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Interview„Man kann nicht in Wildlederschuhen vor einem veganen Patienten sitzen!“
| Vegan zu leben, liegt im Trend. Der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse zufolge verzichteten im Jahr 2022 etwa 1,58 Mio. Menschen in Deutschland auf tierische Produkte. Das waren 170.000 Personen mehr als im Vorjahr. Ihnen geht es nicht nur um vegane Ernährung, sondern auch um eine zahnmedizinische vegane Versorgung. Dr. Peter Reithmayer ist Zahnarzt in München und Lizenznehmer des Franchisegebers Greendent GmbH, der nachhaltig geführte Zahnarztpraxen lizenziert. Die vegane Prophylaxe gehört zu den Greendent-Produkten. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn nach seinen Motiven und den Wünschen seiner Patienten. |
Frage: Wer hat Sie auf die Idee zur veganen Prophylaxe gebracht?
Antwort: Ein junges Paar, das etwa 2014 zu uns in die Praxis kam. Die beiden Frauen lebten vegan und erkundigten sich, inwiefern bei der Zahnreinigung tierische Bestandteile genutzt würden. Das war damals eine Herausforderung, mit der ich bis dahin noch nicht konfrontiert war. Es gab überhaupt keine Infos. Also habe ich mir die Bestandteillisten durchgesehen. Zahnseide ist in der Regel mit Bienenwachs beschichtet, Trägerstoffe von Polierpasten enthalten Gelatine. Von BfArM und EMA zugelassene Arzneimittel wurden in Tierversuchen getestet. Obwohl ich selbst kein Veganer bin, hat das Thema mich sehr interessiert. Ergebnis meiner Recherche für die Zahnreinigung war, dass es für vegane Patienten keine Zahnmedizin gibt.
Frage: Was bieten Sie dann an? Wie lassen sich konventionelle Produkte ersetzen?
Antwort: Es beginnt beim Mundspülbecher. Wir verwenden einen Hybriden aus umweltfreundlichem, nachwachsendem und kompostierbarem Biopolymer, das ohne Erdöl produziert wurde. Die Spülbecher haben auch Nachteile wie ein höheres Abfall- und Transportgewicht, doch die Vorteile überwiegen. So haben wir allein an unserem Standort in München 65,6 Kilogramm Plastikmüll vermieden. Die Mundspülungen sind erstens frei von tierischen Bestandteilen und zweitens nicht im Tierversuch getestet. Von den Herstellern lassen wir uns Unbedenklichkeitsbescheinigungen geben, die wir in einer Datenbank speichern, falls ein Patient danach fragt. Die Zahnseide ist aus einem nachwachsenden und kompostierbaren Rohstoff, der sich schnell zersetzt. So können wir verhindern, dass über den Hausmüll entsorgte Zahnseide von Vögeln gefressen wird oder sie sich darin verheddern.
Frage: Wie setzt sich die Patientengruppe zusammen, die die vegane PZR wünscht?
Antwort: Unsere Patienten legen Wert darauf, dass ihr Zahnarzt nach den Sustainable Development Goals (SDGs), also den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, handelt. Wir arbeiten schulmedizinisch und leitlinienkonform, bieten also keine komplementären oder alternativen Heilmethoden an. Dennoch achten wir auf nachhaltige Verbrauchsmaterialien, die zudem körperverträglicher sind. Zusätzlich zu veganen und ökologisch denkenden Patienten kommen Menschen, die aus religiösen Gründen oder wegen des Tierschutzes unser Behandlungskonzept vorziehen.
Frage: Ein Großstadtphänomen?
Antwort: Wir haben unseren Sitz zwar mitten in Bogenhausen, doch kommen unsere Patienten nicht nur aus München, sondern aus dem gesamten Umland, auch aus Rosenheim und sogar aus Österreich. Im Alpen- und Voralpenland leben viele sehr sportliche oder naturverbundene Menschen, die auf ihren Körper achten. Unsere Zielgruppe ist zwischen Mitte 20 und Mitte 40, es kommen vorwiegend Frauen. Es ist also mehr ein Körperbewusstseins- als ein Großstadtphänomen.
Frage: Wie unterscheidet sich eine vegane PZR von einer konventionellen PZR?
Antwort: Für die Prophylaxeassistentinnen gibt es spezielle Schulungsgespräche. Das Zimmer ist anders gerüstet. Wir haben ein spezielles Tray. Außerdem ist das Konzept erklärungsbedürftiger, weil wir immer wieder zusätzlich aufklären müssen. Im Falle einer möglichen Anästhesie informieren wir z. B. darüber, dass wir die vegane Behandlung verlassen, weil das Anästhetikum in einem Tierversuch getestet wurde. Der Patient entscheidet dann, ob er verzichtet. Auch die Ernährungslenkung ist eine andere, da Veganer die Auswirkungen einer Substitution auf Erkrankungsformen der Mundhöhle nicht kennen. Vor allem der Mangel an Vitamin B2 kann sich negativ auf Lippen und Mundwinkel auswirken oder zu Entzündungen in der Mundschleimhaut führen. Zu wenig Vitamin B12 kann die Mangeldurchblutung parodontalen Gewebes verstärken. Diese Patientengruppe ist sehr anspruchsvoll. Es geht so weit, dass ich Schuhe aus veganem Leder trage. Man kann nicht in Wild-lederschuhen vor einem veganen Patienten sitzen.
Frage: Berechnen Sie den zusätzlichen Aufwand?
Antwort: Wir bewegen uns immer in der Gebührenordnung und haben einen Steigerungssatz von 15 bis 20 Prozent im Vergleich zur konventionellen PZR. Die Patienten sind gerne bereit, dieses zusätzliche Geld auszugeben.
Frage: Lässt die vegane Behandlung sich auch auf Zahnersatz und Zahntechnik übertragen?
Antwort: Ja, wir handeln nach einem Weißbuch für die Greendent-konforme Behandlung (greendent.de), die ja nicht nur vegan, sondern vor allem nachhaltig ist. In der Zahntechnik mag ein sehr ästhetisch arbeitender Zahntechniker schöne Frontzahnkronen machen, bei denen er Schicht für Schicht mit einem Rotmarderhaarpinsel aufträgt. Das geht natürlich nicht. Es gibt auch Pinsel aus Synthetik oder die digitale Gestaltung.
AUSGABE: ZP 3/2023, S. 9 · ID: 48775384