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CME-BeitragZahnärztliche Betreuung von Strahlentherapie-Patienten
| Patienten unter Strahlentherapie gegen Kopf- und Halskrebs haben ein erhöhtes Risiko für zahnmedizinische Komplikationen. Das hat Auswirkungen auf Prävention, Restauration und Rehabilitation der Erkrankten. Dieser Beitrag befasst sich mit den aktuellen Erkenntnissen. |
Strahlentherapie verursacht zahnmedizinische Probleme
Bei einer Strahlentherapie zerstört die ionisierende Strahlung maligne Zellen. Da sie auch normale Zellen schädigen kann, kommt es oft zu Nebenwirkungen. Bei Kopf- und Halskrebs betrifft das insbesondere die Mundhöhle und ihre Umgebung mit u. a. Mukositis, Kieferklemme, Xerostomie, Strahlenkaries und Osteoradionekrose (ORN). Bei Strahlendosen über 60 Grey erhöht sich das Risiko für Komplikationen nochmals, insbesondere in Bereichen, in denen die großen Speicheldrüsen tangiert sind [1].
Maßnahmen vor der Strahlentherapie
Vor dem Beginn der Strahlentherapie stehen die zahnärztliche klinische und radiologische Untersuchung sowie eine Zahnreinigung. Studien zufolge benötigen 80 Prozent der Patienten eine solche [1]. Wichtige Vorabmaßnahmen sind:
- Motivation zur MundhygieneZahnmedizinische Maßnahmen bei anstehender Strahlentherapie
- Aufklärung zur Reduzierung des Komplikationsrisikos (Rauch- und Alkoholverzicht)
- Extraktion nicht erhaltungswürdiger Zähne
- Zahnreinigung: Zahnsteinentfernung, Prophylaxe/Fluoridierung
- Entfernung scharfer Kanten an Zähnen/Restaurationen/ZE
- Überprüfung des Prothesensitzes
- Abdruck (für spätere Herstellung z. B. von Medikamentenschalen)
- Ggf. Restaurationen (falls Zeitfenster zu kurz mit GIZ, ansonsten definitive Restaurationen)
Extraktion, ja oder nein?
Eine frühere Studie untersuchte die Frage zur Extraktionsentscheidung [2], da Patienten nach Extraktion vor einer Strahlentherapie ein erhöhtes Risiko für eine ORN haben [1].
Allerdings zeigte sich in einer aktuellen Übersichtsarbeit, dass die Inzidenz von ORN bezüglich des Extraktionszeitpunktes im Verhältnis zur Strahlentherapie in der Literatur kontrovers diskutiert wird und möglicherweise vielmehr von Alter, Ausmaß des Eingriffs, Strahlenfeld und Dosis etc. beeinflusst wird [3]. Ben-David et al. [2] stellten fest, dass es bei allen Patienten über einen Nachbeobachtungszeitraum von zwei Jahren zu keiner ORN kam, wenn nur
- stark kariöse und nicht restaurierbare Zähne,Wann eine ORN ausbleibt
- Zähne mit großen, beeinträchtigten Restaurationen mit starkem Verlust des parodontalen Attachments (Taschenbildung > 5 mm) sowie
- Zähne mit sehr starker Erosion oder Abrasion, lokalisiert in Kieferbereichen, die mit ziemlicher Sicherheit einer hohen Dosis unterliegen,
extrahiert wurden.
Zähne im vorderen UK wurden dagegen nicht extrahiert, einzige Ausnahme: Lokalisation des Primärtumors in der Mundhöhle. Weitere risikosenkende Maßnahmen waren die Umsetzung einer sehr guten Mundhygiene und die Anwendung von schützenden Stents (s. Seite 8).
Während der Strahlentherapie
- Während der Therapie kann es zu Xerostomie kommen, ein Risikofaktor für Karies und Candidiasis. Dagegen helfen eine gute Mundhygiene, Speichelersatzmittel, Sialogoga (zuckerfreier Kaugummi und CPP-ACP), Mundspüllösungen.Maßnahmen gegen die Nebenwirkungen der Strahlentherapie
- Eine Mukositis wird gelindert durch ausreichende Flüssigkeitsaufnahme, entsprechende Ernährung (keine scharfen Speisen etc.), Verzicht auf Rauchen/Alkohol, Barriere-Gele sowie eine Erhöhung des Speichelflusses.
- Eine Analgesie wirkt gegen Schmerzen.
