FeedbackAbschluss-Umfrage

GutachterkostenBGH ändert seine bisherige Rechtsprechung zur Erstattung der Sachverständigenkosten

Top-BeitragAbo-Inhalt16.04.2024481 Min. Lesedauer

| Paukenschlag! Der VI. Senat des BGH hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Erstattung der Sachverständigenkosten nicht mehr fest. Im Urteilsfall klagt der Schadengutachter aus abgetretenem Recht. Um seine neue Linie an den Start zu bringen, beschreibt der BGH aber zunächst, wie es wäre, wenn der Geschädigte selbst klagt. Und das lässt sich so zusammenfassen: Wie neuerdings bei den Reparaturkosten nach den Grundsätzen zum Werksattrisiko. Doch diese Kurzversion darf dem Schadengutachter nicht reichen, dem ihn vertretenden Anwalt schon gar nicht. UE liefert die Details. |

Verschiedene Konstellationen und verschiedene Blickwinkel

In der Praxis sind folgende Konstellationen klar zu differenzieren:

  • Ist der Geschädigte mit anwaltlicher Unterstützung selbst am Start? (Ohne anwaltliche Unterstützung des Geschädigten wird ohnehin kein Versicherer die dem Geschädigten günstige neue Rechtsprechung des BGH anwenden. Denn was man schon gar nicht erst bezahlt, muss man nicht mühsam zurückfordern.)
  • Oder geht der Schadengutachter aus abgetretenem Recht vor?

Und bei einer Gesamtbetrachtung muss man auch sehen: Wird ein eventueller Vorteil „vorn“, also bei der Durchsetzung der Honorarerstattung zum Nachteil „hinten“, also bei einer Rückforderung des Geldes durch den Versicherer beim Schadengutachter?

Der Geschädigte ist selbst der Anspruchsteller

Ist der Geschädigte selbst der Anspruchsteller, hat sich vieles vereinfacht. Außer bei einer laienerkennbar schreiend überhöhten Gutachtenrechnung ist der Geschädigte nun geschützt. Er durfte darauf vertrauen, dass der Schadengutachter schon korrekt abrechnet. Will er diese geschützte Position in der Schadenregulierung umsetzen, muss er aber

  • die Zahlung des Gutachtenkosten-Erstattungsbetrags an den Schadengutachter verlangen
  • Zug um Zug gegen Abtretung eventueller werkvertraglicher Rückforderungsansprüche gegen den Schadengutachter an den Versicherer.

Schädiger trägt Sachverständigenrisiko

Dann gehen bis zur Grenze der laienerkennbaren Überhöhung alle „zu teuer-Einwendungen“ des Versicherers ins Leere: Das Sachverständigenrisiko – so nennt der BGH das analog zum Werkstattrisiko – trägt der Schädiger (BGH, Urteil vom 21.03.2024, Az. VI ZR 280/22, Abruf-Nr. 240862).

Auch der Einwand, der Schaden sei zu üppig kalkuliert, bei der zutreffenden Schadenhöhe sei eine niedrigere Honorarstufe anzuwenden, geht dann ins Leere. Der BGH benennt unter Rz. 14 diese Situation ausdrücklich als in der Regel nicht laienerkennbar: „Bei einem Kfz-Sachverständigen, der sein Grundhonorar nicht nach Stunden, sondern nach Schadenshöhe berechnet, kommt ein für den Geschädigten nicht erkennbar überhöhter Ansatz beispielsweise auch dann in Betracht, wenn der Gutachter den Schaden unzutreffend zu hoch einschätzt. Diesbezügliche Mehraufwendungen sind dann ebenfalls ersatzfähig, ebenso Rechnungspositionen, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begutachtung beziehen.“

Letzteres meint einen Einwand wie z. B., die berechnete Desinfektion des Fahrzeugs durch den Schadengutachter sei doch gar nicht gemacht worden oder die Fahrt zur Besichtigungsstelle sei doch gar nicht durchgeführt worden, weil der Gutachter aus anderen Gründen bereits dort war.

