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Abtretungen und GegenstandswertDiese Auswirkungen hat eine offen abgetretene Position auf den Gegenstandswert

Abo-Inhalt17.07.2024612 Min. Lesedauer

| Der Anwalt konnte den Schadenersatzanspruch des Geschädigten bei offen abgetretenen Schadenpositionen lange Zeit einfach durchsetzen. Das Thema der Aktivlegitimation kam erst im Rechtsstreit auf. Doch jetzt schreibt ein Versicherer etwas holprig an eine Kanzlei: „Das Gutachten und dessen Kosten wurden bereits vor ihrer Beauftragung erstellt und abgetreten. Bitte senden Sie uns daher eine Gebührenrechnung bis 1500 EUR. Nur diese Kosten werden wir übernehmen.“ |

Offenbar hat der Schadengutachter die Abtretung an den Versicherer übersandt. Oder es war ein kanzleiinterner Betriebsunfall, denn es wurde nicht nur die Rechnung, sondern die daran hängende Abtretung des Schadengutachters an den Versicherer übersandt. Es hätte auch der Autovermieter oder dessen Rechnung nebst Abtretung sein können, und auch an der Werkstattrechnung hängt gern mal in einem Dokument zusammengefasst die Abtretung.

Praxistipp | Hier ist Erziehungsarbeit notwendig. Übermittelt der Dienstleister des Geschädigten Rechnung und Abtretung jeweils als eigene Datei, sinkt das Risiko solcher Versehen. Und der Dienstleister, der weiß, dass der Geschädigte anwaltlich vertreten ist, soll die Abtretung nicht an den Versicherer schicken.

1. Die offene Abtretung führt zum Forderungsübergang

Dass das Schadengutachten bereits vor der Mandatierung beauftragt und ggf. auch schon fertiggestellt war, ist kein Hindernis gegen die Einbeziehung der Gutachterkosten in den Gegenstandswert. Auch Abschleppkosten entstehen in aller Regel vor der Inanspruchnahme anwaltlicher Unterstützung. Würde der Geschädigte erst alle Rechnungen sammeln und mit dem Bündel unter dem Arm das Mandat erteilen, wäre das Mandat dennoch auf die Durchsetzung aller auf die Rechnungen bezogenen Erstattungsansprüche gerichtet.

Die offene Abtretung ist nach Auffassung von VA aber sehr problematisch. Denn der Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten ist nicht mehr in den Händen des Mandanten. Er hat ihn per Abtretung, deren Wirksamkeit vorausgesetzt, an den Schadengutachter übertragen. Da das Mandat auf die Durchsetzung der Erstattungsansprüche des Geschädigten gerichtet ist, ist der Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten nicht mehr in diesem bunten Strauß enthalten.

2. Viele Abtretungen sind offensichtlich unwirksam

Der einzige Ansatz kann sein, dass sich der Geschädigte auf die Unwirksamkeit der Abtretung beruft. Dafür müssen aber Anhaltspunkte vorliegen. Es sind sehr viele Formulare im Umlauf, die zuverlässig angreifbar sind. Manchmal wird nicht klar, ob eine Sicherungsabtretung oder eine Inkassoabtretung gewollt war (BGH 10.10.23, VI ZR 257/22, Abruf-Nr. 238647). Mal bleibt unklar, zu welchem Zeitpunkt der Zedent die Forderung zurückübertragen bekommen soll, wenn er vom Schadengutachter selbst in Anspruch genommen wird (BGH 18.2.20, VI ZR 135/19, Abruf-Nr. 215370 vs. BGH 17.10.23, VI ZR 27/23, Abruf-Nr. 238418). Ganz häufig ist der Anspruch auf Erstattung der Bruttokosten abgetreten. Das führt zu Bestimmbarkeitsproblemen, weil der Versicherer bei Vorsteuerabzugsberechtigten einen höheren Betrag auf die Abtretung leisten soll, als es dem Schadenersatzanspruch entspricht (analog BGH 21.6.16, VI ZR 475/15, Abruf-Nr. 188436). Und manchmal ist das Formular so schlampig ausgefüllt, dass schon deshalb alles unklar bleibt.

Sieht der Versicherer das ein, ist die Teilnahme der Gutachterkosten am Gegenstandswert gerettet. Andernfalls muss die Unwirksamkeit der Abtretung gerichtlich geklärt werden. Allerdings könnte das ein Gutachter, der seinen Kunden die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe empfiehlt, als feindlichen Akt betrachten.

3. Die stille Abtretung als Lösung der Schwierigkeiten

Eine stille Abtretung, bei der der Zedent und der Zessionar vereinbaren, dass diese nicht an den Versicherer geleitet, sondern in der Anwaltsakte verbleibt, um nur in Notfällen offengelegt zu werden, ist eine durch und durch seriöse Variante der Absicherung. Dabei bleibt nach der Rechtsprechung des BGH der Zedent berechtigt, Leistung an sich selbst zu verlangen: „Materiellrechtlich ist für die Wirksamkeit einer fiduziarischen Abtretung die Offenlegung der Zession – im Gegensatz zur Verpfändung einer Forderung (§ 1280 BGB) – nicht erforderlich. Haben die Beteiligten die Nichtaufdeckung der Abtretung vereinbart, handelt es sich um eine sogenannte stille Zession, die den Zedenten berechtigt, Leistung an sich selbst zu verlangen. Lediglich im Falle der offenen Sicherungsabtretung muss er Zahlung an den Abtretungsempfänger verlangen.“ (BGH 23.3.99, VI ZR 101/98, Abruf-Nr. 215370).

Der Versicherer kommt mit „Das ist doch abgetreten“-Spekulationen dabei nicht weiter, wie das OLG Bremen bereits urteilte. Es hielt die „Abgetreten“-Behauptung als ins Blaue hinein aufgestellt und sagte dann: „Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn selbst dann, wenn die Behauptung einer Abtretung als erheblich und im Ergebnis nicht bestritten angesehen wird, ist die Klägerin als aktivlegitimiert anzusehen, da der Beklagte wiederum dem Vorbringen der Klägerin nicht erheblich entgegengetreten ist, dass, wenn eine Abtretung vorliegen sollte, es sich jedenfalls um eine stille Zession handelt, bei der die Klägerin im eigenen Namen einziehungsberechtigt geblieben ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Klägerin insoweit nicht gehalten, noch weiter zu dem Inhalt ihrer Vereinbarung mit der Reparaturwerkstatt vorzutragen.“ (OLG Bremen 7.9.23, 1 U 18/23, Abruf-Nr. 237278)

Merke | Das trägt aber nur, solange Gutachter, Werkstatt und die anderen Dienstleister die Füße stillhalten und die Abtretung nicht an den Versicherer übersenden und versehentliche Weiterleitungen der Abtretung durch den Anwalt unterbleiben.

AUSGABE: VA 8/2024, S. 132 · ID: 50090181

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