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CBChefärzteBrief

Diskriminierung„Menschen mit HIV können in jedem Beruf arbeiten!“

Abo-Inhalt20.07.20226987 Min. Lesedauer

| Am 01.02.2022 hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Hessen einen HIV-positiven Studenten der Zahnmedizin vom Praxisunterricht ausgeschlossen (Az. 10 B 2508/21; Abruf-Nr. 48433225). Christin Engelbrecht ist Geschäftsführerin der Aidshilfe Niedersachsen e. V. Im Gespräch mit CB-Autorin Ursula Katthöfer (textwiese.com) erläutert sie, welche Folgen dieser Gerichtsbeschluss für Krankenhäuser und deren Beschäftigte hat. |

Frage: Frau Engelbrecht, wie wird sich das Urteil aus Hessen Ihrer Einschätzung nach auf das Studium der Humanmedizin in Deutschland auswirken?

Antwort: Im schlimmsten Fall erhöhen auch andere Universitäten die Zugangsbarrieren für Menschen mit HIV. Doch ich hoffe, dass die Entscheidung des VGH Hessen überhaupt keine Auswirkungen hat und dass andere Universitäten sich die Diskriminierung nicht abgucken. Zurzeit handhaben die Universitäten den Zugang ganz unterschiedlich. Einer Umfrage der Deutschen Aidshilfe zufolge fragen viele den HIV-Status der Studierenden gar nicht ab, andere handeln wie Marburg. Sehr spannend finde ich, wie sich das Vertrauen in Betriebsärzte entwickeln wird. Deren vorrangige Aufgabe ist, Angestellte bzw. Studierende zu schützen und auf ihr Wohlergehen zu achten. In Marburg hat die Betriebsärztin komplett die Perspektive gewechselt. Statt dafür zu sorgen, dass es dem Studenten gut geht, hat sie die Position der Universität unterstützt. Das führt nicht zu mehr Vertrauen.

Frage: Im Verfahren ging es auch darum, wie oft der Student sich testen lassen müsse. Gemäß einem Gutachten, das der Student anfertigen ließ, reicht eine vierteljährliche Kontrolle. Eine Virenlast von nicht mehr als 200 Kopien pro Milliliter sei unbedenklich, sofern Therapieadhärenz besteht. Wie ist die Position der Aidshilfe?

Antwort: Der Student muss sich überhaupt nicht testen lassen, denn er ist in ärztlicher Behandlung und lässt seine Viruslast somit alle drei Monate eigenverantwortlich checken. Egal, wie oft er sich verletzt: Er ist nicht mehr ansteckend. Der Student ist geschützt und alle anderen auch. Das reicht. Zudem darf man das Verletzungsrisiko nicht mit einer Infektionsübertragung gleichsetzen. Wenn dem so wäre, würden viele HIV-Patienten ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte anstecken. Das ist jedoch nicht der Fall.

Frage: Wie gehen Ärzte im Krankenhaus heutzutage mit Kollegen und Bewerbern, die mit dem HI-Virus infiziert sind, um?

Antwort: Das pauschal zu sagen, ist schwierig. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Doch als Aidshilfe erreichen uns immer wieder Diskriminierungsfälle. Wir wissen von einem Chirurgen, der unter der Nachweisgrenze liegt und keinen Job bekommt. Eine uns bekannte HIV-positive medizinische Fachangestellte wird von Patienten ferngehalten. Das ist krass. Menschen mit HIV können in jedem Beruf arbeiten. Das hat sich allerdings im medizinischen Sektor noch nicht herumgesprochen.

Frage: Wie ist der Umgang mit Patienten im Krankenhaus?

Antwort: Es gibt bestimmt viele Häuser, in denen die Beschäftigten geschult wurden und gut informiert sind. Aber uns erreichen Fälle, in denen Patienten mit HIV im Krankenhaus schlechter behandelt wurden: z. B. indem man eine notwendige Operation davon abhängig macht, ob der Patient einem HIV-Test vorab zustimmt, und bei Weigerung auf den Patienten Druck ausübt. Das Argument lautet oft, dass es besonderer Hygienemaßnahmen bei Patienten mit HIV bedürfe. Dabei begeben Ärzte sich in eine Scheinsicherheit. Denn oft können sie ja gar nicht wissen, ob Patienten HIV, Hepatitis, Herpes, COVID-19 oder eine andere Infektionskrankheit haben. Einige Patienten wissen das nicht einmal selbst. Theoretisch kann das Team sich bei jedem Patienten mit irgendeiner Erkrankung anstecken. Deshalb müssen Hygienemaßnahmen bei allen Patienten gleichermaßen gewährleistet sein. Werden die normalen Hygienevorschriften eingehalten, gibt es bei HIV kein Übertragungsrisiko.

Frage: Mancherorts werden Patientenakten von Menschen mit HIV sichtbar gekennzeichnet. Was bedeutet ein solcher Verstoß gegen die Schweigepflicht?

Antwort: So ein Verstoß geht überhaupt nicht klar. Oft sind die Patienten nicht genügend über ihre eigenen Rechte aufgeklärt und wehren sich nicht. Auch kommt es vor, dass die HIV-Infektion eines Patienten in einem gut hörbaren Gespräch auf dem Krankenhausflur öffentlich gemacht wird. Diese Indiskretion hat für die Patienten körperliche und seelische Folgen. Sie verlieren das Vertrauen, suchen sich bei nächster Gelegenheit ein anderes Krankenhaus, nehmen längere Anfahrtswege und ggf. eine schlechtere Versorgung in Kauf oder verschweigen ihre HIV-Infektion. Letzteres wird zum Risiko, weil unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten entstehen können.

Frage: Gerade im Krankenhaus sollte bekannt sein, dass HIV bei richtiger Medikation nicht ansteckend ist. Wie erklären Sie sich dennoch die Diskriminierung?

Antwort: Sie ist nicht zu verstehen. Die wissenschaftlichen Daten sind eindeutig aufseiten der Menschen mit HIV. Doch geht es nicht nur um Rationalität. Bei HIV ist sehr viel Emotion im Spiel. Viele Menschen haben immer noch krasse Bilder aus den 80er-Jahren im Kopf. Die gesellschaftliche Entwicklung hängt der medizinischen weit hinterher.

Frage: Wird in Aus- und Fortbildung zu wenig auf HIV und AIDS eingegangen?

Antwort: Bei HIV gab es in den letzten Jahren eine enorme medizinische Entwicklung. Die PrEP (Präexpositionsprophylaxe) ist heute recht bekannt, doch die PEP (Postexpositionsprophylaxe) hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Diese Pille danach kann eine potenzielle Infektion mit antiretroviralen Wirkstoffen im Nachhinein verhindern. Man muss also gerade bei HIV immer am Ball bleiben. Deshalb wünschen wir uns als Aidshilfe, dass Krankenhäuser sich noch viel mehr informieren. Alle Aidshilfen bieten Schulungen an, für die es Fortbildungspunkte gibt, und kommen gern in die Häuser.

Frau Engelbrecht, vielen Dank für das Gespräch!

AUSGABE: CB 8/2022, S. 18 · ID: 48433228

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