Wo endet im Zweifel der Schutz beim Grundhonorar?

Jedenfalls im Hinblick auf das Grundhonorar sind nur mit Mühe laienerkennbare Überhöhungen bei seriösen Schadengutachtern vorstellbar, die sich im Rahmen des Vereinbarten oder des Üblichen bewegen und bei denen, wenn sie mit Preisvereinbarungen arbeiten, das Übliche auch nicht deutlich überschritten wird.

Ein Beispiel nennt der BGH aber selbst: Gibt es eine Preisvereinbarung, entspricht die Rechnung aber nicht der Preisvereinbarung, sondern übersteigt sie, dann sei das laienerkennbar (Rz. 15). Denn „… es trifft den Geschädigten eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise.“

Wichtig | Diese Pflicht zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle kann man sicher im Hinblick auf andere Schadenpositionen übertragen: Stimmen die Preisliste des Autovermieters und die Rechnung überein? Sind von der Werkstatt die ausgehängten Preiskomponenten wie z. B. der Stundenverrechnungssatz zutreffend in die Rechnung übernommen worden? Gibt es sonstige laienerkennbare nicht plausible Auffälligkeiten?

Und wo endet der Schutz bei den Nebenkosten?

„Da haben Sie aber Glück!“, sagt der Werkstattmeister dem soeben eintreffenden Kunden. „Der Schadengutachter ist nämlich zufällig gerade bei uns im Haus.“ Und später stehen viele Kilometer An- und Abfahrt auf der Rechnung. Diese Nebenkosten sind dann offensichtlich unplausibel.

Aber wann sollen Nebenkosten, wie z. B. Foto- oder EDV-Kosten, laienerkennbar nicht passen? Jedenfalls sieht es der BGH als denkbares Überwachungsverschulden, wenn der Sachverständige für den Geschädigten erkennbar überhöhte Nebenkosten angesetzt hat (Rz. 15). Orientiert man sich an der bisherigen Rechtsprechung des BGH, die insoweit sicher noch Bestand hat, ist eine Anlehnung an die Beträge aus dem JVEG eine sichere Bank; dann kann von laienerkennbarer Überhöhung keine Rede sein. Bei den Fahrtkosten pro Kilometer ist sicher auch eine maßvolle Überschreitung passend.

Wenn alles passt, läuft das sicher so durch

Weil der Geschädigte durch die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs geschützt werden soll, muss dann kein Gericht mehr in den Einzelheiten der Rechnung herumfummeln.

Auch bei Erstattung der Gutachterkosten ist Antragstellung zu ändern

Der Preis für die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs ist aber auch bei der Erstattung der Gutachterkosten:

  • Es muss bereits vorgerichtlich die Zahlung an den Schadengutachter Zug um Zug gegen Abtretung eventueller Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Schadengutachter an den Versicherer verlangt werden.
  • Und genauso muss wegen restlicher Gutachterkosten bei Gericht der Klageantrag gestellt werden. Das ist ja inzwischen bereits im Hinblick auf die restlichen Reparaturkosten eingeübt.

In laufenden Verfahren muss der Antrag umgestellt werden unter Hinweis auf die aktuelle Entscheidung des BGH. Dabei muss auch dargestellt und nachgewiesen werden, dass der vorgerichtlich bereits geflossene Betrag an den Schadengutachter weitergeleitet wurde; denn auch dessen hypothetische Nichtweiterleitung würde den Vorteilsausgleich unmöglich machen. Es nützt nämlich die beste Abtretung der Rückforderungsansprüche nichts, wenn der Schadengutachter der Rückforderung entgegenhält, was er nicht bekommen habe, müsse er auch nicht zurückzahlen. Das ist ja das Substrat aus der BGH-Entscheidung vom 16.01.2024 (Az. VI ZR 253/22, Abruf-Nr. 239194). Darauf, dass der Geschädigte hypothetisch den Restbetrag nicht weiterleiten könnte, wird unter Rz. 17 verwiesen. Der erweiterte Gedanke, dass schon „der große“ Teil nicht weitergeleitet sein könnte, war beim BGH noch nicht relevant, liegt aber auf der Hand und wurde von einem Versicherer bereits bemerkt.

