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CBChefärzteBrief

ArzthaftungGewebeprobe vertauscht, Blutprobe verwechselt, falsche Hand operiert – wer haftet wann?

Abo-Inhalt26.04.20234592 Min. LesedauerVon RA, FA MedR, Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Im hektischen Klinikalltag können trotz aller Vorsicht Verwechselungen und Vertauschungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Immer wieder drehen sich Arzthaftungsprozesse um dieses Thema. Wenn etwa der falsche Körperteil operiert oder eine Gewebe- oder Blutprobe vertauscht wird, ist in aller Regel von einem Behandlungsfehler auszugehen – wenn dem ärztlichen oder pflegerischen Personal eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Doch auch Chefärzte stehen wegen eines möglichen Organisationsverschuldens im Fokus. Was sie zur haftungsrechtlichen Einordnung wissen sollten, zeigt dieser Beitrag anhand mehrerer einschlägiger Urteile. |

OP wegen vertauschter Gewebeproben großflächiger als nötig – wer haftet?

Kommt es aufgrund von Pflichtverletzungen zu einer Vertauschung, können der behandelnde Klinikarzt, der Krankenhausträger und der Chefarzt haftbar gemacht werden. Ebenso kommt eine Haftung vorbehandelnder niedergelassener Ärzte infrage, wenn etwa wegen einer vorherigen Vertauschung von Gewebeproben ein großflächigerer Eingriff erfolgt, als eigentlich notwendig gewesen wäre. In einem solchen Fall sah das Landgericht (LG) Göttingen die Haftung beim vorbehandelnden Arzt (Urteil vom 13.06.2017, Az. 12 O 16/14).

Sachverhalt

Ein Patient klagte gegen einen niedergelassenen Dermatologen. Er hatte sich wegen Hautveränderungen an der rechten Schulter und im Bereich des Nackens in Behandlung begeben. Der Dermatologe hatte an beiden suspekten Hautpartien jeweils ein Biopsat entnommen und die entnommenen Exzidate zur weiteren Befundung an den Pathologen versendet. Der Pathologe hatte die Hautveränderung an der rechten Schulter als ein „fortgeschrittenes und ulzeriertes invasives superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM)“ und die im Bereich des Nackens vorgefundene Hautveränderung als ein „fortgeschrittenes solid-adenoides Basaliom (Basalzellenkarzinom)“ befundet. Daraufhin war in der Universitätsklinik ein operativer Eingriff zur Entfernung der Hautveränderung an der Schulter vorgenommen worden. Dabei war das suspekte Hautareal mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm entfernt worden, zugleich war eine Sentinel-Lymphonodektomie axillär rechts erfolgt.

Nachfolgend hatte sich herausgestellt, dass die beiden Gewebeproben vertauscht worden waren. Der Patient hatte sich daher einem weiteren Eingriff unterziehen müssen, im Rahmen dessen auch die im Bereich des Nackens lokalisierte Hautveränderung mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm entfernt wurde. Zugleich wurde eine Sentinel-Lymphknoten-Exstirpation zervikal durchgeführt. Das LG Göttingen verurteilte den niedergelassenen Dermatologen zur Zahlung eines Schmerzensgelds i. H. v. 2.000 Euro.

Entscheidungsgründe

Die Richter waren der Auffassung, dass dem Patienten im Bereich der rechten Schulter ein erheblich größerer Gewebedefekt und eine größere Narbe entstanden sei, als eigentlich erforderlich gewesen wäre. Wären die Gewebeproben nicht vertauscht worden, hätte im Schulterbereich ein Sicherheitsabstand von 0,5 cm ausgereicht und die durchgeführte Sentinel-Lymphonodektomie axillär rechts wäre gar nicht notwendig gewesen.

Der niedergelassene Dermatologe hatte im Prozess zu seiner Verteidigung vorgebracht, aufgrund des von ihm etablierten Qualitätsmanagements könne es in seiner Praxis nicht zur Probenvertauschung gekommen sein – der Fehler müsse vielmehr im Universitätsklinikum liegen. Dieses Vorbringen verfing bei den Richtern aber nicht. Sie erachteten das gängige Prozedere in der Hautarztpraxis wegen mehrerer möglicher Fehlerquellen als unzureichend: Weder sei das Vier-Augen-Prinzip durchgängig eingehalten noch seien die entnommenen Proben im „Double-Check-Verfahren“ hinreichend gegengeprüft worden.

