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Haftung/MehrfachagententätigkeitWenn ein Mehrfachagent als Anscheinsmakler auftritt: Haftung als Versicherungsmakler droht
| Das OLG Dresden hat sich mit der Frage der Haftung eines Mehrfachagenten als Anscheinsmakler beschäftigt und darüber hinaus mit der Frage der Haftung des Versicherers, in dessen Namen der Mehrfachagent tätig war. VVP nimmt das zum Anlass, Sie über das Urteil und dessen Bedeutung für die Praxis zu informieren. |
Umdeckung von BU- in Grundfähigkeitsversicherung
Ein Bäcker hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei der A-Versicherungs-AG. Nach mehreren Beratungsgesprächen mit einem Mehrfachagenten kündigte der Bäcker mit Hilfe des Mehrfachagenten seine Versicherung und schloss unter Vermittlung durch Beschäftigte des Mehrfachagenten eine Grundfähigkeitsversicherung bei einem Versicherer ab.
Später verlangte der Bäcker die Feststellung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Mehrfachagenten sowie gegenüber dem Versicherer als Gesamtschuldner wegen Beratungspflichtverletzungen.
Im Ergebnis bestätigte das OLG Dresden das erstinstanzliche Urteil bezüglich des Mehrfachagenten, der aufgrund seiner Pflichtverletzungen als Anscheinsmakler einzustehen hat. Die Klage des Bäckers gegen den Versicherer hat das OLG in der Berufung dagegen abgewiesen (OLG Dresden, Urteil vom 07.11.2023, Az. 4 U 54/23, Abruf-Nr. 239739).
Mehrfachagent haftet im Urteilsfall als Anscheinsmakler
Das OLG sieht einen Schadenersatzanspruch gegen den Mehrfachagenten wegen einer Beratungspflichtverletzung bei Anbahnung eines Versicherungsvertrags (§§ 60, 61, 63 VVG).
OLG geht von Versicherungsmaklervertrag aus
Aufgrund der Gesamtumstände sei davon auszugehen, dass zwischen dem Mehrfachagenten und dem Bäcker ein Maklervertrag geschlossen wurde. Das OLG stufte dabei den Mehrfachagenten als Anscheinsmakler nach § 59 Abs. 3 S. 2 VVG ein, weil er gegenüber dem Bäcker nicht deutlich gemacht habe, dass er als Mehrfachagent, also als Versicherungsvertreter auftrete.
Hierfür hätten nach Ansicht des OLG weder die Umstände in den Beratungsgesprächen noch die nach den Gesprächen gewechselte Korrespondenz und übersandten Unterlagen gesprochen. Dem OLG reichte auch nicht, dass der Mehrfachagent in dem Beratungsprotokoll auf „eine Liste der vertretenen Versicherungsunternehmen“ hinwies. Dies schließe eine Tätigkeit als Makler nicht aus. Selbst eine vom Mehrfachagenten behauptete Übergabe einer Statusinformation durch einen seiner Beschäftigten vor dem Erstgespräch reiche aufgrund des durch die Gesamtumstände erlangten Eindrucks nicht.
Weiter stellte das OLG fest, dass es für die Frage der Haftung als Anscheinsmakler auch nicht darauf ankomme, welche innere Vorstellung der Versicherungsnehmer (VN) vom Status des Vermittlers habe. Entscheidend sei alleine das objektive Auftreten des Vermittlers gegenüber dem VN. Dies reiche so weit, dass den Vermittler selbst dann die Maklerpflichten träfen, wenn der VN durchschaue, dass der Vermittler gar kein Makler sei.
Pflichten des Anscheinsmaklers gehen weit
Zum Umfang der Pflichten des Anscheinsmaklers stellte das OLG fest, dass diese denen eines tatsächlichen beauftragten Versicherungsmaklers entsprechen. Was Berufsunfähigkeitsversicherungen angehe, so handle es sich wie bei Lebensversicherungen um besonders beratungsbedürftige Verträge.
- Der Makler habe die Kunden daher vor einer Umdeckung regelmäßig auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Versicherung hinzuweisen; dabei gehöre auch ein Hinweis auf die Risiken bei der Abwicklung bestehender Verträge.
- Diesen Beratungspflichten vorgelagert sei die Pflicht des Maklers, sich einen Überblick über die Versicherungssituation und den Beratungsbedarf des Kunden zu verschaffen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze habe der Mehrfachagent seine Pflichten als Anscheinsmakler verletzt, so das OLG.
