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SchadenersatzKein Schaden, wenn ArbN-Name aus Versehen in einem Werbeflyer des ehemaligen ArbG landet
| Das Ansprechen auf die Namensnennung in einem Flyer reicht allein für die Annahme eines immateriellen Schadens nicht aus, sondern stellt eine bloße Unannehmlichkeit dar. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob der ArbG verpflichtet ist, der ArbN wegen Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 EUR zu zahlen. Die ArbN war mehrere Jahre in einer Senioreneinrichtung des ArbG beschäftigt, zuletzt als Pflegedienst- und Bereichsleiterin. Das Arbeitsverhältnis endete und sie fing bei einem anderen ArbG als Leiterin einer Seniorenresidenz an.
Während ihrer Beschäftigungszeit bei dem alten ArbG wirkte die ArbN an einem Flyer mit, den der ArbG als Werbemittel drucken ließ. Hierin heißt es auszugsweise: „Herzlich willkommen in unserer Tagespflege! Hier gestalten wir Ihren Tag in familiärer Atmosphäre. … Unsere qualifizierten Fachkräfte beraten Sie gerne und unverbindlich. Ihre Ansprechpartnerin A. ist unter .... zu erreichen und berät Sie gerne zu kostenlosen Schnuppertagen.“
Vor- und Nachname der ArbN sind im Flyer zusammen mit einer dienstlichen Telefonnummer des ArbG angegeben. Der ArbG verwendete die Druckvorlage dieses Flyers, die im EDV-System abgespeichert war, nach dem Ausscheiden der ArbN für einen neu gedruckten Flyer, der einer Wochenzeitung zu Werbezwecken beigefügt war. Der Personalleiter des ArbG entschuldigte sich umgehend nach Kenntnis hiervon per E-Mail bei der ArbN. Er erklärte, die alte Druckvorlage sei nach ihrem Ausscheiden versehentlich nicht angepasst und jetzt sofort aus dem Verkehr gezogen worden. Von dem Gesprächsangebot des Personalleiters machte die ArbN keinen Gebrauch.
Mit ihrer Klage verlangte sie ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 EUR aufgrund von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sowie § 823 Abs. 1 BGB. Sie sei nach Verteilung der Wochenzeitung von zahlreichen Personen angeschrieben, angerufen und auch persönlich angesprochen worden. Sie habe sich gegenüber neuen Kollegen rechtfertigen und erklären müssen, dass sie nicht mehr für den ArbG tätig sei. Sie sei sehr aufgebracht gewesen und habe befürchtet, dass ihr neuer ArbG durch die „Flyer-Aktion“ den Eindruck gewinnen könne, sie betreibe eine verbotene Konkurrenztätigkeit. Es sei daher angemessen und erforderlich, ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von drei Monatsgehältern zuzusprechen.
Das Arbeitsgericht verurteilte den ArbG zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000 EUR. Der Zahlungsanspruch folge aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Der ArbG habe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses personenbezogene Daten der ArbN (Vor- und Nachname, einschließlich einer angeblichen beruflichen Zugehörigkeit zum ArbG) im Flyer für seine Werbezwecke drucken und als Beilage in einer Wochenzeitung verbreiten lassen. Die ArbN habe einen immateriellen Schaden in Form einer persönlichen/psychologischen Beeinträchtigung schlüssig dargelegt. Erschwerend komme hinzu, dass das vom ArbG im Flyer angegebene Persönlichkeitsprofil mit einer beruflichen Zuordnung das berufliche Selbstbestimmungsrecht der ArbN berühre und die Gefahr des konkreten Arbeitsplatzverlusts gedroht habe.
Entscheidungsgründe
Das LAG Rheinland-Pfalz (22.8.24, 5 SLa 66/24, Abruf-Nr. 246166) wies die Klage vollumfänglich ab. Die ArbN habe gegen den ArbG keinen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO oder aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Zwar habe der ArbG gegen die Bestimmungen der DSGVO verstoßen. Der ArbN sei aber kein Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO entstanden.
Das Erfordernis eines Schadens und der Darlegungslast der Klagepartei sei durch die jüngsten Entscheidungen des EuGH und des BAG hinreichend geklärt. Aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO gehe hervor, dass das Vorliegen eines „Schadens“ eine der Voraussetzungen für den Schadenersatzanspruch sei. Zusätzlich müsse ein Verstoß gegen die DSGVO und ein Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß vorliegen. Diese drei Voraussetzungen seien kumulativ. Der Schadenersatzanspruch habe, insbesondere im Fall eines immateriellen Schadens, eine Ausgleichsfunktion. Die Entschädigung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO solle ermöglichen, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die DSGVO erlittenen Schaden vollständig auszugleichen. Er erfülle keine Abschreckungs- oder Straffunktion. Der Schaden müsse keinen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht haben (BAG 20.6.24, 8 AZR 124/23).
