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CBChefärzteBrief

Klimawandel„Ein Klimaziel für das Gesundheitswesen wäre super!“

Abo-Inhalt09.12.2022991 Min. Lesedauer

| Im Jahr 2014 war der Gesundheitssektor in Deutschland für 5,2 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Mit dieser Aussage beruft sich die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) offenbar auf dieselbe Studie wie die Deutsche Bundesregierung (CB 05/2022, Seite 17 f.). Dennoch sind Krankenhäuser, die ihren Ausstoß an CO2-Äquivalenten (CO2e) deutlich senken, die absolute Ausnahme. Die Psychologin, Verhaltenstherapeutin und Autorin Katharina van Bronswijk ist Sprecherin der Psychologists and Psychotherapists for Future. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte sie, wie Kliniken ins Handeln kommen können. |

Frage: Frau van Bronswijk, wer sollte das Thema Klimaschutz im Krankenhaus anpacken?

Antwort: In der Position als Chefarzt ist der Start schon einmal leichter als für Ober- oder Assistenzärzte. Für Kliniken, die bereits aktiv Klimaschutz betreiben, war es hilfreich, die Manpower zur Verfügung zu stellen. So hat z. B. die Klinik Havelhöhe in der Nähe von Berlin Klimamanagerinnen, die keine andere Arbeitsaufgabe haben. Sie werden natürlich nicht über Fallpauschalen finanziert. Andere Kliniken gründen Arbeitsgruppen aus der Belegschaft. Sie repräsentieren verschiedenste Gruppen, von der Ärzteschaft über Pflege, Logistik und Einkauf bis zur Küche. Jedes AG-Mitglied könnte für zwei Stunden pro Woche für Klimaschutz abgestellt werden.

Frage: Wer würde gut in eine Arbeitsgruppe passen?

Antwort: Es sollten Personen sein, denen Klimaschutz am Herzen liegt. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie man die Belegschaft in diesem Prozess mitnimmt. Gerade in Kliniken ist die Hierarchie sehr ausgeprägt. Das kann man kritisieren. Es kann aber von Vorteil sein, Dinge anordnen zu können. So entsteht eine Balance aus partizipativem Prozess und Entscheidungen des Chefarztes.

Frage: Stationsteams sind häufig extrem eingebunden und haben kaum Zeit für Klimaschutz. Wie ließen sie sich motivieren?

Antwort: Man kann einerseits auf der individuellen Ebene z. B. Hinweisschilder wie „Licht aus?“ oder „Wasserhahn schließen“ anbringen. Aber es geht ja um systemische Veränderungen. Wenn Leute so gestresst sind, dass sie keine Zeit haben, während des Händeeinseifens einen Wasserhahn zu schließen, haben sie ganz andere Probleme. Dann müssten im Stationsalltag Aufgaben anders verteilt werden oder mehr Personal eingestellt werden. Es müsste politisch mehr Druck für eine bessere Bezahlung gemacht werden. Wir sind da sehr schnell auf einer systemischen Ebene, denn individuelles Verhalten wird sehr stark durch den Kontext geprägt, in dem wir uns bewegen.

Frage: Stichwort Klimakommunikation: Wie lassen sich Mitarbeitende einbinden, die den Klimawandel leugnen?

Antwort: Die wenigsten Menschen leugnen den Klimawandel komplett. Im Gesundheitswesen, das auf wissenschaftlicher Evidenz beruht, gibt es sie kaum. Viel häufiger wird die eigene Verantwortlichkeit geleugnet. Dahinter steckt Resignation. Es sollen erst die Politik, die Wirtschaft, die Chinesen oder sonst jemand etwas unternehmen. Die wirklichen Klimaleugner überzeugen zu wollen, lohnt sich nicht. Das würde zu viel Energie kosten.

Frage: Dann lassen Sie uns bei der Gruppe derer, die Verantwortung für die Erderwärmung ablehnen, bleiben. Wie erreicht man die?

Antwort: Es geht darum, soziale Normen zu verändern und einen neuen Spirit zu erzeugen: Wir machen das jetzt so, das ist das neue Normal. Dieses Gefühl zu vermitteln, nimmt die Leute mit. Denn Menschen sind soziale Wesen. Deshalb ist die Unternehmenskultur so wichtig. Allerdings darf die Gruppe der Zweifler nicht übersehen werden. Sie leugnen den Klimawandel zwar nicht, doch wenn sie eine Tendenz dahin haben, können sie die Stimmung in einer Gruppe kippen lassen. Hier kann die wissenschaftliche Evidenz des Klimawandels weiterhelfen. Denn die Zeiten, in denen man sagen konnte, dass die Wissenschaft sich über den Klimawandel nicht einig ist, sind endgültig vorbei. Das war ein Verzögerungsdiskurs. Unterschiedliche Prognosen zur Erderwärmung sind kein Zeichen dafür, dass die Wissenschaft sich über den Klimawandel selbst nicht sicher ist, sondern dass sie ihre Szenarien sehr genau formuliert und verschiedene Wahrscheinlichkeitsfenster beschreibt.

