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Einkommensteuer
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EinkommensteuerFreibetrag und Tarifermäßigung bei Betriebsveräußerung: Nur einmalige Nutzung richtig steuern
| Wenn Sie ein Einzelunternehmen, einen Teilbetrieb, einen Mitunternehmeranteil oder ein neues (künftiges) Einzelunternehmen verkaufen, können Sie von zwei Steuervergünstigungen profitieren: Dem Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 3 EStG. Beide Vergünstigungen können Sie nur einmal im Leben nutzen. Ergo ist höchste Sorgfalt bei der Inanspruchnahme geboten. Nicht zuletzt, weil es viele Stolperfallen – u. a. bei der Verbescheidung durchs Finanzamt – gibt. SSP hilft Ihnen, diese zu erkennen und zu umgehen. |

Die möglichen Steuervergünstigungen
Eine Betriebsaufgabe führt also regelmäßig dazu, dass Ihnen Einkünfte zusammengeballt zufließen. Das würde – wegen der Progression des Einkommensteuertarifs – zu einer hohen Steuerlast führen. Um diese übermäßige Steuerbelastung abzufedern, bietet Ihnen der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten.
Der 45.000-Euro-Freibetrag in § 16 Abs. 4 EStG
Den Freibetrag Höhe von 45.000 Euro (§ 16 Abs. 4 EStG) können Sie nutzen, wenn Sie
- zum Zeitpunkt des Betriebsverkaufs bzw. der -aufgabe das 55. Lebensjahr vollendet haben oder dauernd berufsunfähig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind und
- einen Antrag beim Finanzamt stellen.
Diesen Freibetrag können Sie jedoch nur einmal in Ihrem Leben nutzen. Insbesondere bei kleinen Gewinnen sollte man sich daher gut überlegen, ob man den Freibetrag bereits „verpulvert“. Gehen Sie noch anderen betrieblichen Tätigkeiten nach oder planen Sie, einen neuen Betrieb zu gründen, könnten Sie den Freibetrag dort evtl. besser einsetzen. Ist Ihr Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinn zu hoch, wirkt sich der Freibetrag möglicherweise überhaupt nicht aus. Das liegt daran, dass er gedeckelt ist. Der Freibetrag wird um den Betrag gekürzt, um den der Veräußerungsgewinn 136.000 Euro übersteigt. Damit wirkt sich der Freibetrag ab einem Aufgabegewinn von 181.000 Euro steuerlich nicht mehr aus.
Sollte trotz des Freibetrags ein Gewinn verbleiben und damit Steuern anfallen, kommen folgende Tarifbegünstigungen für Sie in Betracht:
Die Fünftel-Regelung in § 34 Abs. 1 EStG
Mit der Besteuerung nach der „Fünftel-Regelung“ ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, soweit in Ihrem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte (= Aufgabegewinn minus Freibetrag) enthalten sind. Dazu wird zunächst die Einkommensteuer ermittelt, die sich ohne die außerordentlichen Einkünfte ergibt. Danach wird die Steuer unter Ansatz von 1/5 Ihrer außerordentlichen Einkünfte ermittelt. Die Differenz zwischen beiden Ergebnissen wird mit dem Faktor 5 multipliziert und auf Ihre Steuer aufgeschlagen. Im Ergebnis mildert die Regelung also Progressionssteigerungen ab, die aus einem höherem Einkommen resultieren. Daraus folgt allerdings auch, dass sich die Fünftel-Regelung nicht auswirkt, wenn Sie sich mit Ihrem zu versteuernden Einkommen im Spitzensteuersatz-Bereich bewegen.
Wichtig | Die Tarifbegünstigung durch die Fünftel-Regelung wendet das Finanzamt kraft Gesetzes an. Dafür müssen keine weiteren Voraussetzungen erfüllt sein. Sie müssen auch keinen Antrag stellen.
Der ermäßigte Steuersatz in § 34 Abs. 3 EStG
Alternativ besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen Antrag auf Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 Abs. 3 EStG zu stellen. Hier wird auf die betreffenden Einkünfte ein ermäßigter Steuersatz angewendet. Während § 34 Abs. 1 EStG die Glättung eines durch den zusammengeballten Zufluss eintretenden Progressionssprungs bezweckt, soll § 34 Abs. 3 EStG dazu dienen, Unternehmern, die aus dem Berufsleben ausscheiden, die Altersvorsorge zu sichern. Dazu müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Bei Ihnen müssen Einkünfte i. S. v. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliegen.