Wichtig | Bei einer solchen Antragsstellung kommt es dann – und das ist ganz neu – für den Schutz des Geschädigten nicht mehr darauf an, ob der Geschädigte die offengebliebene Rechnungsdifferenz bereits selbst gezahlt hat (Rz. 16).

Die Zeithonorar-Einwendungen brechen damit in sich zusammen

Angesichts der BGH-Rechtsprechung zur Berechtigung des Schadengutachters, Routinegutachten an der Schadenhöhe angelehnt pauschaliert abzurechnen (BGH, Urteil vom 04.04.2006, Az. X ZR 122/05, Abruf-Nr. 061058), ist es abwegig, dass sich die Zeithonorar-Attacken auf einer laienerkennbaren Ebene bewegen. Aus dem Grund müssten alle Zeithonorar-Einwendungen in den laufenden Prozessen in sich zusammenbrechen. Der Spuk geht dann in den Aktivprozessen voraussichtlich schnell zu Ende.

§ 93 ZPO, wenn Versicherer nach Antragsumstellung anerkennt?

Aus den Reparaturkosten-Erstattungsprozessen kennen wir die Anerkenntnisse nach der Umstellung des Klageantrags; verbunden mit dem Versuch, die Kosten nach § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen.

Doch es ist in der Rechtsprechung überwiegend Konsens, dass die Umstellung nur in eine Beweiserleichterung führt und der Geschädigte um den Preis, die Beweiserleichterung nicht zu bekommen, noch immer auf Zahlung an sich klagen könnte (zu Letzterem siehe Rz. 20).

Wichtig | UE hat einen Rechtsanwaltsprozessbaustein erstellt, der die Rechtsprechung dazu aufgreift. Vorsorglich können Passagen daraus schon mit der Antragsumstellung übersandt werden. Sie finden den Rechtsanwaltsbaustein RA071 auf Seite 18 dieser Ausgabe; und zwar in einer Variante für die Erstattung von Gutachterkosten und einer Variante für die Erstattung von Reparaturkosten.

Für den Geschädigten ist alles gut – für den Gutachter noch lange nicht

Der Versicherer soll nicht auf einer objektiven Überhöhung sitzen bleiben, die er aufgrund der Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs an den Geschädigten erstatten musste. Das ist der Sinn der Zug um Zug gegen die subjektbasierte, aber in den Augen des Versicherers zu hohe Zahlung zu erteilenden Abtretung der (sei es auch nur eventuellen, das ist in diesem Stadium nach überwiegender Auffassung nicht zu prüfen) Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Gutachter.

Wichtig | Die Frage lautet nun: Werden einzelne Versicherer ernst machen und auf der Grundlage der Abtretung tatsächlich Geld vom Schadengutachter zurückfordern, notfalls mithilfe der Gerichte? UE ist sich sicher: Das wird so kommen. Ein Versicherer aus Münster hat das bei vermeintlich zu hohen Reparaturkosten bereits vorgemacht. Und die Versicherer, die sich mit hohem Elan in die Schlachten um die angebliche Pflicht zur Zeithonorarabrechnung gestürzt haben, werden jetzt nicht klein beigeben und die Fahne einrollen. Dieselben Fragen werden dann unter umgekehrten Vorzeichen ausgefochten.

Honorarvereinbarung als Schutzschild gegen das Zeithonorar

Allerdings gibt es da einen sehr guten Schutz für den Geschädigten: Nämlich eine Honorarvereinbarung. Ist die Abrechnung auf der Grundlage der Schadenhöhe unter Bezugnahme auf eine dem Geschädigten vor Vertragsschluss zugänglich gemachte Tabelle vereinbart, die auch die Nebenkostenpositionen enthält, ist viel gewonnen.

