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ArbeitsrechtPersonalmangel versus Arbeitszeitgesetz: So verhalten Sie sich als Chefarzt richtig
| Gerade im Krankenhausalltag besteht in Zeiten von Personalmangel und Strukturvorgaben das Erfordernis der ständigen Verfügbarkeit von ausreichend qualifiziertem Personal. Es ist Aufgabe des Krankenhausträgers, dieses Bedürfnis in Einklang mit den arbeitszeitrechtlichen Vorgaben zu bringen. Auch Chefärzte verfügen über eine gewisse Leitungsfunktion und müssen die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) beachten. Dieser Beitrag erläutert die aktuelle Rechtslage unter Bezug auf Gesetzgebung und Rechtsprechung und gibt Handlungsempfehlungen für Chefärzte. |
So ist die Arbeitszeit rechtlich definiert
Nach den Vorgaben der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) ist Arbeitszeit „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“ (Art. 2). Nach deutschem Recht ist Arbeitszeit der Zeitraum zwischen Beginn und Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Grundsätzlich darf die Arbeitszeit höchstens 48 Stunden pro Woche betragen. Danach beträgt die tägliche Arbeitszeit nicht mehr als 8 Stunden täglich. Ausnahmsweise kann bis zu zehn Stunden täglich gearbeitet werden, wenn innerhalb von 6 Monaten oder 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden täglich nicht überschritten werden.
Die Einhaltung der Vorgaben obliegt dem Arbeitgeber Merke | Es obliegt dem Arbeitgeber, dass die vom ArbZG zur Arbeitszeitgestaltung vorgegebenen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Insoweit richten sich die in § 22 und § 23 ArbZG genannten Bußgeld- und Strafvorschriften an den Arbeitgeber. Nach § 22 Abs. 2 ArbZG sind Bußgelder bis zu 30.000 Euro möglich. Verstöße werden bei vorsätzlicher Begehung nebst Gesundheitsgefährdung oder Arbeitskraftgefährdung des Arbeitnehmers sowie beharrlicher Wiederholung gemäß § 23 Abs. 1 ArbZG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. |
Der Klassiker: Ist Rufbereitschaft Arbeitszeit?
Nach § 7 Abs. 1 ArbZG sind indes Abweichungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen möglich. Diese Möglichkeit nutzen viele Tarifverträge, wie z. B. der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern (TarifTV-Ärzte/VKA). Dieser sieht insoweit eine tägliche Höchstarbeitszeit im Schichtdienst von 12 Stunden ohne Pausen vor. Ferner müssen zwischen einem Bereitschaftsdienst und einer Schicht 72 Stunden liegen.
Bereitschaftsdienste werden somit bereits nach den Vorgaben einiger Tarifverträge als Arbeitszeit eingeordnet. Der Arbeitnehmer wird nämlich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der von ihm vertraglich geschuldeten Arbeitszeit an einem vom Arbeitgeber bestimmt Arbeitsort beordert, um im Bedarfsfall eine Arbeitsleitung zu erbringen. Anders sieht es bei der sog. Rufbereitschaft aus. Der Arbeitnehmer wird angewiesen, seine ständige Erreichbarkeit zu gewährleisten. Er kann seinen Aufenthaltsort selbst bestimmen. Rufbereitschaft wird dabei nur bei tatsächlichem Abruf als zu vergütende Arbeitszeit eingeordnet.
Zur Differenzierung dieser Dienste ist auf ein maßgebendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu verweisen. Deutschlands oberste Arbeitsrichter hatten sich mit der Frage zu befassen, ob ärztlicher Hintergrunddienst als Rufbereitschaft oder als Bereitschaftsdienst anzusehen sei. Die Antwort: Dies hänge davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch bestimmte Vorgaben – vor allem zurzeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit – zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und damit eine faktische Aufenthaltsbeschränkung vorgibt (Urteil vom 25.03.2021, Az. 6 AZR 264/20; Fallbesprechung im CB 05/2021, Seite 6 f.).
EuGH: Rufbereitschaft kann bei hoher Einschränkung Arbeitszeit sein
Die o. g. BAG-Entscheidung zur Einordnung von Hintergrunddiensten steht im Kontext mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Diese Rechtsprechung befindet sich zurzeit im Wandel. Nach den Urteilen vom 09.03.2021 (Az. C 580/19 und Az. C-344/19) ist die Diskussion, ob Rufbereitschaft als Arbeitszeit einzuordnen ist, neu entflammt:
- In einem Fall durfte sich ein städtischer Feuerwehrmann während seiner Bereitschaft außerhalb der Feuerwehrwache aufhalten. Es bestand jedoch die Arbeitsanweisung, dass er binnen 20 Minuten in Arbeitskleidung und im Einsatzfahrzeug die Grenzen der Stadt erreichen sollte.
- Der andere Fall betraf einen Techniker, der Rufbereitschaft leisten musste. Um diese gewährleisten zu können, musste er faktisch in einer Dienstunterkunft bleiben.
