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CBChefärzteBrief

Vergütungsrecht„Neulandmethoden“ im Krankenhaus – BSG erleichtert Voraussetzungen für die Abrechnung

Abo-Inhalt24.05.20235908 Min. LesedauerVon RA, FA MedR Dr. Kyrill Makoski, LL. M. (Boston University), Möller und Partner, Düsseldorf

| Die Medizin schreitet voran, und die Vergütungsregelungen für neuartige Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB oder „Neulandmethoden“) werden nicht immer schnell genug angepasst. Der Gesetzgeber hat in § 137c Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V für den stationären Bereich die Möglichkeit geschaffen, dass neue Leistungen mit dem Potenzial, die Behandlung zu verbessern, auch zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen – solange der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sie nicht ausdrücklich verboten hat. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte in seiner Rechtsprechung lange zusätzliche Hürden aufgebaut, bis es im Jahr 2021 seine Auffassung änderte. Nun hat es die Anforderungen an Potenzialleistungen konkretisiert (Urteil vom 13.12.2022, Az. B 1 KR 33/21 R). |

Zum Sachverhalt

Streitig war die Vergütung für eine Krankenhausbehandlung im Jahr 2016, bei der einem Patienten mit einer schwerstgradigen Lungenerkrankung Spiralen (sog. Coils) implantiert worden waren. Die Krankenkasse hatte die Behandlung nur ohne Berücksichtigung der Implantation bezahlt. Das Krankenhaus hatte auf den Differenzbetrag geklagt. Das Sozialgericht Aachen hatte der Klage stattgegeben (Urteil vom 18.10.2018, Az. S. 15 KR 226/17), das Landessozialgericht (LSG) NRW hatte sie abgewiesen (Urteil vom 16.06.2020, Az. L 5 KR 743/18). Die durchgeführte Leistung habe seinerzeit nicht dem Qualitätsgebot entsprochen; zudem habe es mit der chirurgischen Lungenvolumenreduktion eine anerkannte Alternativbehandlung gegeben.

Das BSG hob die klageabweisende Entscheidung auf und verwies das Verfahren zur weiteren Aufklärung an das LSG NRW zurück.

Entscheidungsgründe des BSG

Die Implantation von Coils habe 2016 nicht dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprochen. Erst 2018 habe der G-BA diese Leistung in den Katalog der anerkannten Behandlungsmaßnahmen aufgenommen. Allerdings könne sich der Leistungsanspruch aus § 137c Abs. 3 SGB V ergeben. Danach gehe der Potenzialmaßstab dem allgemeinen Qualitätsgebot voraus, wenn

  • 1. es sich um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handle,
  • 2. keine andere Standardmethode verfügbar sei,
  • 3. die Leistung das Potenzial einer erfolgreichen Behandlungsalternative biete.

In diesem Fall habe es zwar eine Standardmethode gegeben – nämlich die chirurgische Entfernung eines Teils des Lungenflügels. Diese sei aber so gravierend und zudem irreversibel, dass sie keine gleichwertige Alternative darstelle. Außerdem habe das LSG nicht festgestellt, dass gerade in diesem Fall die Operation eine konkrete Alternative hätte darstellen können.

So definiert das BSG eine Behandlungsmethode als Behandlungsalternative

Eine Behandlungsmethode hat das Potenzial einer Behandlungsalternative, wenn mangels aussagekräftiger wissenschaftlicher Unterlagen weder der Nutzen noch die Schädlichkeit oder Unwirksamkeit einer Methode festgestellt werden kann, diese Methode aber aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass sie – im Vergleich zum bisherigen Standard – eine effektivere Behandlung ermöglicht. Diese Wissenslücke muss zumindest theoretisch mit einer einzigen Studie nach dem Standard der evidenzbasierten Medizin in einem begrenzten Zeitraum geschlossen werden können. Jedenfalls wenn der G-BA eine Erprobungsrichtlinie nach § 137e SGB V beschlossen hat, ist von einem ausreichenden Potenzial auszugehen. Ansonsten sind die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse auszuwerten, ggf. auch vorhandene Berichte des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), wie hier die Auswertung zur Lungenvolumenreduktion vom Februar 2017, online unter iww.de/s8108 (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2022, Az. B 1 KR 33/21 R, Randnummer 28).

Abgrenzung zu vorheriger BSG-Rechtsprechung

In einer früheren Entscheidung hatte das BSG festgestellt, dass bei neuartigen Verfahren besondere Anforderungen an die Aufklärung des Patienten zu stellen seien – ggf. mit entsprechender Beweiserhebung (BSG, Urteil vom 19.03.2020, Az. B 1 KR 20/19 R; CB 06/2020, Seite 2).

Nun führte das BSG aus, dass auch bei Potenzialleistungen die Vermutung gilt, dass die Behandler den Patienten ordnungsgemäß aufgeklärt haben. Nur wenn die Behandlung mit einem hohen Risiko schwerwiegender Schäden, insbesondere einem hohen Mortalitätsrisiko, verbunden ist, ist auch im Vergütungsprozess zu prüfen, ob der Patient hinreichend aufgeklärt wurde und wirksam eingewilligt hatte.

Tipp für Krankenhäuser: Begründung für NUB vorbereiten!

Schon jetzt ist zu verzeichnen, dass die Krankenkassen auch NUB vergüten, bei denen sie bisher eher kritisch waren. In laufenden Verfahren ist zu erwarten, dass zeitnah ein Abschluss gefunden werden kann. Für die Zukunft gilt, dass in den Krankenhäusern mehr Spielraum besteht, neue medizinische Erkenntnisse umzusetzen. Allerdings sollte in jedem Fall eine Argumentation vorbereitet werden, die insbesondere die medizinischen Gründe für die gewählte Behandlung dokumentiert und die insbesondere im Rahmen eines Prüfverfahrens vorgelegt werden kann (vgl. CB 12/2021, Seite 3 ff.).

Weiterführende Hinweise
  • NUB im Krankenhaus – neue Anforderungen (CB 06/2020, Seite 2)
  • BSG: NUB im Krankenhaus werden nur vergütet, wenn sie das gesetzliche Qualitätsgebot erfüllen (CB 05/2018, Seite 4 f.)
  • Die neue Prüfverfahrensvereinbarung (1): Das ändert sich für Chefärzte und Krankenhäuser (CB 12/2021, Seite 3 ff.)

AUSGABE: CB 6/2023, S. 10 · ID: 49484925

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