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ApothekenentwicklungpDL „Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ – so finden Sie den Einstieg
| Mittlerweile haben schon einige Patienten vom Angebot der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) gehört und fragen in der Apotheke aktiv nach einer Medikationsberatung. Apotheker haben aber auch die Möglichkeit, die pDL selbst auszulösen und sie gezielt den Patienten anzubieten, die von einer Medikationsberatung in besonderem Maße profitieren. Das sind alle Patienten, die mindestens fünf ärztlich verordnete, systemisch wirkende Arzneimittel und Inhalativa dauerhaft anwenden. Eine „Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ muss also nicht langwierig und kompliziert sein. |
Mit relativ wenig Aufwand kann bereits viel bewirkt werden
Bereits ab fünf Arzneimitteln spricht man von Polymedikation. Diese ist u. a. mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen, mangelnder Therapietreue, Stürzen und Hospitalisierungen assoziiert. Auch Patienten mit vergleichsweise wenigen Arzneimitteln ziehen also einen Nutzen aus der Medikationsberatung.
Zudem sind „überschaubare“ Medikationsberatungen auch für die Apotheker interessant, um einen Einstieg in das Thema zu finden. Zum einen eignen sie sich, um zu üben und Schritt für Schritt mit den Fällen zu wachsen. Zum anderen benötigen Apotheker immer wieder auch „kleinere Fälle“, um die neue Dienstleistung effizient anbieten zu können. Das folgende Beispiel soll Anregungen geben, wie im Rahmen der „Erweiterten Medikationsberatung bei Polymedikation“ bei Adhärenzproblemen und Unsicherheiten im Umgang mit Arzneimitteln mit relativ wenig Aufwand viel bewirkt werden kann.
Patientenfall: Herr Müller braucht mehr Sicherheit
Herr Müller betritt seine Stammapotheke. Er kommt gerade von seiner Hausärztin, in der Hand hält er die elektronische Gesundheitskarte (eGK). Sein Apotheker Herr Schmitz begrüßt ihn, die beiden kennen sich schon seit Jahren. Vor einigen Wochen ist Herrn Müllers Frau gestorben. Heute macht er einen besonders sorgenvollen Eindruck: „Ich benötige wieder meine Medikamente. Jetzt muss ich mich ja um alles allein kümmern. Als meine Frau noch gelebt hat, hat sie mir meine Tabletten immer eingeteilt. Ich blicke gar nicht richtig durch.“
Der Apotheker beruhigt ihn: „Ich habe ein sehr gutes neues Angebot für Sie, das ist mehr als das, was wir normalerweise im Rahmen der Beratung bieten, und wird von Ihrer Krankenkasse bezahlt.“ Er überreicht Herrn Müller den Flyer „Medikationsberatung: Flyer für Patient*innen zur Information“ der ABDA und lädt ihn damit zu der neuen pDL ein. „Anschließend sind Sie ganz sicher im Umgang mit Ihren Arzneimitteln.“ Herr Müller nimmt das Angebot gerne an. Er unterschreibt die Vereinbarung und eine Entbindung von der Schweigepflicht, damit sein Apotheker bei Bedarf Kontakt mit seiner Hausärztin aufnehmen kann. In der folgenden Woche treffen sich beide im Beratungsraum der Apotheke zum sogenannten Erstgespräch wieder.
Erstgespräch
Wie im Flyer beschrieben, hat Herr Müller alle Arzneimittel mitgebracht, die aktuell von ihm angewendet werden. Außerdem hat er einen Medikationsplan dabei. Diesen hatte er bereits im August 2023 von seiner Hausärztin erhalten: Arztberichte und Laborwerte liegen nicht vor. Diese werden für die Medikationsberatung aber auch nicht zwingend benötigt.
Zunächst bittet Herr Schmitz seinen Kunden, die Arzneimittel auf dem Beratungstisch zu sortieren. Er möchte von ihm wissen, wofür oder wogegen und wie genau die einzelnen Medikamente angewendet werden. So möchte er auch herausfinden, wie gut Herr Müller mit den Arzneimitteln vertraut ist. Es stellt sich heraus, dass Herr Müller alle Tabletten nach dem Essen mit einem Glas Wasser einnimmt. „Metamizol nehme ich gegen meine Schmerzen im Knie ein, ich habe Arthrose“, berichtet er. „Alle anderen Medikamente sind für mein Herz. Im letzten Sommer hatte ich einen Herzinfarkt, außerdem ist ohne die Tabletten mein Blutdruck zu hoch.“ Genauer kennt er die Behandlungsgründe der einzelnen Arzneimittel allerdings nicht.
In seiner Tasche befinden sich zwei angebrochene, fast leere Packungen: Clopidogrel und Pantoprazol. „Das haben die gestern in der Praxis vergessen, neu zu verschreiben. Da muss ich noch mal anrufen. Zum Glück reichen die Tabletten noch für ein paar Tage.“ Herr Schmitz betrachtet den mitgebrachten Medikationsplan. „Laut Plan benötigen Sie beide Arzneimittel jetzt nicht mehr“, erklärt er. „Das kläre ich aber bis zu unserem nächsten Termin mit Ihrer Hausärztin.“ Auf dem Tisch liegen außerdem eine Packung Paracetamol und eine Tube Voltaren Schmerzgel. „Paracetamol nehme ich manchmal bei Kopfschmerzen und Voltaren selten für mein Knie, wenn Metamizol nicht mehr ausreicht. Davon bräuchte ich auch gleich noch eine neue Tube, das hilft gut.“ Abgesehen von den Knieschmerzen hat Herr Müller aktuell keine Beschwerden. Er erzählt aber noch, dass er nicht immer an die Einnahme aller Tabletten denkt: „ASS und Clopidogrel vergesse ich manchmal, weil ich jetzt oft bei einem Freund zu Mittag esse. Alle anderen Tabletten nehme ich aber immer ganz genau so, wie es im Plan steht“. Hinweise auf eine nicht ordnungsgemäße Lagerung der Arzneimittel ergeben sich während des Gesprächs nicht.
