FeedbackAbschluss-Umfrage
VBVereinsBrief

SozialversicherungWann Lehrkräfte selbstständig tätig sind: LSG bewertet Frage nach neuer BSG-Rechtsprechung

Abo-Inhalt03.07.2023502 Min. Lesedauer

| Lehrkräfte gehören zu dem Kreis von Auftragnehmern in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen, die am häufigsten „auf Honorarbasis“ – also als selbstständig Tätige – beschäftigt werden. Tatsächlich hatten sie sozialversicherungsrechtlich eine Sonderstellung, bis das BSG seine Rechtsauffassung geändert hatte. Mit einer Entscheidung des LSG Hamburg liegt jetzt erstmals ein Rechtsprechungsfall vor, der sich auf die neue BSG- Rechtsprechung bezieht. Das etwas überraschende Ergebnis ist, dass Lehrkräfte auch nach neuer Rechtsprechung selbstständig tätig sein können. |

Der Rechtsprechungswechsel des BSG aus dem Jahr 2022

Mit seiner Entscheidung vom 28.06.2022 hatte sich das BSG mit der statusrechtlichen Beurteilung einer Lehrerin an einer städtischen Musikschule von seiner Sonderrechtsprechung für lehrende Tätigkeiten distanziert. Stattdessen hatte das BSG die allgemeinen Abgrenzungskriterien für die Einordnung als abhängig beschäftigt oder selbstständig angewandt.

Danach können bereits die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung und die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume der Lehrtätigkeit ein Gepräge geben, das gegen eine selbstständige Tätigkeit spricht. Das BSG stellte dabei darauf ab, dass die Lehrkraft keine eigene betriebliche Organisation unterhielt, keine unternehmerischen Chancen nutzen konnte und kein Unternehmerrisiko trug (BSG, Urteil vom 28.06.2022, Az. B 12 R 3/20 R, Abruf-Nr. 235470, Ausgabe VB 6/2023, Seite 15).

Der Fall beim LSG Hamburg und die Entscheidung des LSG

Vor dem LSG Hamburg ging es um eine Dozentin, die an einer Berufsfachschule im Ausbildungsgang Ergotherapie tätig war. Der Lehrplan folgte den Vorgaben der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Laut Vertrag war sie selbstständig tätig, musste aber einen Unterrichts- oder Unterweisungsnachweis führen. Im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens kam die Deutsche Rentenversicherung Bund zu dem Ergebnis, die Dozentin sei abhängig beschäftigt. Dagegen klagte die Berufsfachschule und bekam erstinstanzlich Recht. Die Berufung, die die Rentenversicherung Bund einlegte, wies das LSG ebenfalls ab. Begründung: Auch unter Zugrundelegung der jüngeren Entscheidung des BSG lag eine selbstständige Lehrtätigkeit vor. (LSG Hamburg, Urteil vom 27.04.2023, Az. L 1 BA 12/22, Abruf-Nr. 235968).

Das LSG folgt der BSG-Auffassung und legt die allgemeinen – für die Statuseinordnung entwickelten (Haupt-)Kriterien an. Das sind vor allem

  • örtliche, zeitliche und inhaltliche Weisungsbindung,
  • unternehmerisches Risiko und
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers.

Örtliche Weisungsbindung

Der Unterricht fand am Ort und in den Räumen der Berufsfachschule statt. Das LSG stellt klar, dass das bei solchen Bildungsträgern der Regelfall ist. Das spricht zwar eher gegen eine selbstständige Tätigkeit der Lehrkräfte, ist aber kein Ausschlusskriterium, zumal einige Unterrichtseinheiten auch online oder gar in den Praxisräumen von Dozenten stattfanden.

Zeitliche Weisungsbindung

Für das Gericht stand außer Frage, dass die Ausbildung in einem engen Zeitkorsett mit klarem und detailliertem Stundenplan und damit auch klaren zeitlichen Vorgaben für die Lehrkräfte stattfand.

Allerdings stellt das LSG heraus, dass auf die zeitlichen Wünsche der selbstständigen Lehrkräfte Rücksicht genommen wurde. Das zeigte sich daran, dass die Schule die festangestellten Lehrkräfte um die mit den freien Dozenten vereinbarten Unterrichtszeiten herum plante. Die Dozentin hatte außerdem klargemacht, dass sie Lehraufträge, die ihren zeitlichen Vorstellungen nicht gerecht worden wären, nicht angenommen hätte. Sie erhielt stets vier Unterrichtsstunden im Block, da ihre Anfahrtszeit sehr lang war.

Inhaltliche Weisungsbindung

Ein Weisungsrecht bezüglich der Inhalte der Lehrtätigkeit konnte das LSG nicht feststellen. Es hielt zudem für fraglich, ob dieses Kriterium bei zwingenden Rahmenbedingungen eines Curriculums überhaupt angewendet werden kann. Es sah hier keinen Einfluss auf die inhaltliche Vermittlung des Lehrstoffs. Sowohl die didaktische als auch die methodische Vermittlung des vorgegebenen Stoffes lagen in der Verantwortung der Lehrer. Die Bindung an das, was an Wissensstoff zu vermitteln war, stellt deswegen kein geeignetes Abgrenzungskriterium gegenüber einer abhängigen Beschäftigung dar.

