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G-BAHausärzte können weiterhin Cannabis-Arzneimittel verordnen!
| Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 16.03.2023 Regelungen zur Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) beschlossen. Der im Beschlussentwurf noch enthaltene – dissente – Facharztvorbehalt wurde dabei fallengelassen! Somit können Hausärzte auch weiterhin Cannabis-Arzneimittel verordnen. Der Beschluss tritt vorbehaltlich der Nichtbeanstandung durch das Bundesministerium für Gesundheit (Frist: zwei Monate) am Tag nach seiner Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft (Beschluss sowie die tragenden Gründe beim G-BA online unter iww.de/s7848). |
Hintergrund
Seit dem 10.03.2017 können Cannabis-Arzneimittel entsprechend der gesetzlichen Vorgaben (§ 31 Abs. 6 SGB V) zulasten der GKV verordnet werden. Ein Leistungsanspruch gegenüber der GKV auf Cannabis-Arzneimittel (getrocknete Cannabisblüten, Cannabisextrakt) sowie auf Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon besteht danach für Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung, „wenn
- 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
- a. nicht zur Verfügung steht oder
- b. im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
- 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“
Vor der ersten Verordnung entsprechender Cannabis-Arzneimittel ist die Genehmigung der Krankenkasse erforderlich. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde bis zum 31.03.2022 eine Begleiterhebung durchgeführt, deren Bericht dem G-BA zur Verfügung gestellt wurde und u. a. Basis für die Regelung der Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln in der AM-RL ist.
Regelung in der AM-RL
Auf Basis der gesetzlichen Vorgaben in § 31 Abs. 6 SGB V und den Ergebnissen der o. g. Begleiterhebung des BfArM hat der G-BA in § 4a der AM-RL den grundsätzlichen Anspruch auf Cannabis-Arzneimittel in § 44 AM-RL die Verordnungsvoraussetzungen und in § 45 AM-RL den Genehmigungsvorbehalt geregelt. Die wichtigsten Inhalte der §§ 44 und 45 AM-RL sind:
§ 44 AM-RL: Verordnungsvoraussetzungen |
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Außerdem wurde noch der Begriff der „schwerwiegenden Erkrankung“ konkretisiert, und zwar analog zu der bei der Verordnungsvoraussetzung für OTC-Arzneimittel. Danach ist eine Krankheit schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt.
§ 45 AM-RL: Genehmigungsvorbehalt |
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Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist zu berücksichtigen. Bei der Verordnung ist bei mehreren geeigneten Produkten das wirtschaftliche Produkt auszuwählen. Hierauf hat auch das Bundessozialgericht (BSG) in seinen Urteilen hingewiesen.
Ergänzende Informationen
Den tragenden Gründen zum Beschluss können weitere interessante Informationen entnommen werden. Beispielsweise finden sich Hinweise zu den Inhalten verschiedener BSG-Urteile zu Cannabis, die für den Arzt bei der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Antragstellung erfüllt sind und welche Angaben der Antrag enthalten muss, hilfreich sein können.
Merke | Der Antrag muss vor allem vollständig sein! Das bedeutet, dass aus dem Antrag die begründete Einschätzung des Arztes zum Vorliegen der gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen für eine Therapie mit Cannabis-Arzneimitteln sowie die Zweckmäßigkeit des Einsatzes insbesondere mit Blick auf die infrage kommenden Therapiealternativen (auch innerhalb der Cannabis-Arzneimittel, z. B., wenn Cannabisblüten eingesetzt werden sollen) hervorgehen muss. Ist der Antrag diesbezüglich unvollständig, kann er durch die Krankenkassen abgelehnt werden. |
Konkretisierungen aus den tragenden Gründen
Es folgen Definitionen und Konkretisierungen zu den Voraussetzungen für eine Cannabis-Verordnung und zum Antrag.
- Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (das Nichtvorliegen einer solchen Leistung ist Voraussetzung für die Cannabis-Verordnung)Cannabis-Verordnung kann möglich sein, wenn Alternativen nicht vertragen werden
- Diese steht nach aktueller Rechtsprechung des BSG dann nicht zur Verfügung, wenn es sie generell nicht gibt oder sie im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen oder sie trotz ordnungsgemäßer Anwendung im Hinblick auf das beim Patienten angestrebte Behandlungsziel ohne Erfolg geblieben ist (s. a. § 31 Abs. 6 SGB V).
- Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende SymptomeFür Prognose der Erfolgsaussichten reichen Evidenzstufen IV und V
- Inwiefern diese Aussicht besteht, ist vor Beginn der Verordnung durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt zu prüfen. Nach aktueller Rechtsprechung des BSG sind allerdings keine hohen Anforderungen an die Prognose der Erfolgsaussicht zu stellen. Ausreichend ist, dass im Hinblick auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome nach wissenschaftlichen Maßstäben objektivierbare Erkenntnisse dazu vorliegen, dass die Behandlung im Ergebnis mehr nutzt als schadet. Der Nachweis kann dabei unter Bezugnahme auf Unterlagen und Nachweise der Evidenzstufen IV und V erfolgen.
- Überprüfung der Einschätzung des Arztes durch die Krankenkasse
- Im Zusammenhang mit der beabsichtigten Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln anhand der individuellen Situation des Patienten zu prüfen und die Zweckmäßigkeit des Einsatzes insbesondere mit Blick auf infrage kommende Therapiealternativen abzuwägen.
- Diese begründete Einschätzung des Arztes ist die Grundlage für die Prüfung durch die Krankenkasse zur Erteilung der Genehmigung und Ausdruck der nach der Rechtsprechung geltenden Einschätzungsprärogative des behandelnden Arztes. Das Ergebnis einer diesen Anforderungen entsprechenden Abwägung kann durch die Krankenkassen und Gerichte nur daraufhin überprüft werden, ob die erforderlichen Angaben als Grundlage der Abwägung vollständig und inhaltlich nachvollziehbar sind, und das Abwägungsergebnis nicht völlig unplausibel ist. Die dem Arzt eingeräumte Einschätzungsprärogative schließt entsprechend der aktuellen BSG-Urteile eine weitergehende Prüfung des Abwägungsergebnisses auf Richtigkeit aus.Krankenkasse kann Antrag nur eingeschränkt prüfen
- Wann darf die Krankenkasse einen Antrag ablehnen?
- Nach Rechtsprechung des BSG darf die Krankenkasse die Genehmigung der Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Hierfür ist sie darlegungs‑ und beweispflichtig und darf die ärztliche Einschätzungsprärogative zur Unanwendbarkeit einer Standardtherapie nicht unterlaufen.
- Ein begründeter Ausnahmefall setzt voraus, dass über die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen hinausgehende, besondere Umstände vorliegen. Jegliche Umstände, die bereits in die Abwägung des Vertragsarztes zur Abgabe der begründeten Einschätzung einzustellen sind, sind nicht geeignet, als begründeter Ausnahmefall eine Ablehnung der Genehmigung zu rechtfertigen. Das gilt auch für einen Vorkonsum und eine Cannabis-Abhängigkeit, die Gegenstand der begründeten Einschätzung sind und regelmäßig keinen begründeten Ausnahmefall darstellen.Vorkonsum und Abhängigkeit ggf. keine begründeten Ausnahmefälle
- Sollte der Vertragsarzt die notwendige Abwägung nicht auf vollständiger und zutreffender Tatsachengrundlage unter Berücksichtigung der Gründe, die einer Therapie mit Cannabis entgegenstehen können, vorgenommen haben, scheitert der Genehmigungsanspruch bereits an der unzureichend begründeten Einschätzung. In Betracht kommen deshalb in erster Linie nicht medizinische Gründe, etwa die unbefugte Weitergabe des verordneten Cannabis an Dritte.Für Antragsablehnungen kommen nicht medizinische Gründe in Betracht
AUSGABE: AAA 4/2023, S. 8 · ID: 49265774