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UmsatzsteuerUmsatzsteuerfreiheit für Kostenteilungsgemeinschaften nach § 4 Nr. 29 UStG – ein enger Pfad
| Unter bestimmten Voraussetzungen können Kostenteilungsgemeinschaften nach § 4 Nr. 29 UStG umsatzsteuerfrei sein. Die Praxis zeigt, dass dies ein enger Pfad ist. SB macht Sie mit den Anforderungen vertraut und liefert ein Praxisbeispiel für Zusammenschlüsse. |
Das Ziel der Regelung in § 4 Nr. 29 UStG
Zum 01.01.2020 wurde mit § 4 Nr. 29 UStG eine Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen eingeführt, die von selbstständigen Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke ihrer dem Gemeinwohl dienenden nicht steuerbaren oder ihrer nach § 4 Nr. 11 b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 UStG steuerfreien Umsätze erbracht werden.
Ziel der Regelung ist es, bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Umsatzsteuer zu befreien, um den Zugang zu diesen Leistungen unter Vermeidung höherer Kosten zu erleichtern, die entstehen würden, wenn diese Leistungen umsatzsteuerpflichtig wären. Zudem soll durch die Befreiung ein Wettbewerbsnachteil desjenigen, der z. B. wegen mangelnder Unternehmensgröße dem Gemeinwohl dienende Leistungen einkaufen muss, im Vergleich zu demjenigen vermieden werden, der die Leistungen durch eigene Angestellte oder im Rahmen einer Organschaft erbringen lassen kann (BMF, Schreiben vom 19.07.2022, Az. III C 3 – S 7189/20/10001 :001, Abruf-Nr. 230404).
Steuerbefreiung hat begrenzte Reichweite
Die vielen Einschränkungen in § 4 Nr. 29 UStG führen dazu, dass der Anwendungsbereich in der Praxis eng ist.
Diese Zusammenschlüsse sind begünstigt
Bei dem Personenzusammenschluss i. S. v. § 4 Nr. 29 UStG muss es sich um einen eigenständigen (selbstständigen), d. h. von den jeweiligen Mitgliedern verschiedenen Steuerpflichtigen handeln, der Unternehmer i. S. v. § 2 Abs. 1 UStG ist. Eine bloße Vereinbarung zur Kostenteilung unter mehreren Unternehmern bzw. Nichtunternehmern (sog. Aufwandpool) genügt nicht.
Bei den Zusammenschlüssen kann es sich um solche von natürlichen und/oder juristischen Personen sowie Personenvereinigungen handeln wie etwa Personen- und Kapitalgesellschaften, Genossenschaften oder Vereine.
Wichtig | Nicht als Zusammenschluss in Betracht kommen aber Stiftungen. Denn diese sind nicht mitgliedschaftlich strukturiert. Es handelt sich um keine Personenzusammenschlüsse.
Diese Leistungen des Personenzusammenschlusses sind begünstigt
Begünstigt sind nur solche Leistungen, die an ein Mitglied oder mehrere Mitglieder für deren umsatzsteuerfreie oder nicht steuerbare Umsätze erbracht werden. Dabei ist nicht zwingend, dass die Leistungen hinsichtlich Art und Umfang stets allen Mitgliedern gegenüber in gleicher Weise erbracht werden.
Leistungen an Dritte (Nichtmitglieder) sind ebenso unschädlich wie Leistungen an Mitglieder für deren umsatzsteuerpflichtige Tätigkeiten; allerdings sind solche Leistungen nicht begünstigt.
Leistung muss unmittelbar der Ausübung der Tätigkeit dienen
Zudem muss die bezogene Leistung beim Mitglied zur Ausführung der begünstigten Zwecke unmittelbar verwendet werden. Die Befreiung kommt also nur zur Anwendung, wenn die Leistung unmittelbar zu den begünstigten Tätigkeiten beiträgt und zu diesem Zweck eingesetzt wird.
Nach dem BMF-Schreiben vom 19.07.2022 sind dies z. B.
