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ArzthaftungNun gar kein Schmerzensgeld: Klinik haftet nicht für bei Antibiotikagabe verschluckten Apfel!
| Wenn sich ein einjähriges Kind bei einer intravenösen Antibiotikagabe an einem Stück Apfel verschluckt, das nach dem Essen noch im Mund verblieben ist, liegt grundsätzlich kein Fehlverhalten des Klinikpersonals vor. Während die Vorinstanz der Patientenseite noch 1 Mio. Euro Schmerzensgeld zugesprochen hatte, hob das Berufungsgericht dieses Urteil nunmehr auf – und verneinte eine Haftung gänzlich (Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt/Main, Urteil vom 25.04.2023, Az. 8 U 127/21). |
Urteil kassiert: statt 1 Mio. Euro nun gar kein Schmerzensgeld
In dem zugrunde liegenden Behandlungsfall sollte über einen Portzugang ein Antibiotikum appliziert werden. Über diese Maßnahme regte sich der kleine Junge sehr auf und schrie derart, dass er sich an einem Stück Apfel, das er nach dem Essen noch im Mund hatte, verschluckte. Er erlitt infolgedessen schwerste Hirnschäden. Das Landgericht Limburg hatte in der Vorinstanz dem Kläger die außerordentlich hohe Summe von 1.000.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Begründung der Richter: Die Krankenschwester hätte nach dem Essen länger mit der Antibiotikagabe warten müssen, um ein mögliches Verschlucken von im Mund verbliebenen Speiseresten zu verhindern (CB 09/2021, Seite 11). Dieser Bewertung folgen die Richter am OLG Frankfurt nicht und wiesen die Klage insgesamt ab.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt: kein Pflichtenverstoß!
Die Richter verneinten einen Behandlungsfehler und beurteilten den schrecklichen Verlauf als schicksalhaft. Ihre Begründung: Bei der intravenösen Gabe von Medikamenten handele es sich um eine täglich wiederkehrende Standardaufgabe ohne größere Schwierigkeiten. Dies sei auch keine besonders gefahrgeneigte Maßnahme. Ein grundsätzliches Aspirationsrisiko bestehe bei vielen im Krankenhausalltag regelmäßig anfallenden Tätigkeiten, etwa beim Füttern von Babys und Kleinkindern. Beide im Prozess beauftragten medizinischen Sachverständigen hätten erklärt, dass sie einen solch tragischen Verlauf in ihrer mehr als drei Jahrzehnte andauernden Berufspraxis noch nie erlebt hätten. Ein Pflichtenverstoß sei der Krankenschwester insgesamt nicht anzulasten.
Beobachten über 30 bis 60 s genügt, um Gefahrenlage zu klären Praxistipp | Das OLG Frankfurt wies darauf hin: Es sei ausreichend, wenn das Kind vor Durchführung einer intravenösen Antibiotikagabe über einen Zeitraum von 30 bis 60 Sekunden beobachtet werde um festzustellen, ob eine besondere Gefahrenlage sichtbar sei. Ein weiteres Abwarten sei nur dann geboten, wenn während des Beobachtungszeitraums Kaubewegungen ersichtlich gewesen seien. Nur weil das Kind zuvor gegessen habe, seien keine darüber hinausgehenden Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. Auch müsse der Mund nicht extra auf Speisereste untersucht werden. |
AUSGABE: CB 6/2023, S. 9 · ID: 49486361