Nach Ansicht des EuGH handelt es sich um Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit verpflichtet sei, zur sofortigen Verfügbarkeit seines Arbeitgebers an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, sich außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss und weniger frei über die Zeit verfügen kann, in der er nicht in Anspruch genommen wird. Der EuGH stellte somit fest, dass eine Rufbereitschaft bei hoher Einschränkung als Arbeitszeit zu qualifizieren sei.
Folgen der EuGH-Rechtsprechung für Chefarztverträge
Dieser Wandel in der Rechtsprechung des EuGH dürfte auch für Chefärzte relevant sein. Auf Chefärzte finden arbeitszeit- oder tarifrechtliche Vorhaben zwar regelmäßig keine Anwendung. Es besteht in der Regel ein außertarifliches Arbeitsverhältnis. Etwas anderes kann nur bei entsprechender einzelvertraglicher Ausgestaltung gelten, etwa wenn eine tarifvertragliche Regelung nach Einbeziehung der Chefärzte partiell für anwendbar erklärt wird.
Folgen für Chefärzte ohne „Wohnsitzklausel“ im Chefarztvertrag
Von Relevanz ist aber die Frage, wie sich diese Entscheidung auf Chefärzte auswirkt, die ihren Wohnsitz – in Ermangelung einer chefarztvertraglichen Verpflichtung sog. „Wohnsitzklausel“ – nicht in unmittelbarer Entfernung zum Krankenhaus wählen mussten. Soweit eine Übernachtung z. B. im Hotel notwendig wäre, um die Dienstanweisung einzuhalten, dürfte von Arbeitszeit auszugehen sein. Oftmals sehen Chefarztverträge hier im Bereich der Dienstaufgaben Regelungen vor, wonach Rufbereitschaftsdienste mit der chefarztvertraglichen Vergütung abgegolten sein sollen. Der Chefarzt ist hier gut beraten, eine Begrenzung dieser Dienste pro Monat/Jahr bis zu einer Höchstzahl im Chefarztvertrag zu vereinbaren. Nach Erreichen dieser Höchstzahl sollten konkrete Vergütungsgrundsätze hinterlegt werden.
Folgen für die Mitarbeiterverantwortung des Chefarztes
Zudem hat auch der Chefarzt selbst eine Mitarbeiterverantwortung für nachgeordnete Ärzte seiner Abteilung. Diese Verantwortung spiegelt sich in Chefarztverträgen etwa nach folgender Maßgabe wider:
Beispiel für eine chefarztvertragliche Übertragung der Verantwortung für Mitarbeiter |
„Der Chefarzt hat dafür Sorge zu tragen, dass die Delegation auf die nachgeordneten ärztlichen Beschäftigten unter Beachtung aller geltenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der zulässigen Delegation, der arbeits-, tarif- und arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen, erfolgt.“ |
Die arbeitsrechtlichen Vorgaben stehen somit auch im Spannungsfeld mit den chefarztvertraglichen Pflichten. Der Chefarzt sollte hier unter Mitwirkung des Krankenhausträgers eine eigene – abteilungsinterne – (elektronische) Arbeitszeiterfassung, unter besonderem Augenmerk auf die Inanspruchnahme von Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdiensten installieren lassen.
Wichtig | Gerade mit Blick auf die o. g. chefarztvertraglichen Klauseln haben Chefärzte eine Hinweispflicht gegenüber dem Krankenhausträger, wenn es um mögliche Verstöße gegen das ArbZG geht. Andernfalls kann ein Organisations-/bzw. Übernahmeverschulden vorliegen. Was Sie als Chefarzt tun können, wenn der Krankenhausträger nicht kooperiert, lesen Sie im CB 03/2021, Seite 10 ff.
Fazit | Die Einordnung von Rufbereitschaft als Arbeitszeit ist ein ständiger Streitpunkt. Die Einordnung des EuGH anhand der Einschränkungsintensität erscheint nachvollziehbar. Gerade in Zeiten von „Work-Life-Balance“ sind geeignete Arbeitszeitmodelle mehr denn je gefragt. Der Gesetzgeber hat indes dafür in seinem bisher nicht in das deutsche Recht umgesetzten Referentenentwurf keine brauchbaren Lösungen angeboten. Auch die geplanten Reformen zum Homeoffice sind bisher nicht in einem Referentenentwurf umgesetzt worden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des EuGH auf den Krankenhaussektor auswirkt. |
- CB-Themenspezial: Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst – das ist rechtlich zulässig (CB 11/2021, Seite 10)
- Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst? Das gilt für sog. Hintergrunddienste nach § 9 TV Ärzte TdL (CB 05/2021, Seite 6 f.)
- Der Chefarzt zwischen Patientenwohl und den Vorgaben des ArbZG (CB 03/2021, Seite 10 ff.)
AUSGABE: CB 5/2024, S. 12 · ID: 49961536