- ärztliche Praxis- und Apparategemeinschaften, wenn diese ihre medizinischen Einrichtungen, Apparate und Geräte zentral beschaffen und ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen;
- Praxis- und Apparategemeinschaften, die Laboruntersuchungen, Röntgenuntersuchungen und andere medizinisch-technische Leistungen für ihre Mitglieder ausführen;
- Zusammenschlüsse, die IT-Infrastruktur bereitstellen, die auf die Bedürfnisse der Mitglieder zugeschnitten ist, und die Betreuung oder die diesbezügliche Administration übernehmen.
Tätigkeiten, die nur mittelbar der Ausführung von nicht steuerbaren oder steuerfreien Umsätzen der Mitglieder dienen, wie z. B. allgemeine Verwaltungsleistungen, fallen nicht unter die Befreiung, weil sie diese allenfalls fördern. Dazu gehören für das BMF
- Buchführung und Tätigkeiten bei Erstellung und Verarbeitung von Rechnungen,
- Datenverwaltung.
- Rechtsberatung,
- Tätigkeiten im Supportbereich (z. B. Backoffice-Tätigkeiten, Telefonzentrale, Fahrbereitschaft, Ablage- und Registrierungstätigkeiten),
- allgemeine Reinigungs- und Verpflegungsleistungen,
- allgemeine Aufgaben im Bereich von Organisation, Personalwesen/- gestellung, Vertrieb sowie
- Raumüberlassung.
Ferner sind nur die Leistungen von im Inland ansässigen selbstständigen Personenzusammenschlüssen an ihre im Inland ansässigen Mitglieder begünstigt.
Ausschluss von Wettbewerbsverzerrungen muss sichergestellt sein
Grundsätzlich ist die Anzahl der Mitglieder und der Umfang der Leistungserbringung beliebig. Einziges Regulativ ist, dass keine Wettbewerbsverzerrung entstehen darf. Die Befreiung kann daher nicht angewandt werden, wenn dadurch anderen Marktteilnehmern, die gleichartige steuerpflichtige Leistungen erbringen, ein Wettbewerbsnachteil entsteht.
Das bedeutet aber nicht, dass bereits jeder (auch potenzielle) Wettbewerb zu einem Ausschluss der Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG führt. Ziel der Norm ist es, eigene Wettbewerbsnachteile, die z. B. dadurch entstehen, dass Leistungen nicht durch eigene Angestellte erbracht werden können – etwa weil die Mitglieder sehr klein sind –, auszugleichen. Dadurch entstehende Wettbewerbsnachteile der Konkurrenz sollen hier unbeachtlich bleiben, sonst würde die Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG sinnwidrig beschränkt. Die Wettbewerbsklausel ist daher ausweislich des BMF-Schreibens zugunsten der Zusammenschlüsse restriktiv auszulegen und soll vornehmlich missbräuchliche Gestaltungen verhindern.
Entgelt für Leistung darf nur kostendeckend sein
§ 4 Nr. 29 UStG setzt voraus, dass das für die Leistung vereinbarte und entrichtete Entgelt lediglich in einem genauen Kostenersatz besteht. Dazu zählen alle Kosten, die der Zusammenschluss im Interesse der Mitglieder trägt.
Die Höhe des vom Mitglied zu tragenden Anteils an den Gesamtkosten kann z. B. aufwandsbezogen bestimmt werden. Zulässig ist aber auch eine Bemessung und Aufteilung der Kosten nach der Anzahl der Mitglieder oder anhand der Höhe der Beteiligung an dem Zusammenschluss. Ein pauschaler Aufschlag auf die tatsächlichen Ausgaben für die Erbringung der Leistung ist schädlich. Allerdings sollen nach Auffassung des BMF Umlagen unschädlich sein, wenn sie der Finanzierung künftiger Investitionen dienen.
Praxisbeispiel für Zusammenschlüsse
Nachfolgend werden anhand eines Praxisbeispiels die Voraussetzungen für Zusammenschlüsse nach § 4 Nr. 29 UStG durchgespielt.