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast habe der EuGH klargestellt, dass die Person, die auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO den Ersatz eines immateriellen Schadens verlangt, nicht nur den Verstoß gegen Bestimmungen dieser Verordnung nachweisen müsse. Sie müsse auch nachweisen, dass ihr durch diesen Verstoß ein solcher Schaden entstanden sei.
Die ArbN habe objektiv nicht damit rechnen müssen, dass sie ihren Arbeitsplatz bei dem neuen ArbG verliere, weil sie im Werbeflyer des früheren ArbG noch als Ansprechpartnerin namentlich aufgeführt worden sei. Es handele sich ersichtlich um ein Versehen, das sich mit einfachen Mitteln hätte sofort aufklären lassen. Der Personalleiter habe sich unverzüglich in einer E-Mail entschuldigt. Die Weiterleitung dieser E-Mail an den neuen ArbG oder ein kurzes Gespräch hätten ausgereicht, um die Situation absolut nachvollziehbar zu klären. Es habe für den neuen ArbG keinen Grund gegeben, anzunehmen, die ArbN wäre noch bei ihrem alten ArbG beschäftigt. Die von der ArbN behauptete Furcht vor einer außerordentlichen Kündigung wegen verbotener Konkurrenztätigkeit, entbehre jeder Tatsachengrundlage.
Soweit sie vortrage, sie sei im Freundes- und Bekanntenkreis sowie von einer Mitarbeiterin des neuen ArbG – insgesamt von elf Personen – auf ihre Namensnennung im Flyer angesprochen worden, vermag die Kammer die abstrakt behaupteten „persönlichen/psychologischen Beeinträchtigungen“ nicht ansatzweise zu erkennen. Es habe ausgereicht, auf das Versehen hinzuweisen. Es habe auch keine Gefahr bestanden, noch von weiteren Personen angesprochen zu werden. Im Flyer sei kein Foto und keine private Telefonnummer der ArbN veröffentlicht worden. Daher sei die Auflagenstärke der kostenlosen Wochenzeitung (78.500) unerheblich.
Auch die Furcht der ArbN, dass manche Haushalte den Flyer aufheben könnten, um im (Pflege-) Bedarfsfall in der Senioreneinrichtung anrufen zu können, reiche für die Annahme eines immateriellen Schadens nicht aus. Im Flyer werde eine dienstliche Telefonnummer der ArbG genannt. Es bestehe keine Gefahr, dass die ArbN in Zukunft von fremden Personen kontaktiert werde.
Die ArbN habe auch keinen Anspruch auf eine Geldentschädigung aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Es liege keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung der ArbN vor. Der unantastbare Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensgestaltung sei nicht tangiert. Die Ehre der ArbN, ihr guter Ruf und ihre soziale Anerkennung seien nicht beeinträchtigt worden. Ein Foto von ihr sei nicht veröffentlicht worden. Der Inhalt des Flyers sei nicht ansatzweise geeignet, ihr Ansehen in der Öffentlichkeit zu schädigen. Es sei nicht zu befürchten, der neue ArbG könne das Arbeitsverhältnis mit ihr wegen dieses Flyers kündigen. Dass sie im Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis auf ihre Namensnennung im Flyer angesprochen worden sei, sei eine bloße Unannehmlichkeit, nicht aber eine ersatzfähige schwere Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts.
Relevanz für die Praxis
Der 85. Erwägungsgrund der DSGVO zählt ausdrücklich den „Verlust der Kontrolle“ zu den Schäden, die durch eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten verursacht werden können. Daher entschied der EuGH, dass der – selbst kurzzeitige – Verlust der Kontrolle über solche Daten ein „immaterieller Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sein kann. Dieser kann einen Schadenersatzanspruch begründen, sofern die betroffene Person den Nachweis erbringt, dass sie tatsächlich einen solchen Schaden – so geringfügig er auch sein mag – erlitten hat. Dabei kann die durch einen Verstoß gegen die DSGVO ausgelöste Befürchtung einer betroffenen Person, ihre personenbezogenen Daten könnten von Dritten missbräuchlich verwendet werden, für sich genommen einen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO darstellen.
Ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung durch einen unbefugten Dritten reicht nicht aus. Nach dem EuGH können negative Gefühle („Befürchtung“) einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens begründen. Das bloße Berufen auf eine bestimmte Gefühlslage reicht aber nicht aus.
- Kein Schaden nach Art. 82 DSGVO dargelegt = kein Schadenersatz? BAG in AA 25, 20
AUSGABE: AA 3/2025, S. 46 · ID: 50331199