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CBChefärzteBrief

Palliativmedizin„Bei der Frage nach assistiertem Suizid kann ein Chefarzt sich nicht nicht verhalten!“

Abo-Inhalt02.12.2021944 Min. Lesedauer

| Sterbenskranke Menschen wenden sich zunehmend mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid an Ärzte und Pflegepersonal. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) begegnet dem mit Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz (online unter iww.de/s5732). Der Internist Dr. Bernd Oliver Maier ist stellvertretender DGP-Vorsitzender und Chefarzt der Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden. Mit ihm sprach Ursula Katthöfer (textwiese.com). |

Frage: Herr Dr. Maier, wie sollte ein Chefarzt einem Patienten begegnen, der um Hilfe beim Suizid bittet?

Antwort: Das Wichtigste ist, dem Wunsch respektvoll zu begegnen. Es geht nicht darum zu urteilen, ob der Wunsch gerechtfertigt ist. Vielmehr ist es immer sehr berührend, wenn jemand an den Punkt gekommen ist, sich das Leben nehmen zu wollen und mit mir als Chefarzt darüber sprechen möchte. Als Führungsverantwortlicher kann ich vorleben, dass es eine Frage der Kultur ist, dem Thema offen zu begegnen.

Frage: Suizidhilfe ist keine ärztliche Aufgabe. Sollten Ärzte den Todeswunsch abwenden?

Antwort: Das wäre zu missionarisch. Doch in der Mehrzahl der Fälle hat der Patient keinen klaren Todeswunsch, sondern erlebt einen Missstand, unter dem er nicht mehr weiterleben möchte. In der Medizin geben wir lebensbejahende Impulse. Deshalb sollten wir dem Phänomen Todeswunsch Raum geben, es aus der Tabuzone holen und Perspektiven öffnen. Die Patienten möchten auch wissen, wie ihr Arzt selbst mit dem Thema umgeht, für was er steht.

Frage: Was bedrückt die Patienten so stark, dass sie an Suizid denken?

Antwort: Häufigste Anlässe sind sicher Angst vor unerträglichen körperlichen Symptomen wie Schmerz und Luftnot. Aber es gibt eine Vielzahl weiterer Motive: Gerade Hochbetagte sind oft vereinsamt. Nun lässt Einsamkeit sich nicht wie ein Infekt wegtherapieren. Dennoch gibt es viele Optionen wie einen ehrenamtlichen Besuchsdienst, um sie zu lindern. Es ist wichtig, Angebote zu machen, die über ein rein biologisches Krankheitsverständnis hinausgehen. Ein weiteres klassisches Argument ist, den Angehörigen ja keine Last sein zu wollen. Doch oftmals wurde dieses Thema innerhalb der Familie nie offen angesprochen. Dann sollten wir ein moderiertes, klärendes Gespräch anbieten.

Frage: Bitten auch Angehörige um assistierten Suizid bei Sterbenskranken?

Antwort: Das wäre ja kein assistierter Suizid, sondern Tötung auf Verlangen Dritter, da bewegen wir uns rechtlich in einem ganz anderen Rahmen, da die Tatherrschaft nicht beim Betroffenen selbst ist. Da geht es um Totschlag und evtl. Mord. Aber ja: Der Wunsch nach Sterbehilfe – oft als Ausdruck eines mitfühlenden sich Sorgens – wird natürlich geäußert. Wenn Angehörige sich den Tod eines sterbenskranken Menschen wünschen, hat das oft etwas mit dem selbst gefühlten Leid während eines Sterbeprozesses zu tun. Dann müssen sie selbst begleitet werden und für sich klären, wie sie mit der eigenen Belastung zurechtkommen. Möglich ist auch, dass Angehörige Angst haben, dass der Sterbende schwer leidet. Ihnen dann die Rückversicherung zu geben, dass wir z. B. eine bewusstseinsdämpfende Therapie anwenden, tut ihnen gut.

Frage: Wie lassen sich Ärzte, Pflegeteams und der Sozialdienst einbinden?

Antwort: Es geht ja darum, ein Therapieziel gemeinsam zu erreichen. Deshalb muss das Team aus Ärzten und Pflege gemeinsam überlegen, wie es mit Anfragen zum assistierten Suizid umgeht. Ein Patient öffnet sich auch ganz anders, wenn er bei der Chefvisite feststellt, dass das Team bedeutsam ist.

Frage: Welche Rolle kommt der Geschäftsführung zu?

Antwort: Bei einem Thema wie diesem sollte die Geschäftsführung den offenen Diskurs führen und fördern. Nur so lässt sich der Eindruck vermeiden, ein einsamer Wolf fälle die Entscheidung über Leben und Tod im Dunklen. Die Institution muss mit einer Stimme sprechen. Deshalb ist es ratsam, sich grundsätzlich Gedanken zu machen und die Mitarbeiter zu schulen. Das beginnt bei der Frage, wie ein Sterbewunsch zu dokumentieren ist. Fragt man ihn bei der Anamnese ab? Auch müssen die Chefärzte sich klinikübergreifend darauf einigen, welche roten Linien sie nicht überschreiten. Es kann nicht sein, dass die Neurologie eine andere Haltung einnimmt als die Kardiologie. Letztlich lässt sich die Haltung im Leitbild formulieren, damit auch die Patienten wissen, ob das Haus ihren persönlichen Erwartungen entspricht.

Frage: Wo könnte denn eine rote Linie verlaufen?

Antwort: Der Patient muss wissen, worauf er sich unmissverständlich verlassen kann. Wenn er jemanden für Sterbehilfe sucht, kann ein Chefarzt z. B. erklären, dass er persönlich nicht mitwirkt oder eben ggf. auch dazu bereit ist. Eine klar kommunizierte Haltung gibt dem Patienten Sicherheit.

Frage: Könnte ein Chefarzt sich auch aus der Affäre ziehen und sagen, dass er den assistierten Suizid ablehnt?

Antwort: Das ist ein Trugschluss. Wir haben zwar in allen bisherigen Vorschlägen zu gesetzlichen Regelungen einen Mitwirkungsvorbehalt für Ärzte. Doch wenn ein Patient sein Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt und sich die Sterbehelfer ins Haus holt, wird aus dem Mitwirkungsvorbehalt ganz schnell eine Situation, in der man sich positionieren muss. Was soll man denn mit den Sterbehelfern tun? Sie rausschmeißen? Ein Chefarzt kann sich bei der Frage nach assistiertem Suizid also nicht nicht verhalten. Er kann die direkte Mitwirkung am Patientenbett ablehnen, doch institutionell muss er sich verhalten.

Herr Dr. Maier, vielen Dank für das Gespräch.

AUSGABE: CB 2/2022, S. 14 · ID: 47847036

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