- Sie müssen den ermäßigten Steuersatz beantragen.
- Sie müssen das 55. Lebensjahr vollendet haben oder dauernd berufsunfähig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sein.
- Sie dürfen den ermäßigten Steuersatz noch nicht genutzt haben (ähnlich wie beim Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG).
PRAXISTIPP | Der ermäßigte Steuersatz auf die außerordentlichen Einkünfte beträgt 56 Prozent des durchschnittlichen Steuersatzes, der sich ergäbe, wenn die Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zzgl. der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen wäre. Angenommen Ihr Durchschnittssteuersatz beträgt 40 Prozent, würde die Steuerermäßigung danach rund 17,6 Prozent betragen. Sie müssten auf den Aufgabegewinn damit lediglich 22,4 Prozent Steuern zahlen. |
Das „nur-Einmal-Nutzungs-“Problem
Freibetrag und Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG setzen gleichermaßen voraus, dass Sie bei Entstehen des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns das 55. Lebensjahr vollendet oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne berufsunfähig sind. Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG in Höhe von 45.000 Euro sowie die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG können Sie jeweils nur einmal in Anspruch nehmen. Auch eine nur teilweise steuerliche Auswirkung führt zum vollständigen Verbrauch. Der nicht ausgeschöpfte Teil der Begünstigung steht bei späteren Veräußerungen nicht zur Verfügung.
Begünstigungen müssen beantragt werden
Der Freibetrag (§ 16 Abs. 4 EStG) und die Tarifermäßigung (§ 34 Abs. 3 EStG) werden (eigentlich – mehr dazu unten) nur auf Antrag gewährt.
Antrag und Antragrücknahme
Der Antrag kann formlos gestellt und bis zur Bestandskraft des Bescheids auch zurückgenommen werden. Die Rücknahme kann sinnvoll sein, wenn
- der Veräußerungsgewinn sich nach der Prüfung durch das Finanzamt ändert (Kappungsgrenze) oder
- sich die übrigen Einkünfte ändern und damit auch der Grenzsteuersatz des betreffenden Kalenderjahrs (z. B. Beteiligungseinkünfte nach einer Betriebsprüfung) höher oder niedriger ausfallen oder der zugerechnete Verlust aus einer Immobiliengesellschaft sich ändert.
Jede Begünstigung ist für sich beantragbar
Die Inanspruchnahme des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG und der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG kann unabhängig voneinander erfolgen. Irrtümlich werden beide Begünstigungen aber häufig in einem Gleichlauf gesehen. Verfahrensrechtlich handelt es sich aber um zwei gesonderte Anträge.
Der Freibetrag und die Tarifermäßigung können demnach unabhängig voneinander für verschiedene begünstigte Veräußerungsgewinne beansprucht werden. Häufig ist dies in der Gesamtschau sogar die sinnvollste Alternative. Der Freibetrag wird für einen „kleinen“ Veräußerungsgewinn eingesetzt, die Tarifermäßigung wird hingegen für einen „höheren“ Gewinn genutzt.
Beispiel |
A (55 Jahre) hat aus dem Verkauf seines Mitunternehmeranteils an der ABC-OHG im Jahr 2022 einen begünstigten Gewinn in Höhe von 60.000 Euro erzielt. Im Jahr 2023 erzielte A einen weiteren begünstigten Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf eines Mitunternehmeranteils an der Z-GbR in Höhe von 170.000 Euro. So kann man die Steuerver-
günstigungen optimieren
|
Verbrauch bei unrechtmäßiger Gewährung
Die Rechtsprechung lehrt, dass das Finanzamt manchmal den Freibetrag und die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG auch ohne Antrag (von sich aus) abzieht. Und sogar dann, wenn Sie gar keinen Anspruch darauf hätten.
Hier müssen Sie wissen, dass die Vergünstigungen auch bei unrechtmäßiger Gewährung durch das Finanzamt endgültig verbraucht sind. Für spätere Veräußerungsgewinne stehen Freibetrag und/oder Tarifermäßigung nicht mehr zur Verfügung. Dies hat der BFH mehrfach bestätigt, zuletzt mit Urteil vom 28.09.2021 (Az. VIII R 2/19, Abruf-Nr. 226912).
