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UmsatzsteuerAusgleichszahlungen für den Verzicht auf originäres Liquidationsrecht sind umsatzsteuerpflichtig
| Etwa jeder dritte Chefarzt hat heute noch ein originäres Recht zur Liquidation von Privatleistungen („Altvertragler“; vgl. CB 11/2022, Seite 8 ff.). Manche Klinikträger möchten selbst gegenüber Privatversicherten abrechnen und vereinbaren mit dem liquidationsberechtigten Chefarzt, dass dieser auf sein Liquidationsrecht verzichtet. Monatliche Ausgleichszahlungen, die der Klinikträger im Rahmen einer solchen Vereinbarung leistet, stellen eine umsatzsteuerpflichtige Verzichtsleistung dar. Diese ist nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen gegenüber den Privatversicherten einzuordnen; folglich ist sie nicht umsatzsteuerfrei (Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 30.06.2022, Az. V R 36/20). |
Chefarzt klagt erfolglos gegen Steuernachforderung
Ein Chefarzt klagte gegen die Finanzverwaltung. Er war als Professor der Medizin an einer Universität beschäftigt und als Direktor einer Klinik tätig. Aufgrund einer ihm nach der Hochschulnebentätigkeitsverordnung (HNtVO) vom 15.12.1989 als „Altvertragler“ erteilten beamtenrechtlichen Nebentätigkeitsgenehmigung war er berechtigt, Patienten privat zu behandeln und hierfür zu liquidieren. Dabei durfte er Einrichtungen, Material und Personal des Klinikums gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Anspruch nehmen.
Der Kläger erzielte durch die Ausübung seines Nebentätigkeitsrechts Einkünfte aus freiberuflicher ärztlicher Tätigkeit; die entsprechenden Umsätze waren nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) als Heilbehandlungsleistung steuerfrei. Nach einiger Zeit vereinbarten die Universität, die Klinik und der Kläger zwecks Neuorganisation der Urologie, dass der Kläger auf die Leitung der Klinik sowie auf das ihm eingeräumte Liquidationsrecht verzichtet. Die Universität versetzte den Kläger mit seiner Zustimmung bis zum Eintritt in den Ruhestand in eine sektionsübergreifende Einrichtung der Universität, sodass der Kläger in diesem Forschungsbereich wissenschaftlich tätig wurde.
Die Klinik zahlte an den Kläger als Ausgleich für den Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation und anderer finanzieller Nachteile eine monatliche Entschädigung bis zu dessen Eintritt in den Ruhestand. Der Kläger ging davon aus, dass es sich bei den aufgrund dieser Vereinbarung gezahlten Beträgen um nicht umsatzsteuerbare Entschädigungen bzw. Abfindungen für den Wegfall seiner Einkünfte aus freiberuflicher chefärztlicher Tätigkeit handelte und gab sie daher in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2013 bis 2015 nicht an. Das Finanzamt kam dagegen zu dem Ergebnis, dass es sich beim Verzicht des Klägers auf sein Privatliquidationsrecht zugunsten der Klinik um eine umsatzsteuerbare sonstige Leistung handele, die nicht der Steuerfreiheit für Heilbehandlungsleistungen unterliegt. Der BFH teilte die Auffassung des Finanzamts.
So begründete der BFH seine Entscheidung
Das Recht zur Privatliquidation für die Behandlung ambulanter und/oder stationärer Privatpatienten und Selbstzahler sei, so die Richter, eine vermögenswerte Rechtsposition. Werde auf eine solche verzichtet, handele es sich um eine sonstige Leistung durch Unterlassen. Wenn der Vertragspartner das Recht erlange, entsprechende Leistungen später selbst abrechnen zu können, und dem Steuerpflichtigen hierfür ein Entgelt zahle, liege ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch vor.
Verzicht erfolgte im Rahmen einer Unternehmereigenschaft des Chefarztes
Der Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation erfolge im Rahmen der Unternehmereigenschaft, auch wenn andere Umstände, etwa eine beamtenrechtliche Veranlassung, damit verbunden seien. Bei Verträgen mit mehr als zwei Parteien sei es denkbar, dass unterschiedliche Interessen verfolgt würden. In einem solchen Fall komme es ausschließlich auf die Interessenlage des Leistenden und des Leistungsempfängers an. Bestehe ein Interesse des Leistungsempfängers, aufgrund des Verzichts des Leistenden künftig selbst Umsätze zu generieren (hier: Erlangung der Liquidationsbefugnis) und bestehe das Interesse des Leistenden darin, einen finanziellen Ausgleich zu erhalten, liege zwischen der erbrachten Verzichtsleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang vor, der für die Steuerbarkeit erforderlich sei.
