und um 15:59 Uhr erst die Wahlleistungsvereinbarung. Es lag somit noch gar keine Wahlleistungsvereinbarung vor, als der Patient sich mit einer Vertretung des Wahlarztes einverstanden erklärt hat. Beide Gerichte haben dies als unbedenklich angesehen. Es komme für deren Wirksamkeit nicht darauf an, in welcher Reihenfolge die Stellvertretervereinbarung und die Wahlleistungsvereinbarung abgeschlossen worden seien. Dies erscheint angesichts der Auffassung des BGH in seinem Urteil vom 20.12.2007 auch folgerichtig. Die Stellvertretervereinbarung solle „so früh wie möglich“ geschlossen werden.
Das heißt: Wenn der Patient bspw. vor der eigentlichen stationären Aufnahme bereits zu einem Vorgespräch einbestellt wird und zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt ist, dass der Wahlarzt den Eingriff während der bevorstehenden stationären Behandlung des Patienten nicht wird durchführen können, so ist die Voruntersuchung der frühestmögliche Zeitpunkt, zu dem die Wahlleistungsvereinbarung abgeschlossen werden kann. Eine bereits vor Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung abgeschlossene Stellvertretervereinbarung hat rechtlich überhaupt keine Konsequenzen, wenn anschließend keine Wahlleistungsvereinbarung geschlossen werden sollte. Denn erst diese ist Grundlage für die Abrechnung der wahlärztlichen Leistungen. Schließt der Patient aber erst eine Vertretungsvereinbarung ab und anschließend die Wahlleistungsvereinbarung, so macht er damit besonders deutlich, dass der Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung auf seinem freien Willen beruht. Gleichzeitig bekundet er mit seiner Unterschrift, dass er es vorzieht, zumindest über die Vertretungsvereinbarung einen Vertreter seiner Wahl für die stationäre Behandlung zu bekommen, wenn schon der Wahlarzt für ihn nicht verfügbar ist.
Vertretungsvereinbarung bleibt auch bei Verhinderung wegen zeitgleicher Behandlung eines anderen Patienten wirksam
Zwei weitere Entscheidungen bestätigen das BGH-Urteil aus dem Jahr 2007 erneut (OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.03.2023, Az. 13 U 632/20 und LG Arnsberg, Beschluss vom 08.11.2023, Az. 3 S 88/239). Im vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall hatte der Wahlarzt mit zwei Vertretungsvereinbarungen gearbeitet (CB 06/2023, Seite 3 ff.). In diesen bestand auch die Möglichkeit, den Grund und die Dauer der Verhinderung des Wahlarztes anzugeben. Einmal hatte die hinter dem Patienten stehende private Krankenversicherung den Verhinderungsgrund anerkannt, einmal dagegen nicht. In dem Fall, wo der Wahlarzt verhindert war, weil er zeitgleich einen anderen Patienten behandelt habe, könne keine Vertretungsvereinbarung abgeschlossen werden. Dieser Auffassung folgte das OLG Karlsruhe nicht und berief sich dabei auf das viel zitierte BGH-Urteil aus dem Jahre 2007. Auf den Grund der Verhinderung komme es nun mal nicht an.
Trotz fehlendem Hinweis auf Zuzahlung bleibt Vertretungsvereinbarung gültig
Im o. g. OLG Karlsruhe entschiedenen Fall trug der Kläger zudem vor, es sei vergessen worden, darauf hinzuweisen, dass der Patient keine Zuzahlungen leisten müsse, wenn er sich anstelle der Durchführung der wahlärztlichen Leistungen durch einen Vertreter des Wahlarztes für die allgemeinen Krankenhausleistungen entscheide. Auch hierin sah das Gericht kein Problem. Die Vertretungsvereinbarungen seien so klar gefasst, dass der Patient auch so erkennen könne, dass er keine Zuzahlungen leisten muss, wenn er sich anstelle der ärztlichen Wahlleistungen für allgemeine Krankenhausleistungen entscheidet.
Praxistipp | Gleichwohl ist zu empfehlen, sich bei der Gestaltung der Vertretungsvereinbarung im Falle der vorhersehbaren Verhinderung des Wahlarztes möglichst am o. g. BGH-Urteil zu orientieren. |
Vertretungsvereinbarung so früh wie möglich schließen!
Schließen Sie Vertretungsvereinbarungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Dieser frühestmögliche Zeitpunkt kann auch bereits vor Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung liegen. Spätestens am Tage des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung sollte auch eine individuelle Vertretungsvereinbarung abgeschlossen werden, wenn zu diesem Zeitpunkt die Verhinderung des Wahlarztes bekannt ist. Ist sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, kann auch der ständige ärztliche Vertreter des Wahlarztes tätig werden, ohne dass es einer Vertretungsvereinbarung bedarf.
Problematisch wird es, wenn erst die Wahlleistungsvereinbarung abgeschlossen wird und die Stellvertretervereinbarung erst mehrere Tage später, obwohl die Verhinderung des Wahlarztes zum Zeitpunkt des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung bereits bekannt ist. Dies kann zur Unwirksamkeit der Vertretungsvereinbarung führen. Daher sollte das Krankenhaus bzw. Ihre Abteilung so organisiert sein, derartige Konstellationen zu vermeiden. Grund und Dauer der Verhinderung des Wahlarztes gehören dagegen nicht in die Vertretungsvereinbarung. Das gilt zumindest so lange wie der BGH seine Rechtsprechung insoweit nicht ändert. Im Augenblick steht dies nicht zu befürchten.
- Neues BGH-Urteil: Wann ist die Vertretung des Chefarztes zulässig? (CB 01/2008, Seite 1 f.)
- Keine Wahlleistungsvergütung bei Verwendung von 23 formularmäßigen Vertretervereinbarungen (CB 08/2018, Seite 3 ff.)
- Vergütung wahlärztlicher Behandlungsleistungen: auch Vertretungsvereinbarung ist wirksam (CB 04/2023, Seite 3 ff.)
- Mehrere Vertretungsvereinbarungen im selben Behandlungszeitraum: Liquidationsrecht bleibt! (CB 06/2023, Seite 3 ff.)
AUSGABE: CB 5/2024, S. 6 · ID: 49985209