Beispiel |
Zusammenschluss zur Energieversorgung für Altenheime und Dritte Eine gemeinnützige Stiftung, eine Landesbehörde und eine Landeskirche planen die Errichtung eines Energieversorgungsunternehmens in der Rechtsform der GmbH mit dem Ziel, Energieversorgunganlagen zu errichten und in Betrieb zu nehmen. Die erzielte Energie soll vorrangig den durch die Gesellschafter oder durch ihre Tochtergesellschaften betriebenen Alten- und Pflegeheimen und auch Dritten zur Verfügung gestellt werden. |
GmbH ist begünstigter Zusammenschluss
Der Begriff Personenzusammenschluss ist unionsrechtlich geprägt . Er liegt auch vor, wenn sich – wie hier – juristische Personen zu einer GmbH zusammenschließen.
Wichtig | Die Stiftung selbst kommt zwar als geeignete Rechtsform für einen „Zusammenschluss“ nicht in Betracht. Aber das schließt nicht aus, dass sie Mitglied eines solchen Zusammenschlusses sein kann. Sprich: Die Stiftungen kann Gesellschafterin (Mitglied) der GmbH sein.
Begünstigte Tätigkeiten liegen vor und Unmittelbarkeit ist erfüllt
Die Gesellschafter (Mitglieder) führen mit den Alten- und Pflegeheimbetrieben steuerfreie Zwecke nach § 4 Nr. 16 UStG aus. Diesen dienen die Energielieferungen der GmbH unmittelbar. Der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 29 UStG ist daher für diese eröffnet.
Wichtig | Ungeklärt ist der Anwendungsbereich für Tochtergesellschaften der Mitglieder. Stehen sie in einem umsatzsteuerlichen Organschaftsverhältnis zu einem Mitglied, gelten sie umsatzsteuerlich als unselbstständig, weshalb sie u. E. dann unmittelbar von der Befreiungsregelung profitieren können sollten.
Energielieferungen an Dritte (Nichtmitglieder) durch die GmbH sind zwar unschädlich möglich; allerdings sind solche Leistungen nicht nach § 4 Nr. 29 UStG begünstigt.
Wettbewerbsverzerrungen sind nicht ausgeschlossen
Problematisch sind die Energielieferungen an Dritte auch vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs. Selbst wenn die Wettbewerbsklausel restriktiv ausgelegt werden soll, wäre jedenfalls durch eine größere Belieferung Dritter u. E. eine Grenze zur Wettbewerbswidrigkeit überschritten.
Das BMF geht z. B. von einer zweckwidrigen Anwendung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG aus, wenn
Verbindliche Auskunft einholen Praxistipp | Angesichts der erheblichen umsatzsteuerlichen Auswirkungen empfiehlt es sich für die GmbH, eine verbindliche Auskunft einzuholen. |
- der Zusammenschluss unter Ausnutzung von erheblichen Synergieeffekten die gleichen Leistungen in erheblichem Umfang entgeltlich an Nichtmitglieder am Markt erbringt oder
- die Verlagerung von externen beliebigen, insbesondere nicht auf die Bedürfnisse seiner Mitglieder zugeschnittenen Dienstleistungen auf den Personenzusammenschluss erfolgt, obwohl derartige Leistungen ohne Weiteres auch von anderen Marktteilnehmern angeboten werden könnten.
Der richtige Umgang mit § 4 Nr. 29 UStG in der Praxis
§ 4 Nr. 29 UStG kann – wenn seine Voraussetzungen erfüllt werden können – große Gestaltungsmöglichkeiten mit Einsparpotenzial eröffnen. Es können aber auch Gründe vorhanden sein, die gegen einen solchen Zusammenschluss sprechen. Nicht selten sind dies z. B. Gewinnerzielungsabsichten einzelner Gesellschafter durch verstärktes Auftreten am Markt. Gerade bei größeren Projekten sollte daher eine genaue Analyse der tragenden Faktoren erfolgen.
AUSGABE: SB 7/2024, S. 128 · ID: 50027943