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SchadenpositionenRechtsprechung zum Werkstattrisiko lässt sich auf andere Schadenpositionen übertragen

Top-BeitragAbo-Inhalt25.04.2024615 Min. Lesedauer

| Verlangt der Geschädigte Zahlung an den Rechnungssteller und tritt dem Schädiger bzw. dessen Versicherer Zug um Zug gegen die Schadenersatzzahlung des Versicherers seine (eventuellen) Rückforderungsansprüche gegen den Leistungserbringer ab, ist er auf der sicheren Seite. Das zeigte hinsichtlich der Reparaturkosten der BGH in den Urteilen vom 16.01.2024 zum Werkstattrisiko. Und genauso hat der BGH nun für die Erstattung der Kosten für das Gutachten entschieden. Passt die Rechtsprechung auch für andere Schadenpositionen? Ja, sagt UE und erläutert, welche es sind. |

BGH hat Übertragung auf andere Positionen bereits angelegt

Im BGH-Urteil zu den Gutachtenkosten findet sich unter Rz. 13 im Anschluss an die wiederholende Darstellung der Reparaturkostenentscheidungen folgende Formulierung: „Dies gilt für alle Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.“ (BGH, Urteil vom 12.03.2024, Az. VI ZR 280/22, Abruf-Nr. 240862).

Wichtig | Das ist nach Auffassung von UE eine sehr deutliche Ansage, denn „… alle Mehraufwendungen der Schadenbeseitigung …“ greift weit über die Reparaturkosten hinaus. Und es wäre auch ohne jede innere Logik, wenn diese Herangehensweise für manche Schadenpositionen gelten sollte, für andere ohne tragfähigen Grund aber nicht.

Die Folge wird sein: Die Instanzgerichte werden den neuen Ansatz auf alle Schadenpositionen anwenden, „deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.“

Diese Schadenpositionen kommen für Übertragung in Frage

Doch auf welche Schadenpositionen trifft das zu, auf welche eher nicht?

Position „Hilfestellung der Werkstatt für Gutachter“

Die Werkstatt leistet dem Schadengutachter in vielfältiger Weise Hilfe, indem sie z. B. die Hebebühne zur Verfüfung stellt, ein nicht mehr rollfähiges Fahrzeug zur Hebebühne bewegt oder bei Demontagearbeiten Schadenbereiche freilegt, um auch hinter die Kulissen schauen zu können. Bei dieser Hilfestellung muss zunächst geprüft werden, wie die Werkstatt dies abgerechnet hat.

  • Hatte die Werkstatt vom Geschädigten den Auftrag, den Schadengutachter bei Bedarf zu unterstützen, kann sie die Leistungen an den Geschädigten berechnen. Das ist dann zweifellos ein Fall des Werkstattrisikos. Denn der Geschädigte hat keinen Einfluss auf den getriebenen Aufwand und die Höhe der Kosten.
  • Hat die Werkstatt die Leistungen im Auftrag des Schadengutachters erbracht (das ist deutlich logischer, denn der braucht ja die Unterstützung), werden die Kosten ein Teil der Gutachterrechnung. Das ist dann – weil der Geschädigte auch bei diesem Abrechnungsweg keinen Einfluss hat – eine Konstellation des „Sachverständigenrisikos“. Also wird Zahlung an den Schadengutachter verlangt, Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Gutachter an den Versicherer.

Wichtig | Wo immer es im folgenden Beitrag um einen „Rückforderungsanspruch“ geht, kann das auch der nur vom Versicherer behauptete Anspruch sein. In dem Stadium wird nicht geprüft, ob der Anspruch besteht. Das wird erst geprüft, wenn der Versicherer mit einer Rückforderung ernst macht.

Position „Abschleppkosten sowie unfallbedingte Straßenreinigung“

Bei keiner Schadenposition ist es so offensichtlich wie bei den Abschleppkosten und den Kosten für das Aufräumen und Reinigen der Unfallstelle, dass der Geschädigte auf deren Entstehung und Höhe keinen Einfluss hat. Denn die dafür eingesetzten Unternehmer werden in aller Regel nicht vom Geschädigten selbst in Marsch gesetzt. Im Normalfall ist es die Polizei oder eine Notrufzentrale, die diese Aktivitäten ergreift.

Viele Gerichte sprechen heute schon vom „Hakenrisiko“, wenn es um die Erstattung der Abschleppkosten geht. Für die Abschleppkosten und die manchmal folgenden o. g. Kosten steht es außer Zweifel, dass die Grundsätze des Werkstattrisikos analog auch darauf anzuwenden sind. Soweit die Rechnung noch unbezahlt ist, muss also auch hier Zahlung an den Rechnungssteller Zug um Zug gegen Abtretung eventueller Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Abschleppunternehmer und/oder die Straßenreinigungsfirma an den Versicherer verlangt werden.

Bei den Abschleppkosten ist es sehr oft so, dass der Geschädigte die schon selbst bezahlt hat. Denn die Abschleppunternehmer setzen die angestrebte „Zahlung sofort“ in ungezählten Fällen mittels des Werkunternehmerpfandrechts durch. Sie haben es sehr oft mit Zufallskunden zu tun, die noch dazu oft auch ortsfremde Kunden sind. Geschäftspolitische Rücksichtnahmen sind da überwiegend unnötig.

