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MeinungsfreiheitEhrverletzende Äußerungen eines Anwalts versus freie Meinungsäußerung
| Ein Rechtsanwalt darf im Rahmen seiner Berufsausübung starke und eindringliche Ausdrücke benutzen und nicht allein in der Sache, sondern auch gegen Personen argumentieren. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht muss hier nach dem OLG Schleswig gegenüber der Meinungsfreiheit zurücktreten. |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 229842
Ein als Insolvenzverwalter tätiger Anwalt fühlte sich durch die Äußerung eines Berufskollegen „Sie sind doch gar kein Insolvenzverwalter“ in seiner Ehre verletzt. Der Versuch, diese Aussage durch eine einstweilige Verfügung verbieten zu lassen, scheiterte nicht nur beim LG, sondern auch beim OLG (OLG Schleswig 19.5.21, 9 U 39/21, Abruf-Nr. 229842). Zwar nahm das OLG an, dass durch den streitigen Satz die mit dem Amt des Insolvenzverwalters typischerweise in der Öffentlichkeit verbundene Sachkunde in Abrede gestellt werden sollte. Die Richter sahen hierfür aber in der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 GG einen Rechtfertigungsgrund.
Nach Auffassung des Gerichts wollte der Beklagte die ausreichende rechtliche Kompetenz des Gegners und dessen fehlende Erfahrung in Insolvenzsachen thematisieren. Diese wertende Stellungnahme drängte die ebenfalls enthaltene – bloß formale – Tatsachenbehauptung in den Hintergrund. Überdies waren widerstreitende Interessen der Beteiligten Grund für die Besprechung. Das OLG wertete die Äußerung daher als Wahrnehmung berechtigter Interessen. Der Beklagte wollte erkennbar für die Rechte seines Mandanten eintreten und durfte in dieser Situation auch „deutliche Worte“ wählen.
Relevanz für die Praxis
Maßgebend für die Beurteilung einer Aussage sind zunächst das Verständnis eines unbefangenen Durchschnittshörers und der allgemeine Sprachgebrauch. Außerdem darf ein Äußerungsinhalt nicht aus seinem Kontext herausgelöst und einer isolierten Betrachtung zugeführt werden. So wurde der beanstandete Satz in dem zugrunde liegenden Fall in einem Gespräch zwischen den Beteiligten geäußert, ohne dass ein fremder Dritter zugehört hatte. Gesprächsgegenstand waren allein strittige insolvenzrechtliche Fragen. Die engste private Sphäre des Klägers wurde nicht tangiert. Vielmehr stand dessen berufliche Tätigkeit im Fokus.
Kritik darf durchaus grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt ausfallen, zumal im „Kampf ums Recht“ (BVerfG 9.2.22,1 BvR 2588/20). Die Meinungsfreiheit gilt aber nicht schrankenlos, wenn Aussagen eine bloße Schmähung enthalten (BVerfG 2.11.20, 1 BvR 2727/19). Eine unerlaubte Schmähkritik verletzt ohne jeden Sachbezug letztlich nur die Person grundlos und gravierend, so etwa bei Begriffen aus der Fäkalsprache oder der Bezeichnung eines Richters als „menschlicher Abschaum“ (BayObLG 3.2.22, 204 StRR 20/22).
AUSGABE: AK 8/2022, S. 133 · ID: 48125279