Unternehmerrisiko

Ein nennenswertes Unternehmerrisiko der Dozentin konnte das Gericht nicht erkennen. Sie hatte einen festen Jahresvertrag abgeschlossen, der für einen maximalen Stundenumfang von vier Stunden pro Woche einen festen Stundensatz vorsah. Sie konnte weder Einfluss auf die Höhe des Entgelts nehmen noch durch sonstige Maßnahmen den Umfang der Einnahmen beeinflussen.

Dieser Umstand ist – so das LSG – für sich genommen aber von geringer Bedeutung, da es in der Eigenart der Tätigkeit begründet liegt, dass bei einer allein auf die geistige Vermittlung von Wissen gerichteten Arbeit keine (bzw. nur sehr geringe) Investitionen oder sonstige, ein unternehmerisches Risiko begründende Faktoren erkennbar sind.

Eingliederung in die Arbeitsorganisation

Als entscheidendes Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit betrachtet das LSG aber die fehlende Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Bildungsträgers. Es bedarf zwar – so das Gericht – eines hohen Organisationsgrads beim Einsatz der Lehrkräfte, um eine zeitliche Planung der Dozenten sicherzustellen. Allein dieser Umstand spricht noch nicht für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation.

Auch dass die Lehrkräfte ein Klassenbuch führen mussten, in das sie Datum, Anwesenheiten und den Inhalt des Unterrichtsstoffs einzutragen hatten, spricht nicht gegen eine selbstständige Tätigkeit. Die Lehrkräfte selbst hatten nämlich ein Interesse daran, den Ausbildungsstand der Auszubildenden und ihre Stoffvermittlung im Blick zu behalten. Dass auch die Schule Kenntnis dieser Unterlagen haben wollte (die Teilnahme am Unterricht war Voraussetzung für die Prüfungszulassung), ist daher als Abgrenzungskriterium ohne Aussagewert. Die Lehrkraft war aber auch im Vergleich zu den festangestellten Lehrkräften in nur sehr geringem Umfang in die Arbeitsorganisation eingebunden. Insbesondere nahm sie nicht an den turnusmäßigen Lehrerkonferenzen teil.

Die Gesamtbewertung durch das LSG

Der Vertrag war als selbstständige Dozententätigkeit ausgestaltet und wurde im Wesentlichen auch so gelebt, wie vereinbart. Diejenigen Merkmale, die auf eine abhängige Lehrtätigkeit hindeuten hätten können (wie z. B. die Vereinbarung über den Ort des Unterrichts), haben der Beschäftigung nach Auffassung des LSG nicht ihr Gepräge gegeben.

Von einer Weisungsgebundenheit im engeren Sinne konnte nicht ausgegangen werden. Deswegen kam insbesondere der fehlenden Eingliederung in den Betrieb ein besonderes Gewicht zu. Bei Ausbildungen mit berufsqualifizierendem Abschluss, die nicht selten einen stark gegliederten und umfangreichen Lehrstoff zum Inhalt haben, dürfte sich – so das LSG – stets das Problem stellen, wie der Wissensstoff ohne intensive organisatorische Vorbereitung, Einflussnahme und Steuerung der Lehrkräfte über die Dauer der Ausbildung vermittelt werden kann. Ein hoher Organisationsgrad der Unterrichtsvermittlung ist auch und gerade wegen des zumeist kaum vorhandenen Unternehmerrisikos ein deutliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Das Gericht sah aber diese hohe organisatorische Einbindung im konkreten Fall nicht.

Die Konsequenz für die Gestaltung von Verträgen

Lehrtätigkeiten können grundsätzlich selbstständig ausgeübt werden. Dabei haben das geringe unternehmerische Risiko und die zeitliche und örtliche Weisungsbindung als fast unvermeidbare Faktoren nur eine nachrangige Bedeutung.

Wichtig | Im Zentrum steht dagegen die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers. Darauf sollten Bildungsträger ein besonderes Augenmerk richten. Maßgeblich kommt es dabei darauf an, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie Einfluss auf Unterrichtsinhalt, Art und Weise der Erteilung, Arbeitszeit und sonstige Umstände der Lehrtätigkeit nehmen kann. Die Einbindung bzw. Einordnung in den Dienstbetrieb durch die Verpflichtung der Teilnahme an Konferenzen, Besprechungen und anderweitigen Verpflichtungen wie z. B. eine Vertretung deutet auf eine abhängige Beschäftigung hin, weil sich hieraus eine relativ intensive Eingliederung in den Lehrbetrieb ergibt. Ebenso können detaillierte Vorgaben bei der Unterrichtsgestaltung für eine fremdbestimmte Tätigkeit, also eine abhängige Beschäftigung, sprechen.

AUSGABE: VB 7/2023, S. 11 · ID: 49578656

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2023

Bildrechte