Vereinbartes Entgelt ist kein Schadenersatz
Das Vorliegen eines steuerbaren Umsatzes schließe es aus, das vereinbarte Entgelt als nicht steuerbaren (echten) Schadenersatz zu qualifizieren. Zahlungen seien nur dann als Schadenersatz für die Höhe des Entgelts einer erbrachten Leistung ohne Bedeutung, wenn zwischen der Zahlung und der Leistung kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Verzicht auf Liquidationsrecht dient nicht der (steuerfreien) Heilbehandlung
Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt durchgeführt werden, steuerfrei. Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Eine Heilbehandlung muss einen therapeutischen Zweck verfolgen, auch wenn dieses nicht unbedingt in einem besonders engen Sinn zu verstehen ist. Der Verzicht auf das Privatliquidationsrecht dient weder der Behandlung, Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit und fällt daher mangels eines therapeutischen Zwecks nicht unter die Steuerbefreiung.
Liquidationsrechtsverzicht stellt Sonderkonstellation dar
In einem anderen Fall hatte der BFH entschieden, dass der Verzicht auf eine Mietgarantie steuerfrei ist, wenn die Einräumung der Mietgarantie nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG steuerfrei ist oder – bei Entgeltlichkeit – steuerfrei wäre (Urteil vom 15.04.2015, Az. V R 46/13, BStBl 2015 II S. 947). Der BFH grenzt das vorliegende Urteil allerdings von seiner damaligen Entscheidung ab, weil er beim Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation eine Sonderkonstellation sieht:
Auszug aus der Urteilsbegründung des BFH |
Rechtsverhältnis zum Patienten nicht direkt betroffen „Aufgrund der Nebentätigkeitsgenehmigung erbrachte der Kläger im Rahmen von Behandlungsverträgen gegenüber seinen Patienten umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen. Mit Vertrag vom […] verzichtete der Kläger gegenüber dem Klinikum auf die weitere Behandlung von Privatpatienten und erhielt hierfür einen finanziellen Ausgleich. Die Verzichtsleistung betraf unmittelbar nur das Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Klinikum, während das Rechtsverhältnis zu seinen Patienten nur insoweit (mittelbar) betroffen war, als dem Kläger nach seinem Verzicht die rechtliche Befugnis fehlte, weitere steuerfreie Heilbehandlungsleistungen an Privatpatienten durchzuführen. Die vermögenswerte Abrechnungsbefugnis für die von Chefärzten im Klinikum vorgenommene Behandlung von Privatpatienten und Selbstzahlern stand damit – wie vor der Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung an den Kläger – wieder dem Klinikum zu.“ |
Zugegebenermaßen ist diese Abgrenzung nicht leicht nachzuvollziehen und immerhin hatte auch die Vorinstanz entschieden, dass die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 14 UStG eintreten würde. Doch der BFH ist dieser Auffassung entgegengetreten.
Urteil logisch, darf aber nicht verallgemeinert werden!
In den Heilberufen und auch im Sozialwesen ganz allgemein sind Dreieckskonstellationen im Übrigen häufig anzutreffen. Das vorliegende BFH-Urteil, wonach die Sonderkonstellation aufgrund ihres Dreiecksverhältnisses für die Steuerbefreiung schädlich ist, mag logisch sein. Doch verallgemeinern darf man das Urteil nicht. Denn aus zwei anderen Urteilen geht hervor, dass sich die Auffassung des BFH inzwischen gewandelt hat:
Ende 2010 hatte der BFH noch entschieden, dass Leistungen dann nicht eng mit der Sozialfürsorge verbunden sind, wenn sie nicht gegenüber dem Hilfsbedürftigen, sondern an einen Unternehmer erbracht werden, der sie benötigt, um seine eigene steuerbefreite Ausgangsleistung an den jeweiligen Patienten oder Hilfsbedürftigen zu erbringen (Urteil vom 01.12.2010, Az. XI R 46/08). Der Kläger stellte dem ärztlichen Notdienst ein Rettungsfahrzeug zur Verfügung. Er rechnete seine Leistungen insoweit unmittelbar gegenüber den Notärzten ab, die ihrerseits entsprechende Erstattungen von den Krankenkassen erhielten. Der Kläger hatte folglich keine Leistungen an den jeweiligen Patienten, sondern an den jeweiligen Notarzt erbracht. Der BFH hielt diese „Zwischenschaltung“ seinerzeit für schädlich.
Allerdings hält der BFH an seiner damaligen Auffassung inzwischen nicht mehr fest. Manche Sozialversicherungsträger verlangen eine Bündelung von Leistungen, um nicht mit jedem einzelnen Anbieter einzeln abzurechnen. Übernimmt eine Sozialeinrichtung diese Aufgabe, so bleiben deren Leistungen dennoch steuerfrei, auch wenn die Abrechnungsleistungen für sich genommen nur mittelbar mit der Sozialfürsorge zusammenhängen (BFH, Urteil vom 24.02.2021, Az. XI R 32/20 [Az. XI R 42/19]). Im Urteilsfall ging es um einen Verband der Wohlfahrtspflege, der sowohl Rettungsdienstleistungen als auch die o. g. Abrechnungsdienstleistungen für weitere Leistungserbringer übernommen hatte.
AUSGABE: CB 1/2023, S. 18 · ID: 48759528