Allerdings: Wer auf diesem Weg eine Preisliste vereinbart, die das Übliche nennenswert überschreitet, hat den Schutz wieder verloren. Denn: „Verlangt der Sachverständige bei Vertragsschluss Preise, die – für den Geschädigten erkennbar – deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieses Sachverständigen als nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erweisen (Auswahlverschulden). … Der Geschädigte kann dann nur Ersatz der für die Erstattung des Gutachtens tatsächlich erforderlichen Kosten verlangen, deren Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat.“ (BGH, Urteil vom 12.03.2024, Rz. 16).

Wichtig | Auch um die Frage, was „für den Geschädigten erkennbar“ überhöht ist, kann man fröhlich streiten. Auf sicherem Boden ist also, wer Beträge in Höhe des Üblichen vereinbart. Mag die BVSK-Honorarbefragung dem ein oder anderen nicht schmecken, einen sicheren Boden bildet sie allemal.

Weil der Versicherer auf der Grundlage der Abtretung nur zurückverlangen kann, was der Geschädigte ohne die Abtretung selbst vom Gutachter hätte zurückverlangen können, ist die Gefahr gebannt. Denn was der Geschädigte per Vereinbarung schuldet, kann er nicht zurückverlangen. Vereinbart ist die Pauschalierung nach Schadenhöhe. Damit ist das Zeithonorar-Argument gesperrt.

Klagt der Versicherer ohnehin gegen den SV, wird die Zündschnur kürzer

Bisher hat UE hier nur den Regress des Versicherers im Hinblick auf von ihm für überhöht gehaltenes Honorar im Auge gehabt.

Vereinzelt haben Versicherer bereits versucht, den Gutachter wegen seiner Gutachteninhalte und den für den Versicherer daraus folgenden Belastungen in Regress zu nehmen. Denn wenn sich der Geschädigte auf den „Ich war’s nicht, der Gutachter war‘s, und auf den durfte ich mich verlassen“-Standpunkt stellt, sind die durch ein zu üppiges Gutachten entstandenen Reparatur-Mehrkosten vom Versicherer zu erstatten.

Jedenfalls bei seriösen Gutachtern hat sich dabei fast immer erwiesen, dass das vermeintlich allzu Üppige eben nicht zu üppig, sondern nur „jenes Ende“ der Bandbreite des Beurteilungsspielraums war, wobei der Versicherer lieber „dieses Ende“ gesehen hätte. Insoweit waren die bisherigen Versuche vereinzelt geblieben.

Naheliegend erscheint UE aber, dass die Zündschnur diesbezüglich kürzer wird, wenn der Versicherer ohnehin eine Klage wegen einer Honorarrückforderung erhebt. Dann kommt es – symbolisch und überspitzt gesagt – auf den Streit ums Lenkgetriebe auch nicht mehr an.

Wichtig | Vor diesem Hintergrund finden Sie in dieser Ausgabe auf Seite 9 eine Update zum Thema „Regress des Versicherers gegen den Schadengutachter wegen der Gutachteninhalte“.

Bei Klagen aus abgetretenem Recht bleibt alles beim Alten

Wie auch bei den Reparaturkosten gilt bei Klagen des Schadengutachters aus abgetretenem Recht des Geschädigten: Ohne Vorteilsausgleich keine Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs. Klagt der Gutachter selbst, kann er den Vorteilsausgleich nicht herstellen, denn er ist nicht Inhaber, sondern sogar Anspruchsgegner des Rückforderungsanspruchs des Geschädigten.

Da bleiben alle Klagen so mühsam wie bisher. Also muss das Bestreben darin liegen, noch mehr Geschädigte in die anwaltliche Betreuung zu empfehlen.

Weiterführender Hinweis
  • Rechtsanwaltstextbaustein RA071: Kein § 93 ZPO bei Anerkenntnis nach Umstellung des Klageantrags gemäß neuer BGH-Linie → Abruf-Nr. 50000891

AUSGABE: UE 5/2024, S. 4 · ID: 50000872

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2024

Bildrechte