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BeleidigungKein „Freifahrtschein“ für langjährig Beschäftigte bei Beleidigung des Vorgesetzten

Abo-Inhalt05.05.20255496 Min. LesedauerVon RA und Notar Armin Rudolf, FAArbR, ADIURO Rechtsanwälte Tesche, Berndt PartG mbB, Hannover

| Grobe Beleidigungen des ArbG oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen Kündigungsgrund „an sich“ im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar. |

Sachverhalt

Der ArbN war seit 2010 als Web-Entwickler beschäftigt. Am 9.10.24 führte der Geschäftsführer des ArbG mit dem ArbN ein persönliches Gespräch unter vier Augen. Hierbei teilte der Geschäftsführer dem ArbN mit, dass man mit seinen Arbeitsleistungen unzufrieden sei. Er bot ihm an, eine Fortbildung zu bezahlen. Nach erfolgter Beweisaufnahme war das Gericht davon überzeugt, dass der ArbN den Geschäftsführer in wiederholter Weise als „Lügner“ und „Betrüger“ beleidigt und selbst nach einer Unterbrechung des Gesprächs und Hinzuziehung einer Mitarbeiterin als Zeugin diese Äußerungen wiederholte, sowie die Zeugin in aggressiver Weise mit den Worten „ “ angefahren hat. Mit Schreiben vom 22.10.24 sprach der ArbG dem ArbN die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus.

Entscheidungsgründe

Die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hannover (5.3.25, 8 Ca 309/24, Abruf-Nr. 247732) war erfolglos. Der ArbN könne sich nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Im groben Maße unsachliche Angriffe, die unter anderem zur Untergrabung der Position des Vorgesetzten oder des ArbG führen könnten, müsse der ArbG nicht hinnehmen (so auch LAG Mecklenburg Vorpommern 27.4.21, 2 Sa 153/20; BAG 10.10.02, 2 AZR 418/01; BAG 1.6.17, 6 AZR 720/15; BAG 2.4.87, 2 AZR 418/86).

Im Arbeitsrecht gelte das Prognoseprinzip. Die Kündigung habe nicht bloßen Sanktionscharakter, sondern solle zukünftige, weitere Pflichtverletzungen ausschließen. Die Pflichtverletzung müsse sich daher noch in der Zukunft belastend auswirken. Das Erfordernis der negativen Zukunftsprognose gelte auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es sei nicht stets und von vornherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen. Beruhe die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des ArbN, sei davon auszugehen, dass ein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden könne. Die ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung erfordern daher regelmäßig eine Abmahnung. Diese diene der Objektivierung der negativen Prognose.

Eine Abmahnung sei in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur verzichtbar, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach einer Abmahnung nicht zu erwarten sei oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handele, dass eine Hinnahme durch den ArbG offensichtlich auch für den ArbN erkennbar ausgeschlossen sei (so auch BAG 10.6.10, 2 AZR 541/09; BAG 19.4.07, 2 AZR 180/06; BAG 26.11.09, 2 AZR 751/08).

Nach diesem Maßstab hielt das Arbeitsgericht Hannover hier eine Abmahnung für entbehrlich. Es sei auch für den ArbN erkennbar ausgeschlossen gewesen, dass der ArbG das Verhalten hinnehmen würde. Dies beruhe insbesondere darauf, dass dem ArbN die Beleidigung nicht nur einmal unüberlegt „herausrutschte“, sondern er seine Äußerungen mehrfach wiederholte. Auch nach einer Bitte, sich zu beruhigen, ließ er nicht davon ab. Er fuhr vielmehr mit seinen Äußerungen unverändert fort, als das Gespräch unterbrochen und eine Zeugin hinzugezogen wurde. Er beleidigte dabei nicht mehr bloß den Geschäftsführer, sondern fuhr auch die Zeugin an.

Relevanz für die Praxis

Bei besonders schwerwiegenden Vertragsverstößen, deren Rechtswidrigkeit für einen ArbN von vornherein ohne Weiteres erkennbar ist und bei denen er wissen muss, dass der ArbG dieses Verhalten keinesfalls hinnehmen wird, ist keine Abmahnung durch den ArbG erforderlich. Es droht vielmehr unmittelbar der Ausspruch einer rechtswirksamen fristlosen Kündigung.

Rechtsprechungsübersicht / Wichtige Entscheidungen zum Thema Beleidigung auf der Arbeit

LAG Köln

16.5.23, 4 Sa 559/22, Abruf-Nr. 237057

Schwere Beleidigung eines Kollegen

Ein an sich zum Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung geeignetes Verhalten des ArbN liegt vor, wenn das Handeln eines anderen Beschäftigten als „korrupt“ und „mafiös“ bezeichnet wird. Diese Worte sind davon geprägt, einen anderen abzuwerten und zu beleidigen.

LAG Hamm

14.7.22, 8 Sa 365/22, Abruf-Nr. 231368

Grobe Beleidigung des Vorgesetzten in einem Vier-Augen-Gespräch

Von grob ehrverletzender Missachtung der Person geprägte Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz können die außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies gilt, wenn der ArbN nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden.

Arbeitsgericht Duisburg

26.9.12, 5 Ca 949/12, Abruf-Nr. 123447

Auf Facebook die Kollegen beschimpft

Die außerordentliche Kündigung eines ArbN ist unwirksam, obwohl er Kollegen auf seiner Facebook-Seite als „Speckrollen“ und „Klugscheißer“ bezeichnet.

LAG Berlin-Brandenburg 5.4.13, 10 Sa 2339/12, Abruf-Nr. 193891

Ehemann der ArbN beleidigt ArbG

Das Fehlverhalten des Ehemanns einer ArbN gegenüber dem ArbG rechtfertigt in aller Regel keine Kündigung. Betriebsverfassungswidriges Verhalten des ArbG ist als Anlass des Fehlverhaltens zu berücksichtigen.

LAG Hamm

30.6.04, 18 Sa 836/04, Abruf-Nr. 154458

Beleidigung außerhalb der Arbeitszeit

Eine grobe Beleidigung Vorgesetzter oder Kollegen durch Schimpfwörter und beleidigende Gesten (ausgestreckter Mittelfinger) rechtfertigt eine ordentliche oder auch außerordentliche Kündigung. Dies gilt auch, wenn Beleidigungen außerhalb der Arbeitszeit und des Betriebs auf der Weihnachtsfeier vor Arbeitskollegen erfolgen, selbst wenn der ArbN unter Alkoholeinfluss stand.

AUSGABE: AA 5/2025, S. 80 · ID: 50395514

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