Blutproben verwechselt: Schmerzensgeldanspruch allein wegen falsch positiven HIV-Befunds (ohne Fehlbehandlung)

Auch schon eine versehentlich falsche Mitteilung gegenüber einem Patienten aufgrund einer Verwechselung von Blutproben – ohne dass es dadurch zu einer Fehlbehandlung kommt – kann eine Haftung auf Schmerzensgeld auslösen. Dies zeigt ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Köln aus dem Jahr 2008. Aufgrund einer Verwechselung von Blutproben hatte der Arzt irrtümlich eine HIV-Infektion bei seiner Patientin diagnostiziert. Diese vorläufige und falsche Diagnose teilte er ihr mit, ohne eine zweite Blutprobe zur Bestätigung abzuwarten. Die falsche Nachricht führte zu einer erheblichen physischen und psychischen Belastung bei der Patientin, wie es das Gericht konstatierte. Das Gericht sprach der Patientin dafür ein Schmerzensgeld in Höhe von 750 Euro zu (AG Köln, Urteil vom 19.11.2008, Az. 141 C 3/08).

Falsche Hand operiert – kein Mitverschulden des Patienten bei „voll beherrschbarem Risiko“

Wenn dem Patienten ein justiziables Mitverschulden angelastet werden kann, würde dies zu einer Minderung seiner Ansprüche führen. Bei der Annahme eines solchen Mitverschuldens sind die Gerichte aber sehr zurückhaltend.

Häufig ist der Nachweis der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden ein neuralgischer Punkt im Haftungsprozess. Die Kausalität wird zulasten der Behandlerseite in Fällen eines sogenannten voll beherrschbaren Risikos vermutet. Das ist der Fall, wenn die Gefahrenquelle vollständig in der Verantwortungssphäre der Ärzte und Pfleger liegt und durch gute Organisation vermeidbar gewesen wäre. Dies wird für viele Fallkonstellationen von Vertauschungen und Verwechselungen anzunehmen sein, wobei jeder Einzelfall zu prüfen ist. Im Fall einer Patientin, bei der die falsche Hand operiert worden war, sah das AG Detmold die Verantwortung auf der Behandlerseite – obwohl die Patientin bei der Vorbereitung des Eingriffs die falsche Hand gereicht hatte (Urteil vom 07.09.2011, Az. 6 C 437/09).

Sachverhalt

Im dortigen Fall war die Patientin laut Arztbericht mit „schnellendem Finger rechts“ in die Klinik aufgenommen worden und es war eine Ringbandspaltung geplant. Fälschlicherweise wurde aber zunächst die linke Hand operiert, obwohl dies nicht geplant war und die Patientin hierin auch nicht eingewilligt hatte. Nachdem der Operateur nach dem ersten Eingriff an der linken Hand seinen Fehler bemerkte, operierte er gleich im Anschluss auch noch die rechte Hand. Wegen der versehentlich falsch operierten linken Hand sprach das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 4.000 Euro zu. Dieses fiel deshalb vergleichsweise niedrig aus, weil die Patientin nur vier bis sechs Wochen zusätzlich beeinträchtigt, danach aber genesen war.

Entscheidungsgründe

Im Prozess hatte die Behandlerseite noch ein Mitverschulden der Patientin geltend gemacht mit Benennung von Zeugen dafür, dass die Patientin während der Vorbereitung des Eingriffs fälschlicherweise den linken als den zu operierenden Arm gereicht habe. Dieses Argument ließ das Gericht aber nicht gelten. Die ordnungsgemäße und den Regeln der Kunst entsprechende Durchführung des Eingriffs obliege allein dem Klinikpersonal. Dieses dürfe sich ohne eine Kontrolle anhand der Krankenakte nicht auf die Mithilfe der Patientin verlassen, mit deren Nervosität oder Ängstlichkeit in der ungewohnten Umgebung immer gerechnet werden müsse.

Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler: Unterschiedliche Urteile zu Höhenfehlern bei Wirbelsäulen-OPs

Ebenfalls zu einer Beweislastumkehr zulasten der Behandlerseite bezüglich der Kausalität kommt es, wenn das Gericht nicht nur einen einfachen, sondern einen groben Behandlungsfehler attestiert. Eine solche gröbliche Pflichtverletzung wird angenommen, wenn eindeutig gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wurde und das ärztliche Fehlverhalten aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint und daher einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“.

