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ArzthaftungMobilisation nach Hallux-Valgus-OP: „Immer-so-Beweis“ hilft Behandlerseite, bleibt aber riskant
| Bei Aufklärungsgesprächen können sich die beteiligten Ärzte i. d. R. nicht mehr an den Gesprächsinhalt erinnern, wenn es Jahre später zum Haftungsprozess kommt. Hier können Gerichte den „Immer-so-Beweis“ anwenden (CB 10/2021, Seite 12). So auch das Landgericht (LG) Bielefeld, das die Klage einer Patientin abwies (Urteil vom 15.02.2022, Az. 4 O 415/20). Der „Immer-so-Beweis“ birgt allerdings für die Behandlerseite auch Risiken. (Chef-)Ärzte sind daher gut beraten, Aufklärungsroutinen in ihrer Abteilung zu verschriftlichen und verwendete Aufklärungsbögen zu individualisieren. |
Heilungsverlauf verzögert, Gericht weist Klage ab ...
Eine Patientin klagte gegen einen Krankenhausträger und den behandelnden Arzt. Nach einer im Krankenhaus durchgeführten Hallux-Valgus-OP hatte die Patientin die notwendigen Eigenmobilisationsübungen nicht durchgeführt. Infolgedessen hatte sich das Großzehengelenk der Patientin versteift. Durch intensive Physiotherapie konnte die Beeinträchtigung weitgehend beseitigt werden. Der Vorwurf der Patientin im Haftungsprozess: Sie sei durch die Klinikmitarbeiter nicht darüber aufgeklärt worden, dass sie im Anschluss an die OP Eigenmobilisationsübungen am operierten Großzehengelenk durchführen müsse. Der Heilungsverlauf habe sich dadurch erheblich verzögert. Sie forderte Schadenersatz sowie ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000 Euro. Das LG Bielefeld wies die Klage der Patientin ab.
... und begründet seine Entscheidung wie folgt
Die Richter waren der Auffassung, der Patientenvorwurf könne nicht zu einem Haftungsanspruch gereichen und begründeten dies beweisrechtlich wie folgt:
Einordnung als Behandlungsfehler-, nicht als Aufklärungsfehlervorwurf
Zunächst ordnete das Gericht das Vorbringen der Patientin als Vorwurf eines Behandlungsfehlers ein – nicht eines Aufklärungsfehlers. Dies deshalb, weil es um die Aufklärung der Patientin darüber gehe, welche Maßnahmen von ihrer Seite durchzuführen seien, um die Therapie nach einem Eingriff letztendlich erfolgreich zu gestalten.
Aufklärungsfehler betrifft immer die Eingriffsaufklärung Merke | Der Begriff „Aufklärungsfehler“ adressiert im juristischen Sprachgebrauch die Eingriffsaufklärung – d. h., ob dem Patienten präoperativ alle Umstände und Risiken des operativen Eingriffs erörtert worden sind. Wenn es um therapeutische Hinweise im Rahmen der Sicherungsaufklärung geht – d. h., wie der Patient durch therapiegerechtes eigenes Verhalten den Behandlungserfolg sichern kann –, ist dies der Kategorie Behandlungsfehler zuzuordnen (z. B. Hinweise an den Patienten über Lebensweise und Ernährung oder zu Eigenübungen – wie die postoperativen Eigenmobilisationsübungen im vorliegenden Fall). |
Patientin trägt die Beweislast für Behandlungsfehler
Die Einordnung als Behandlungsfehlervorwurf ist relevant für die Beweislastverteilung im Gerichtsverfahren. Bei behaupteten Aufklärungsfehlern bzgl. der präoperativen Eingriffsaufklärung muss die Behandlerseite beweisen, dass ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Bei Behandlungsfehlervorwürfen hingegen trägt die Patientenseite die Beweislast. Demnach musste die Patientin im vorliegenden Fall beweisen, dass der Hinweis auf die Notwendigkeit von Eigenmobilisationsübungen unterblieb. Dies gelang ihr aber nicht. Das Vorbringen der Patientin im Prozess sei teilweise sogar widersprüchlich gewesen, so die Bewertung der Richter.
Nachbehandlungsschema glaubhaft dargelegt
Vielmehr berücksichtigte das LG Bielefeld im Rahmen der Beweiswürdigung auch die Darlegungen der Behandlerseite zu „den üblichen Arbeitsabläufen in der Klinik“. So habe der vor Gericht persönlich angehörte Arzt glaubhaft ausgeführt, dass – auch wenn er sich an das konkrete Gespräch mit der Patientin nicht mehr erinnern könne – bei Hallux-Valgus-OPs die Nachbehandlung eines der Hauptthemen in den Besprechungen mit den Patienten sei. Es sei in der Klinik ein Nachbehandlungsschema etabliert, welches postoperative Gymnastik in Form einer „sofortigen Mobilisation des Großzehengelenks und der Zehengrundgelenke“ sowie die „Einweisung des Patienten zur Selbstmobilisation der betreffenden Gelenke“ vorsehe.
So beugen Sie einer Einordnung als Aufklärungsfehler vor
Um den Vorwurf eines Aufklärungsfehlers zu entkräften, sollten Sie als (Chef-)Arzt bestmöglich vorbereitet sein.
Merke | Cave: Der „Immer-so-Beweis“ ist ein schmales Brett. Wenn der Patient Mängel im Aufklärungsgespräch glaubhaft macht und evtl. sogar Angehörige als Zeugen anführt, kann das Pendel im Gerichtsprozess zu seinen Gunsten ausschlagen. Daher sollten die Abläufe in der Klinik so organisiert sein, dass die Inhalte von Aufklärungsgesprächen gut dokumentiert werden. |
- Schaffen Sie bestmögliche Voraussetzungen für den „Immer-so-Beweis“.Wenn sich der behandelnde Arzt an das konkrete Aufklärungsgespräch aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr erinnern kann, kann die Behandlerseite im Prozess darlegen, dass die Aufklärung nach einem bestimmten Schema „immer so“ erfolge (vgl. CB 10/2021, Seite 12). Je besser Behandlungsschemata und grundsätzliche Vorgehensweisen in der Klinik generell verschriftlicht sind und je besser die Dokumentation im einzelnen Behandlungsfall ist, desto größer die Erfolgsaussichten im Prozess.
- Individualisieren Sie vorgefertigte Aufklärungsbögen. Für eine nachvollziehbare Dokumentation ist es unbedingt empfehlenswert, die verwendeten Aufklärungsbögen erkennbar zu individualisieren (z. B. durch Zeichnungen oder handschriftliche oder digitale Hervorhebungen und Ergänzungen während des Aufklärungsgesprächs). Blankobögen haben keinen Beweiswert – und können vor Gericht schlimmstenfalls sogar den Anschein erwecken, dass das Aufklärungsgespräch schlicht vergessen wurde.Zeichnungen, Hervorhebungen während des Gesprächs
AUSGABE: CB 1/2023, S. 7 · ID: 48754505