Hat der Geschädigte bereits die Rechnung bezahlt, kann Zahlung an ihn selbst verlangt werden. Allerdings muss auch dann der Vorteilsausgleich durch die Zug-um-Zug-Abtretung hergestellt werden. Denn die Frage, an wen gezahlt werden soll, und die Frage des Vorteilsausgleichs betreffen zwei verschiedene Themenkreise:

  • Die Zahlung an den Rechnungssteller soll nur sicherstellen, dass der Vorteilsausgleich nicht an dem Einwand scheitern kann, es müsse nicht zurückgezahlt werden, was noch nicht hingeflossen sei.
  • Der Vorteilsausgleich ist immer und ausnahmslos die Voraussetzung der Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs in seiner jeweiligen Ausprägungsform des Werkstattrisikos, Hakenrisikos, Sachverständigenrisikos etc. Denn der Grundsatz lautet: Ohne Vorteilsausgleich keine Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs.

Es kommt auch vor, dass der Abschleppunternehmer das Unfallfahrzeug auf Wunsch des Geschädigten zu dessen bevorzugter Werkstatt bringt. Die legt dann die Abschleppkosten für ihren Kunden vor. Die auf den Geschädigten fakturierte Rechnung gibt sie an den Kunden weiter. Weil der Abschleppunternehmer dann bereits voll bezahlt ist, kann der Geschädigte die Erstattung wahlweise an sich oder an die Werkstatt, die es vorgelegt hat, verlangen, aber auch nur (siehe oben) Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche gegen den Abschleppunternehmer.

Hat hingegen die Werkstatt die Abschleppleistung als Subunternehmerleistung betrachtet und in ihre Rechnung integriert, ist zwar der Subunternehmer bereits bezahlt, aber der Hauptunternehmer „Werkstatt“ noch nicht. Also muss Zahlung an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt verlangt werden. Achtung: Gegen die Werkstatt (!), nicht gegen den Abschleppunternehmer. Denn weil das im Außenverhältnis zum Kunden nun eine Leistung der Werkstatt geworden ist, hat die ja eine evtl. zu hohe Rechnung zu verantworten.

Position „Rücktransportkosten“

Verunfallt der Geschädigte fern der Heimat, darf er nach überwiegender Rechtsprechung das verunfallte Fahrzeug zur Heimatwerkstatt transportieren lassen (AG München, Urteil vom 06.10.2014, Az. 322 C 27990/13, Abruf-Nr. 143049; AG Siegburg, Urteil vom 14.04.2016, Az. 124 C 7/16, Abruf-Nr. 185866; AG Ingolstadt, Urteil vom 18.02.2016, Az. 10 C 2291/15, Abruf-Nr. 187421; für den umgekehrten Fall des Heimtransports nach der Reparatur am Unfallort AG Eckernförde, Urteil vom 15.10.2019, Az. 6 C 682/18, Abruf- Nr. 211894).

Lässt der Geschädigte das Fahrzeug direkt von der Unfallstelle in die Heimat bringen, spricht einiges dafür, das „Hakenrisiko“ anzuwenden.

Wichtig | Anders sieht das aus, wenn der Heimtransport ein zweiter Transport nach einem Zwischenstopp beim Abschleppunternehmer ist. Dann kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass der Geschädigte in vielen Fällen die Gelegenheit hätte, durch Preisvergleiche und -verhandlungen auf die entstehenden Kosten einzuwirken.

Position „Standkosten“

Entstehen Standkosten, weil der Abschleppunternehmer das Fahrzeug von der Unfallstelle auf seinen Betriebshof bringt und es dort vorübergehend steht, kann der Geschädigte diese weder in ihrer Entstehung noch der Höhe nach beeinflussen. Nicht anders ist es beim Abstellen bei der vom Geschädigten bevorzugten Werkstatt. Die hat ihren Preis für das Standgeld, der ist zu akzeptieren.

Folglich ist bei beiden Konstellationen das Werkstattrisiko anzuwenden. Es muss Zahlung an den jeweiligen Rechnungssteller Zug um Zug gegen Abtretung der jeweiligen Rückforderungsansprüche verlangt werden.

Mietwagenkosten und die verschiedenen Schadenaspekte

Rund um die Mietwagenkosten muss man viele Differenzierungen vornehmen. Da gibt es diverse Aspekte, die zu beleuchten sind.

Der (fehlende) Eintrag „Vermietfahrzeug für Selbstfahrer“

Die Fragestellung, ob der Mietwagen als Vermietfahrzeug für Selbstfahrer bei der Zulassungsstelle registriert wurde, dürfte eindeutig dem „Mietwagenrisiko“ unterfallen. Der Geschädigte bekommt ein Fahrzeug ausgehändigt. Ob das den Eintrag im Fahrzeugschein aufweist, kann er erst prüfen, nachdem er das Fahrzeug hat. Im Übrigen ist es sehr wahrscheinlich, dass der durchschnittliche Geschädigte die Thematik gar nicht kennt. Dann kann von ihm auch nicht erwartet werden, dass er eine solche Prüfung vornimmt.