Bei der Bewertung, ob ein Behandlungsfehler als grob einzustufen ist oder nicht, besteht ein gewisser Ermessensspielraum der im Verfahren zuständigen Richter. Dass Gerichte hier zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, zeigt die Rechtsprechung zu Höhenfehlern im Rahmen von Wirbelsäulen-OPs.

Nicht vorwerfbarer und folgenloser Höhenfehler: OLG Koblenz verneint Behandlungsfehler

Im Fall eines Höhenfehlers, der den behandelnden Ärzten nicht vorzuwerfen war und glücklicherweise folgenlos blieb, hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz einen Behandlungsfehler verneint (Beschluss vom 13.04.2015, Az. 5 U 1286/14).

Beabsichtigt war eine Operation im Segment LWK 3/4 gewesen, die operierenden Ärzte hatten sich jedoch getäuscht und die Segmente vertauscht. Jedoch machte der im Prozess beauftragte medizinische Sachverständige deutlich, dass es zu einem nicht vorwerfbaren Höhenfehler als grundsätzlich mögliche Komplikation gekommen sei. Die Vertauschung sei durch einen Befund an dem letztlich operierten Segment und weitere Risikofaktoren bei der Patientin trotz der röntgenologischen Markierung begünstigt worden. Auf dieser Basis sahen die Richter des OLG Koblenz einen Behandlungsfehler nicht als gegeben an.

LG Flensburg bejaht groben Behandlungsfehler bei Etagenfehler

Anders als das OLG Koblenz urteilte das LG Flensburg in einem anderen Fall: Die Flensburger Richter attestierten sogar einen groben Behandlungsfehler beim Etagenfehler als „Wrong-level-Operation“ und sprachen der Klägerin 8.000 Euro Schmerzensgeld zu (Urteil vom 24.06.2022, Az. 3 O 205/19).

Eine adipöse Patientin, die sich einer Wirbelsäulen-OP unterzogen hatte, klagte gegen den Krankenhausträger. Im dortigen Fall war eigentlich L 4/5 der geplante Bereich gewesen, während dann tatsächlich L 3/4 operiert worden war. Das Gericht war der Auffassung, dass der Eingriff nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorbereitet gewesen sei und stützte sich dabei auf die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen: Dieser hob in seinem Gutachten hervor, dass bei Eingriffen an der Wirbelsäule wie im vorliegenden Fall die Problematik einer„Wrong-level-Operation“ generell hinreichend bekannt sei. Deshalb seien gerade bei adipösen Patienten besondere Vorsichtsmaßnahmen geboten: Man hätte im Vorfeld überlegen müssen, welche Bildgebung benötigt werde. Sofern ein seitliches Röntgenbild die Darstellung der Höhe L 4/5 unmöglich mache, müsse über alternative Methoden nachgedacht werden. Hier bestünden viele Möglichkeiten der Höhenlokalisation, etwa durch Markierung vorab mit Goldpartikeln oder einer flexiblen Nadel.

So beugen Sie als Chefarzt dem Organisationsverschulden vor

Gerade wenn im Falle einer Verwechselung oder Vertauschung offenbar Kontrollmechanismen nicht gegriffen haben, kann eine Haftung des Chefarztes unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens in Rede stehen. Der Chefarzt ist aufgrund seiner Stellung der medizinisch Gesamtverantwortliche für seine Abteilung: Während den Operateur die Pflicht trifft, sich selbst vor der OP zu vergewissern, dass der Eingriff an der richtigen Stelle und am richtigen Körperteil erfolgt, ist der Chefarzt rechtlich verpflichtet, alle erforderlichen Schutzvorkehrungen wie Vier-Augen-Prinzip, Gegenprüfung, Checklisten etc. strukturell sicherzustellen.

Praxistipp | Um seiner Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, sollte der Chefarzt schriftliche Arbeitsanweisungen formulieren. Kommt es dann dennoch zum Fehler durch einen nachgeordneten Arzt oder Pfleger, kann der Chefarzt zu seiner Entlastung vortragen, dass es ein Versehen im Einzelfall war, der Fehler aber nicht auf strukturelle Mängel zurückzuführen ist.

Weiterführender Hinweis
  • Beiträge zum Thema Organisationsverschulden finden Sie in dem CB-Themenspezial „Die Haftung des Chefarztes als Abteilungsverantwortlicher“ (CB 10/2021, Seite 13)

AUSGABE: CB 5/2023, S. 3 · ID: 49322369

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