Frage: Ließen sich beim Klimaschutz auch verhaltenstherapeutische Techniken nutzen, die Sie in Ihrer Praxis bei Patienten anwenden?

Antwort: Es geht beim Klimaschutz um neue Gewohnheiten. Dazu muss man erst einmal Alternativen zu den bisherigen Gewohnheiten haben. Im besten Fall hat man das Gefühl, dass das neue Verhalten etwas bringt, und macht die Erfahrung, dass man es bewältigt. Beispiel Hygienekonzept: Wenn ein Krankenhaus bei der Reinigung von Oberflächen von chemischen Mitteln auf Trockendampf umsteigt, müssen Reinigungskräfte erleben, dass es gut machbar ist. Da bewährt sich die Partizipation. Wird die Belegschaft eingebunden, bekommt niemand das Gefühl, dass die Neuerung von oben beschlossen wurde. Gamification, also ein kleiner, spaßiger Wettbewerb, bei dem Teams einen Preis gewinnen können, ist ebenfalls geeignet. Die Station, die das meiste CO2 einspart, bekommt einen Preis. Das könnte ein Betriebsausflug sein, beispielsweise ein Kajakausflug. Wer gemeinschaftlich gewonnen hat, kann so das Gemeinschaftliche zelebrieren.

Frage: Welche Rolle spielen Chefärzte als Vorbild?

Antwort: Sie müssen nicht perfekt sein. Wichtig ist, dass Vorgesetzte sich sichtbar bemühen und ehrlich sagen, was ihnen selbst schwerfällt. Sonst wirken sie scheinheilig und es entsteht schnell der Vorwurf, dass sie etwas vom Team verlangen, was sie selbst nicht umsetzen. Hält der Motivator sich nicht an die Vorgaben, ist das demotivierend. Doch auch andere können Vorbild sein: Eine Pflegefachkraft, die mit Einmalmaterial besonders sparsam umgeht, bewältigt ein Problem, das andere ebenfalls haben. Wir sprechen hier von einem Bewältigungsmodell, an dem alle sich etwas abgucken können. So kann es für jedes Verhalten Vorbilder wie dich und mich geben.

Frage: Selbstwirksamkeit ist bei der CO2e-Einsparung nicht messbar, das Klima erwärmt sich weiter. Wie lässt sich bei klimafreundlichem Verhalten dennoch spüren, dass etwas Positives geschieht?

Antwort: Es ist ein grundsätzliches Problem bei der Klimakrise, dass man die Indikatoren nicht sieht. Ein Krankenhaus könnte dennoch am Anfang der Klimaschutzmaßnahmen seinen CO2e-Austoß messen und einen Corporate Carbon Footprint erstellen. Dabei hilft z. B. das Projekt KLIK Green, das Klimamanager für Krankenhäuser ausbildet. Steht der CO2e-Ausstoß fest, stellt sich die Frage nach den großen Stellschrauben: Mit welcher Einsparung lässt sich schnell viel erreichen? Das könnte der Verzicht auf Narkosegase sein. Wichtig ist, die Fortschritte zu kommunizieren und auch das Erreichen von Zwischenzielen zu feiern. Auch politische Erfolge können zelebriert werden. Ist ein Krankenhaus Teil einer größeren Initiative, die sich für ein neues, verabschiedetes Gesetz eingesetzt hat, dann ist es wichtig, die kollektive Selbstwirksamkeit zu würdigen.

Frage: Und wenn die Hoffnung doch stirbt?

Antwort: Wer sich beim Klimaschutz auf einzelne Ziele versteift, wird leicht enttäuscht. Denn in einem kollektiven Prozess ist man davon abhängig, dass andere mitmachen. Gegen diese Frustration hilft das Konzept Beyond Hope (Jenseits der Hoffnung). Dabei geht es darum, Dinge zu tun, weil sie wichtig sind und nicht nur, weil sich damit ein Ziel erreichen lässt. Es bedeutet, das Leben an eigenen Werten auszurichten. Es geht nur noch um die Frage, wer man sein will in der Zeit, die einem auf diesem Planeten gegeben ist.

Frage: Würde es etwas bringen, wenn die Bundesregierung ein Klimaziel für den Gesundheitssektor ähnlich wie für den Energie- oder Verkehrssektor vorgäbe?

Antwort: Das fände ich super, weil diejenigen, die von sich aus keinen Antrieb haben, den Anstoß von außen brauchen. Gleichzeitig wäre mir wichtig, dass es bei einem konkreten Ziel eine Abweichung zum Besseren geben darf. Wie beim Kohleausstieg: Er war für spätestens 2038 geplant, nun zeichnet sich 2030 ab. Bei zu unehrgeizigen Zielen besteht die Gefahr, dass man eine Punktlandung schaffen will, diese nicht erreicht und es dann zu spät ist. Deshalb ist es gut, sich einen ambitionierten Endpunkt zu setzen, der erreichbar ist. Wenn es schneller geht, ist es okay. Langsamer darf es nicht sein.

Frau van Bronswijk, vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführender Hinweis
  • Katharina van Bronswijk: Klima im Kopf, oekom Verlag 2022, 208 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-96238-381-7

AUSGABE: CB 1/2023, S. 13 · ID: 48691358

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