Lückenhaftes Beratungsprotokoll bricht Mehrfachagenten das Genick
Das Beratungsprotokoll habe im zugrunde liegenden Fall lediglich eine Produktempfehlung enthalten, aber nicht den Inhalt des Gesprächs wiedergegeben. Dies führe zu einer Beweislastverteilung vom VN auf den Mehrfachagenten. Grundsätzlich sei es zwar Sache des VN, die Verletzung etwaiger Beratungspflichten des Versicherungsvermittlers darzulegen und zu beweisen. Jedoch sei es bei Verletzung der Dokumentations- und Übergabepflicht nach § 61 Abs. 1 S. 2, § 62 VVG gerechtfertigt, dem VN Beweiserleichterungen hin bis zur Beweislastumkehr zuzubilligen und dem Vermittler das beweisrechtliche Risiko aufzuerlegen. Den Beweis der ordnungsgemäßen Beratung konnte der Mehrfachagent nach Ansicht des OLG nicht führen:
- Der Mehrfachagent sei im Rahmen einer Finanzanalyse nicht nur verpflichtet gewesen, sich die bestehenden Versicherungen des Bäckers vorlegen zu lassen, sondern auch dem Inhalt einer bestehenden Sondervereinbarung und sich hieraus ergebenden Konsequenzen für den Versicherungsschutz des Bäckers nachzugehen. Daraus hätte sich ergeben, dass die neue Versicherung im Gegensatz zur ursprünglichen zu einem Risikoausschluss bezüglich verschiedener Krankheiten führen würde. Unter dieser Voraussetzung hätten die Beschäftigten des Mehrfachagenten darauf hinwirken müssen, den Bäcker von seiner Kündigung der BU-Versicherung abzuhalten, die einen solchen Ausschluss nicht enthielt. Dieser Pflicht sei der Mehrfachagent nicht ausreichend nachgekommen.Auch Risiko- ausschluss muss auf den Tisch
- Die Beschäftigten des Mehrfachagenten hätten zwar nach eigener Aussage die Unterschiede zwischen Berufs- und Grundfähigkeitsversicherung erläutert und sich erfolglos nach dem Inhalt der Sondervereinbarung erkundigt. Sie hätten es aber unterlassen, den Versorgungsbedarf des Bäckers zu ermitteln und sich die Sondervereinbarung auf weitere Nachfrage vorlegen zu lassen. Im Vordergrund der Beratung habe die Verringerung der monatlichen Prämien gestanden, ohne dem Bäcker aber die damit verbundenen Nachteile für seinen Versicherungsschutz darzustellen.Auswirkung auf den Versicherungsschutz ist darzustellen
Das OLG folgert, dass der Bäcker bei gehöriger Beratung von der Kündigung abgesehen hätte. Der feststellungsfähige Schaden liegt in der nunmehr in der Grundfähigkeitsversicherung ausgeschlossenen Absicherung gegen Berufsunfähigkeit bei Atemwegserkrankungen.
Versicherer haftet nicht für Beratungspflichtverletzung
Demgegenüber haftet der Versicherer nicht wegen der Beratungspflichtverletzung des Mehrfachagenten nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB oder nach § 6 Abs. 5 VVG.
Ist Anscheinsmakler dem Versicherer überhaupt zurechenbar?
Das OLG führte aus, dass es bereits grundsätzliche Zweifel habe, ob Pflichtverletzungen eines Anscheinmaklers einem Versicherer überhaupt zugerechnet werden können oder ob dieser noch in das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen Versicherer und VN als Erfüllungsgehilfe nach § 278 BGB eingeschaltet sei. Nach Ansicht des OLG spreche einiges dafür, dass der Mehrfachagent sich mit der Anmaßung einer Maklerrolle aus diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis löse, weil er dem Anschein nach in das „Lager“ des VN wechsle. Ferner würden auch nach § 19 VVG die Fragen eines Pseudomaklers nicht als Fragen des Versicherers angesehen werden, eine Zurechnung in diesem Bereich mithin gerade ausgeschlossen sein. Eine ansonsten eintretende Verdoppelung der Haftungssubjekte zum Schutz des VN sei nicht erforderlich.
In Anbahnungsphase keine Haftungszurechnung des Mehrfachvertreters
Diese Frage könne hier aber dahinstehen. Dabei betont das OLG, dass die Beratungspflichtverletzung in der Anbahnungsphase, also noch vor Beginn der abgeschlossenen Grundfähigkeitsversicherung, gelegen habe und der Mehrfachagent nicht als Ausschließlichkeitsvertreter, alleine mit dem Versicherer, sondern mit einer Vielzahl von Versicherern verbunden gewesen sei. Jedenfalls in solchen Fällen scheide eine Haftungszurechnung aus. Eine Zurechnung in der Anbahnungsphase würde nämlich dazu führen, dass sich die Haftung auf alle Versicherer, mit denen der Mehrfachagent verbunden ist, erstrecken würde. Das erscheine nicht sachgerecht.
Fazit | Wer als Mehrfachagent den Eindruck erweckt, eine unabhängige Beratung zu erbringen, haftet als Anscheinsmakler. Wer die gesetzliche Dokumentationspflicht bei einer Umdeckung nicht einhält, kann die genauen Beratungsinhalte und Risikohinweise später kaum darlegen. |
AUSGABE: VVP 7/2024, S. 8 · ID: 50023337