Folglich muss er Zahlung an den Autovermieter Zug um Zug gegen Abtretung seiner Rückforderungsansprüche gegen den Vermieter verlangen.

Anmietung in der Not- und Eilsituation

Bei Anmietung eines Ersatzfahrzeugs in einer Not- und Eilsituation (dringende Weiterfahrnotwendigkeit, die keinen Aufschub duldet), greift das Mietwagenrisiko auch. Denn dann muss der Geschädigte nehmen, was er bekommen kann. Zeit und Gelegenheit für vorherige Preisvergleiche hat er dann nicht.

Folglich muss er auch hier Zahlung an den Autovermieter Zug um Zug gegen Abtretung seiner Rückforderungsansprüche gegen den Autovermieter verlangen.

Mietwagenkosten im Allgemeinen

Davon abgesehen sind die Mietwagenkosten die Schadenposition, bei denen dem Geschädigte am ehesten ein Preisvergleich vorab möglich ist. Denn da gibt es einen offenen und ohne weiteres zugänglichen Markt für Fahrzeugvermietungen auch außerhalb des Unfallersatzgeschäfts.

So ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass dem Geschädigten vorgeworfen werden kann, er habe einen für ihn erkennbar zu teuren Mietwagen genommen. Träfe das zu, hätte er die Segnungen des subjektbezogenen Schadenbegriffs in der Ausprägungsform des Mietwagenrisikos nicht auf seiner Seite.

Wichtig | Mietet er aber auf einem Level an, das der örtlichen Rechtsprechung entspricht, z. B. zu einem Preis, der dem Mittelwert aus der Schwacke- und der Fraunhofer-Erhebung entspricht, wäre der Vorwurf einer sehenden Auges überteuerten Anmietung absurd. Dann ist der Geschädigte vom „Mietwagenrisiko“ geschützt, wenn er Zahlung an den Autovermieter Zug um Zug gegen Abtretung seiner Rückforderungsansprüche verlangt.

Allerdings hat das keinen Nutzen, weil er sich dann ja auch auf konventionellem Wege durchsetzen kann, ohne die Lunte zu legen für einen Regress des Versicherers gegen den Autovermieter (den der Versicherer dann aber auch kaum gewinnen könnte). So ist es in der Situation „Geschmacksache“, ob

  • konventionell Zahlung an den Geschädigten verlangt wird oder
  • der neuen Linie folgend an den Autovermieter

Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Autovermieter.

Dauer der Anmietung

Die Dauer der Anmietung ist neben der Tariffrage ein häufiger Streitpunkt. Da muss bei Reparaturfällen differenziert werden: Ist der Vermieter auch der Reparateur, hat also die Werkstatt selbst das Mietfahrzeug bereitgestellt? Oder ist der Mietwagen von einem eigenständigen Autovermieter?

Fazit | Diese Überlegungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollen nur ein Fingerzeig sein, woran die anwaltliche Vertretung nun Fall für Fall denken muss. Es wird so sein, dass die Schadenpositionen nicht mehr in einem Klageantrag zusammengefasst werden können, sondern für jede Position ein eigener Antrag formuliert werden muss. Ist der Geschädigte nicht anwaltlich vertreten, spielen alle diese Differenzierungen keine Rolle; denn es wird aller Voraussicht nach kaum einen Versicherer geben, der dann nicht wie bisher unabhängig von der jeweiligen Rechtslage seine Kürzungen vornehmen wird.

  • Eigenständiger Autovermieter: Der Autovermieter hat mit einer Verzögerung, die (für den Beispielsfall gedacht schuldhaft) von der Werkstatt verursacht würde, nichts zu tun. Der Geschädigte hingegen hat in aller Regel keine Möglichkeit, die Arbeit der Werkstatt zu beschleunigen. Also ist auch das eine Position, „deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin hat, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.“
  • Wichtig | In dieser Dreieckskonstellation kann der Geschädigte nach seiner Wahl die Zahlung der Mietwagenkosten
    • an sich oder
    • an den Autovermieter verlangen,
  • aber Zug um Zug gegen Abtretung seines gegen die Werkstatt (!) gerichteten Anspruchs auf Ersatz des durch die Verzögerung entstandenen Schadens an den Versicherer. Das ist nicht der oben vielfach aktivierte „Rückzahlungsanspruch“, denn insoweit hat der Geschädigte ja keine Zahlung an die Werkstatt geleistet.
  • Werkstatt als Vermieter: Hat hingegen die Werkstatt auch das Ersatzfahrzeug vermietet, sollte der Geschädigte Zahlung an die Werkstatt verlangen Zug um Zug gegen Abtretung seines gegen die Werkstatt gerichteten Anspruchs auf Ersatz des durch die Verzögerung entstandenen Schadens an den Versicherer.

AUSGABE: UE 5/2024, S. 13 · ID: 50007523

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