Dies gilt selbst dann, wenn (versehentlich) ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen begünstigten Veräußerungsgewinn i. S. v. § 34 Abs. 3 EStG handelt. Im Urteilsfall waren Vergütungen für mehrere Jahre nachgezahlt worden. Diese werden zwar auch tarifermäßigt, aber nach § 34 Abs. 1 EStG und führen damit nicht zu einem Verbrauch des § 34 Abs. 3 EStG. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort (später) nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Wichtig | Wollen Sie sich die Möglichkeit vorbehalten, die Vergünstigung in einem späteren Jahr (mit höherer Auswirkung) in Anspruch zu nehmen, müssen Sie zwingend die Steuerfestsetzung anfechten, in der Ihnen die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Voraussetzung dafür ist aber erst einmal, dass Sie den begünstigenden Irrtum des Finanzamts erkennen.
Beispiel |
Musterfall belegt die Sinnhaftigkeit der ... ... Auseinander-
setzung mit dem Steuerbescheid des Finanzamts |
Wie kann man in der Praxis sein Recht wahren?
Die rechtswidrige Gewährung einer Vergünstigung bindet Sie dann nicht, wenn für Sie nicht erkennbar war, dass Ihnen die Begünstigung vom Finanzamt zu Unrecht gewährt wurde. Dann können Sie Freibetrag oder Tarifermäßigung ungeachtet des früheren Verbrauchs nochmals im späteren Antragsjahr nutzen.
Rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung für Sie nicht erkennbar?
Die Gewährung der Vergünstigung war dann nicht erkennbar, wenn
- die Höhe der steuerlichen Entlastung gering (kaum merkbar) war und
- ein Hinweis in den Erläuterungen des Steuerbescheids fehlt.
Wichtig | Die geringe Höhe der steuerlichen Entlastung hat das FG Hamburg in einem aktuellen Streitfall bestätigt, wenn diese weniger als ein Prozent der festgesetzten Steuer beträgt (FG Hamburg, Urteil vom 12.06.2024, Az. 1 K 141/22, Abruf-Nr. 243738). Auch eine dreistellige unrechtmäßige Begünstigung im früheren Steuerjahr hat die Rechtsprechung als „kaum merkbare Entlastung“ definiert (BFH, Urteil vom 15.02.2002, Az. X R 97/98).
Aktuelles Urteil des FG Köln: Steuerzahlerfreundliche Auslegung
In einem neuen Urteil hat sich das FG Köln zur Frage der Erkennbarkeit ebenfalls deutlich zugunsten der Steuerzahler positioniert. Aus dem bloßen Ansatz eines anderen Veräußerungsgewinns im ESt-Bescheid als erklärt ist für Sie noch nicht erkennbar, dass Freibetrag oder Tarifermäßigung unrechtmäßig angesetzt wurden. Auch die Feststellung von Beteiligungsverkäufen in einem früheren Grundlagenbescheid drängen die Erkennbarkeit des Abzugs von Freibetrag oder Tarifermäßigung im Folge-Steuerbescheid nicht auf. Der Hinweis darauf, dass das Finanzamt – vermeintlich im Sinne des Steuerzahlers – einen Freibetrag berücksichtigt hat, muss im dafür vorgesehenen Erläuterungsbereich des Bescheids oder ausdrücklich in einem sich (aus anderen Gründen) anschließenden Einspruchsverfahren erfolgen. Die Möglichkeit einer mittelbaren Herleitung ist nicht ausreichend (FG Köln, Urteil vom 20.03.2024, Az. 9 K 926/22, Abruf-Nr. 247146).
Damit gibt das FG Betroffenen ein starkes Argument in die Hand, um im späteren gewünschten Zeitpunkt doch (erneut) Freibetrag oder Tarifermäßigung im Ganzen ausnutzen zu können.
Letzter Ausweg: Abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen
Als weitere Option (und letzten Ausweg) hat das FG Hamburg die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO ins Spiel gebracht, die zur ermäßigten Besteuerung führen kann. Hierbei ist in die Wertung einzubeziehen, inwieweit das Finanzamt die bewusste (spätere) Ausübung des Antragswahlrechts durch die (Nicht-)Kommunikation der antraglosen Gewährung verhindert hatte.
AUSGABE: SSP 4/2025, S. 21 · ID: 50345563