- Bei Trismus ist eine frühzeitige physikalische Therapie einschließlich Kiefermassage und Übungen unter Anleitung angezeigt. Tägliche Fluorid- und Bikarbonatspülungen unterstützen den Erhalt der Mundgesundheit.
Nach der Strahlentherapie
Bei bestrahlten Patienten sind ein regelmäßiger Recall alle drei Monate und eine weiterhin sehr gute Mundhygiene entscheidend. Ob eine Versorgung mit Zahnersatz sechs oder 12 Monate nach Abschluss der Strahlentherapie erfolgt, scheint keinen Einfluss auf die Komplikationsrate zu haben. Dagegen ist die Verlustrate von Implantaten mehr als doppelt so hoch im Vergleich zu nicht bestrahlten Patienten [1].
Auswirkungen der Strahlentherapie auf Adhäsivrestaurationen
Eine Strahlentherapie verringert die biomechanischen Eigenschaften von Schmelz und Dentin und stört damit die Haftfestigkeit von Adhäsivsystemen [1]. Deshalb untersuchte eine Studie [4] die Auswirkungen auf die Überlebensrate adhäsiver Restaurationen in Klasse-V-Kavitäten nach einer Strahlentherapie im Kopf- und Halsbereich. Demnach zeigten Kompositrestaurationen nach zwei Jahren deutlich niedrigere Verlustraten als die Versorgungen mit kunststoffmodifizierten Glasionomerzementen und Glasionomerzementen (GIZ). GIZ schnitten dabei am schlechtesten ab. Weiter wurde beobachtet, dass sich eine begleitende Fluoridgelanwendung negativ auf die Verlustrate von GIZ- und kunststoffmodifizierten GIZ-Restaurationen auswirkte, bei Kompositrestaurationen dagegen nicht.
Multidisziplinäres Team verbessert Mundgesundheit
Es wurde beobachtet [5], dass das Einbinden von Zahnärzten in ein multidisziplinäres Team zur Behandlung von Patienten mit Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich positive Auswirkungen auf die Mundgesundheit zeigt: Patienten, deren Therapie sechs Monate und länger zurücklag und die vor der Behandlung der Krebserkrankung zahnärztlich untersucht und ggf. zahnärztlich behandelt worden waren, wiesen bessere Mundhygienegewohnheiten und eine bessere parodontale Situation auf als diejenigen, die in einem Behandlungsteam ohne Zahnarztbeteiligung betreut worden waren.
Das Wichtigste in Kürze |
Ein multidisziplinäres Team unter Einbeziehung von Zahnärzten spielt bei der Strahlentherapie von Patienten mit Kopf- und Halskrebs eine wichtige Rolle, um langfristig eine bessere Mundgesundheit zu erreichen. Entsprechende Maßnahmen vor, während und nach der Strahlentherapie senken das Risiko zahnmedizinischer Komplikationen wie Mukositis, Kieferklemme, Xerostomie, Strahlenkaries und Osteoradionekrose. Zur adhäsiven Versorgung eignen sich im Anschluss Komposite mehr als Glasionomerzemente bzw. kunststoffmodifizierte Glasionomerzemente. |
- [1] Goh EZ et al. The dental management of patients irradiated for head and neck cancer. Br Dent J. 2023 Jun;234(11):800–804. doi.org/10.1038/s41415-023-5864-z.
- [2] Ben-David MA et al. Lack of osteoradionecrosis of the mandible after intensity-modulated radiotherapy for head and neck cancer: Likely contributions of both dental care and improved dose distributions. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2007; 68: 396–402. ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2702207.
- [3] Beaumont S et al. Timing of dental extractions in patients undergoing radiotherapy and the incidence of osteoradionecrosis: a systematic review and meta-analysis. Br J Oral Maxillofac Surg. 2021 Jun;59(5):511–523. doi.org/10.1016/j.bjoms.2020.10.006.
- [4] Palmier NR et al. Impact of head and neck radiotherapy on the longevity of dental adhesive restorations: A systematic review and meta-analysis. J Prosthet Dent. 2022 Nov;128(5):886–896. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33715834.
- [5] Bertl K et al. Including dental professionals in the multidisciplinary treatment team of head and neck cancer patients improves long-term oral health status. Clin Oral Investig. 2022 Mar;26(3):2937–2948. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34792667.
AUSGABE: ZR 10/2024, S. 13 · ID: 50144123