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CBChefärzteBrief

ArzthaftungsrechtBeweislast bei Dekubitus bleibt auf Patientenseite

Abo-Inhalt05.07.20226469 Min. LesedauerVon RA, FA MedR Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Dekubitusprophylaxe ist gerade bei längeren Krankenhausaufenthalten von bettlägerigen Patienten ein wichtiges Thema. Bildet sich beim Patienten dennoch ein Dekubitus, können hierauf Schadenersatz- und Schmerzensgeldbegehren gestützt – und auch eingeklagt werden. Wie die Beweislast im Prozess verteilt ist und welche Anforderungen für Verfahrensweisen und Dokumentation in der Klinik gelten, dafür hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden in seinem aktuell veröffentlichten Beschluss vom 30.11.2021 (Az. 4 U 1764/21) wichtige Leitplanken vorgegeben. |

Der Hintergrund: Beweislast im Arzthaftungsprozess

Im Arzthaftungsverfahren trägt grundsätzlich der Patient die Darlegungs- und Beweislast für einen von ihm behaupteten Behandlungsfehler. D. h., wenn der Patient nicht beweisen kann, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, verliert er den Prozess. Es gibt allerdings Fallkonstellationen, in denen die Beweislast auf die Behandlerseite übergeht. Daraus folgt, dass dann die Behandlerseite den Beweis führen muss – und den Prozess verliert, wenn ihr dies nicht gelingt. Zu diesen Fallkonstellationen zählen u. a.

  • das sog. voll beherrschbare Risiko: Wenn sich ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlerseite hätte voll beherrscht werden können und müssen, muss diese darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen getroffen hatte, um das Risiko zu vermeiden. Voll beherrschbare Risiken sind im Klinik- oder Praxisbetrieb verortet. Sie können und müssen durch gute Organisation objektiv voll ausgeschlossen werden (z. B. Hygienefehler). Sie sind allerdings abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus erwachsen und daher der Patientensphäre zuzurechnen sind (hierzu zählt regelmäßig auch das Risiko, während eines stationären Krankenhausaufenthalts einen Dekubitus zu erleiden – wie das OLG Dresden in seinem Beschluss klargestellt hat).
  • Dokumentationsmängel: Diesbezüglich nennt das OLG Dresden in den Entscheidungsgründen des o. g. Urteils wichtige Dokumentationsgrundsätze.

Der Sachverhalt

Eine Patientin – die spätere Klägerin – wurde notfallmäßig in der Nacht wegen einer akut exazerbierten chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) in die Klinik eingeliefert. Sie wurde zunächst auf der Intensivstation behandelt, wo sie u. a. intubiert und sediert, zwischendurch auch fixiert wurde. Nach zwei Wochen wurde sie auf die normale Innere Station verlegt, neun Tage später entlassen. Im Entlassungsbericht war ein Dekubitus am Gesäß mit dem Grad 2 beschrieben.

Bereits eine Woche nach der Entlassung musste die Patientin wegen des verschlimmerten Dekubitus notfallmäßig erneut in die Klinik aufgenommen werden. Der Dekubitus wurde nunmehr als Grad 4 eingestuft und musste operativ versorgt werden. Die Patientin erhob Klage gegen den Krankenhausträger auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Sie rügte eine unzureichende Dekubitusbehandlung während des stationären Aufenthalts. Das OLG folgte der Argumentation der Patientenseite nicht und gab der Behandlerseite recht.

Die Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des OLG Dresden ist ein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Dekubitusprophylaxe zu verneinen. Ein Dekubitus falle nicht unter die Fallgruppe des voll beherrschbaren Risikos. Daher gehe die Beweislast nicht auf die Behandlerseite über, sondern verbleibe auf der Patientenseite.

Dokumentationsgrundsätze zur Dekubitusprophylaxe bei Risikopatienten

Zu den Dokumentationsanforderungen betreffend Dekubitusprophylaxe konstatierte das Gericht folgende Grundsätze. Es sei – jedenfalls bei Risikopatienten – schon allein zur Gewährleistung der erforderlichen Prophylaxe erforderlich, in den Krankenunterlagen festzuhalten:

  • die ärztliche Diagnose,
  • dass der Betroffene ein solcher Risikopatient sei und außerdem
  • die ärztlichen Anordnungen zu den durchzuführenden besonderen Pflegemaßnahmen.

Von einer Dokumentation der angeordneten Pflegemaßnahmen dürfe nur dann abgesehen werden, wenn eine allgemeine schriftliche Anweisung besteht, aus der deutlich hervorgehe, welche einzelnen prophylaktischen Maßnahmen in den Fällen des Dekubitusrisikos unbedingt durchzuführen seien. Nachlässigkeit bei der solchermaßen erforderlichen Dokumentation sei regelmäßig ein Indiz dafür, dass im Krankenhaus die ernste Gefahr der Entstehung von Durchliegegeschwüren nicht erkannt und die Durchführung vorbeugender Maßnahmen nicht hinreichend sichergestellt worden seien.

Patientin konnte sich nicht auf Dokumentationsmängel berufen

Im vorliegenden Fall war zwischen den Prozessparteien unstreitig, dass im Klinikum ein Standard zur Dekubitusprophylaxe existierte, der Vorgaben für die Einschätzung des Dekubitusrisikos und für die individuelle Behandlung enthielt. Jedoch nahm das Klinikpersonal eine Einstufung nach der Braden-Skala nicht gleich bei Aufnahme der Patientin vor, sondern erst im Zusammenhang mit der Übernahme auf die Intensivstation.

Dekubitusbehandlung und Dokumentation ausreichend und umfassend

Dies hielt der vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige jedoch mit Blick auf die Notfallsituation bei Aufnahme insbesondere wegen der eingeschränkten Atmung für gerechtfertigt. Die weitere Dekubitusbehandlung und deren Dokumentation seien ausreichend und umfassend gewesen. Sowohl die erfolgten Lagerungs- als auch die Pflegemaßnahmen seien hinreichend aufgezeichnet – so das Votum des Sachverständigen, dem die Richter folgten.

AUSGABE: CB 8/2022, S. 13 · ID: 48411002

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