Bevor sich die beiden verabschieden, führt Herr Schmitz bei seinem Kunden noch die pDL „Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck“ durch. Der ermittelte Wert liegt im Normbereich: 130/78 mmHg, Puls 60. Er kann diese Dienstleistung zusätzlich zur Medikationsberatung abrechnen, weil Herr Müller Antihypertensiva anwendet. Das Ergebnis ist hilfreich für die anschließende pharmazeutische AMTS-Prüfung. Auf den ersten Blick scheint der Blutdruck mit der aktuellen Medikation gut eingestellt zu sein. Herr Schmitz verabredet mit Herrn Müller ein Abschlussgespräch in zehn Tagen. So bleibt ihm ausreichend Zeit für die pharmazeutische AMTS-Prüfung und auch für die Rücksprache mit der Hausärztin seines Kunden.
AMTS-Prüfung und Aktualisierung des Medikationsplans
Apotheker Schmitz sieht sich die Aufzeichnungen des Erstgesprächs an. Herr Müller ist unsicher in Bezug auf die Anwendung seiner Arzneimittel, er kennt nicht alle Behandlungsgründe und hat zuletzt die Einnahme von Clopidogrel und ASS oft vergessen. Trotz des Hinweises „bis Ende Februar 2024“ im Medikationsplan hat er nicht bedacht, dass Clopidogrel und Pantoprazol abzusetzen waren. Herr Schmitz vergewissert sich sicherheitshalber zunächst bei der Hausärztin, ob Clopidogrel und Pantoprazol nun wirklich abgesetzt wurden. Außerdem schlägt er vor, den Einnahmezeitpunkt von ASS auf morgens zu verschieben, um die Adhärenz zu fördern. Dazu schickt er eine E-Mail. Vor einigen Monaten hatte er die Ärztin persönlich darüber informiert, dass er fortan die pDL in seiner Apotheke anbieten wird. Der Hausärztin erschien es zum damaligen Zeitpunkt am einfachsten, für Rückfragen im Rahmen der Medikationsberatung per verschlüsselter E-Mail zu kommunizieren.
Sie bestätigt, dass beide Arzneimittel nur für einen Zeitraum von sechs Monaten nach dem Herzinfarkt indiziert waren: das Clopidogrel im Rahmen einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung und das Pantoprazol aufgrund des erhöhten Risikos für gastroduodenale Ulzera, Ulkusblutungen und Komplikationen während der kombinierten Anwendung von ASS und Clopidogrel. Die beiden abgesetzten Arzneimittel brauchen somit bei der AMTS-Prüfung nicht weiter berücksichtigt zu werden. Mit der morgendlichen Einnahme von ASS ist die Hausärztin ebenfalls einverstanden.
Herr Schmitz erstellt für seinen Kunden einen aktualisierten Medikationsplan. Dabei vermerkt er für jedes einzelne Arzneimittel den entsprechenden Behandlungsgrund in patientengerechter Sprache, ergänzt Paracetamol und Voltaren Schmerzgel und streicht hingegen Clopidogrel und Pantoprazol. Er bemerkt eine Wechselwirkung zwischen ASS 100 und Metamizol. Da Herr Müller regelmäßig Metamizol einnimmt, ergänzt er ASS 100 um einen wichtigen Einnahmehinweis: „30 Minuten vor Metamizol“. Durch diese zeitversetzte Gabe kann eine Verminderung der kardioprotektiven Wirksamkeit von ASS vermieden werden. Den aktualisierten Medikationsplan sendet er zum Abgleich noch einmal an die Hausärztin, zusammen mit einem kurzen Ergebnisbericht.
Abschlussgespräch
Im Abschlussgespräch erklärt Herr Schmitz seinem Kunden anhand des aktualisierten Medikationsplans genau, wofür die einzelnen Arzneimittel angewendet werden. Er erläutert die morgendliche Gabe von ASS, den Einnahmeabstand zu Metamizol und klärt ihn außerdem darüber auf, warum Clopidogrel und Pantoprazol nun nicht weiter nötig sind.
Herr Müller ist sichtlich erleichtert, sich bei der Anwendung seiner Medikamente endlich sicher zu fühlen. Bei Rückfragen wird er sich zukünftig wieder an Herrn Schmitz wenden. In zwölf Monaten werden sich beide erneut zur „Standardisierten Risikoerfassung hoher Blutdruck“ und zur „Erweiterten Medikationsberatung bei Polymedikation“ treffen, um sicherzugehen, dass weiterhin alles in Ordnung ist.
- Mann N-K. et al. Arzneimitteltherapie. 2018;36:295–302
- Rankin A. et al. CDSR 2018;9:CD008165. Maher RL. et al. Expert Opin Drug Saf. 2014;13:57–65
- Khezrian M. et al. Ther Adv Drug Saf. 2020;11:2042098620933741
- Hausärztliche Leitlinie „Multimedikation“ Version 2.0, 05.05.2021
- BARMER Arzneimittelreport 2018. Masnoon N. et al. BMC Geriatrics. 2017;17:230
- ABDA: „Medikationsberatung: Flyer für Patient*innen zur Information“: www.iww.de/s10383
- Interaktionscheck der ABDA-Datenbank, abgerufen am 11.02.2024
AUSGABE: AH 4/2024, S. 6 · ID: 49916408