Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Feb. 2022 abgeschlossen.
ZweckbetriebBFH: Individuelle Versicherungsberatung ist ein Zweckbetrieb
| Eine gemeinnützige Stiftung, die individuelle Versicherungsvergleiche gegen Entgelt anbietet, betreibt damit einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb. Diese Auffassung vertritt der BFH. Sein Urteil zeigt exemplarisch, wie die Rechtsprechung die Zweckbetriebsregelungen auslegt. Es ist für sämtliche gemeinnützige Körperschaften bedeutsam, die Leistungen gegen Entgelt erbringen. SB beleuchtet die Urteilsgründe und stellt die Auswirkungen auf die Praxis vor. |
Versicherungsberatung und -vergleichsanalyse vor dem BFH
Eine gemeinnützige Stiftung, deren Zweck die Förderung des Verbraucherschutzes ist, führte u. a. vergleichende Untersuchungen über Angebote von Versicherungen durch und veröffentlichte die Ergebnisse. Daneben erstellte sie für Einzelpersonen mit deren individuellen Daten gegen Entgelt eine Versicherungsvergleichsanalyse. Das Finanzamt ordnete die Einnahmen daraus dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu. Der BFH sah es anders (BFH, Urteil vom 26.08.2021, Az. V R 5/19, Abruf-Nr. 226276).
BFH: Zum Verbraucherschutz gehört auch Einzelberatung
Der BFH hat die Zweckbetriebsdefinition des § 65 AO sehr weit ausgelegt: „Verbraucherschutz“ bzw. „Verbraucherberatung“ nach § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 16 AO – so der BFH – soll die Stellung des Verbrauchers im Rechts- und Wirtschaftsverkehr durch Beratung und Aufklärung verbessern. Sie erfolgt u. a. durch die Erteilung von Auskünften bei unübersichtlichen Angebotsmärkten und bei komplexen Marktbedingungen, durch Berichterstattung in Medien, um die Öffentlichkeit über wichtige Verbraucherthemen, verbraucherrelevante Aktionen, Projekte und Ausstellungen zu informieren.
Der Zweck der Verbraucherberatung als Schutz der Verbraucher vor wirtschaftlichen Benachteiligungen umfasst auch die Einzelberatung. Das gilt zumindest, wenn sich das Angebot der individuellen Aufklärung und Beratung an einen zahlenmäßig nicht begrenzten Personenkreis richtet. Dann ist nämlich das Gebot der Förderung der „Allgemeinheit“ nach § 52 Abs. 1 AO erfüllt.
Individuelle Verbraucherberatung ist Zweckbetrieb
Die individualisierten Versicherungsanalysen gegen Entgelt entsprechen aber nicht nur dem Satzungszweck, sondern sind auch ein allgemeiner Zweckbetrieb nach § 65 AO. Nach Auffassung des BFH erfüllen sie nämlich alle Kriterien dieser Zweckbetriebsdefinition:
1. Zwecknähe
Die wirtschaftliche Tätigkeit verwirklicht in ihrer Gesamtrichtung die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft.
2. Zwecknotwendigkeit
Die entgeltlichen Finanzanalysen waren für den BFH auch im Sinne des § 65 Nr. 2 AO erforderlich, um die Satzungszwecke zu erreichen. Dies setzt voraus, dass sich der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb von der Verfolgung des steuerbegünstigten Zwecks nicht trennen lässt, sondern vielmehr das unentbehrliche und einzige Mittel zur Erreichung des steuerbegünstigten Zwecks ist. Diese Voraussetzung war hier in den Augen des BFH erfüllt: Die anhand von Musterfällen veröffentlichten Vergleichsanalysen zu Versicherungen böten dem Verbraucher meist nur einen generellen Marktüberblick. Ein konkret auf seine jeweiligen Verhältnisse bezogener Versicherungsschutz setzt dagegen eine individuelle Versicherungsanalyse voraus.
Die Prüfung der Zwecknotwendigkeit schließt auch die Frage ein, ob der Satzungszweck auf anderem Weg erreicht werden kann. Das sah der BFH nicht. Allgemeingehaltene und an einen größeren Kreis gerichtete Beratungsangebote wie Vorträge, Broschüren und andere allgemeine Informationen liefern nicht den gleichen Nutzen für den Verbraucher. Der BFH sah auch keinen Hinweis darauf, dass die Erhebung des Entgelts für die Verbraucherberatung lediglich der Mittelbeschaffung diente. Diese Bewertung ist aber bei der Zweckbetriebsprüfung der Regelfall: Ist die Tätigkeit also solche zwecknotwendig, kommt es auf die Entgeltlichkeit nicht an.
3. Konkurrenzverbot
Der BFH sah in den individuellen Versicherungsanalysen auch keinen unzulässigen Wettbewerb mit vergleichbaren Anbietern wie Versicherungsportalen, Versicherungsmaklern und Versicherungsberatern.
- Versicherungsportale erstellen zwar vergleichbare Analysen, sind aber kostenfrei und zielen auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags. Dasselbe gilt für Versicherungsmakler, die beim Abschluss eines Versicherungsvertrags eine Provision von der Versicherungsgesellschaft erhalten. Am ehesten besteht eine Konkurrenz zu Versicherungsberatern, die ebenfalls gegen Entgelt tätig werden und Kunden unabhängig beraten. Dort steht aber im Unterschied zu den Leistungen der Verbraucherschutzorganisation die persönliche Beratung des Kunden im Vordergrund.Bedingter Wettbewerb zu Portalen, Maklern und Ver- sicherungsberatern ...
- Dieser Wettbewerb ist aber – so der BFH – unvermeidbar, weil das Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks überwiegt. Die Verbraucherschutzorganisation hat kein wirtschaftliches Interesse am Abschluss eines Versicherungsvertrags; daher gewährleisten nur ihre Analysen einen unabhängigen Marktüberblick. Ein solcher Vergleich ist zur Wahrung der Verbraucherschutzinteressen besonders wichtig und wird auch nicht von unabhängigen Versicherungsberatern angeboten.... ist unvermeidbar zur Erreichung der Satzungszwecke
Wichtig | Hier zeigt sich eine grundsätzliche Logik, die die Rechtsprechung anwendet. Ist der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb für die Erreichung der Satzungszwecke unverzichtbar, gilt ein möglicher Wettbewerb zu nicht begünstigten Konkurrenten meist als unvermeidbar. Es kommt also weniger auf den Umfang des Wettbewerbs an, als darauf, dass die wirtschaftliche Tätigkeit unverzichtbar ist, um die Satzungszwecke zu erreichen.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
Die Abgrenzung zwischen Zweckbetrieb (§§ 65 ff. AO) und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb (WGB; §§ 64, 14 AO) bereitet in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten. Die Finanzverwaltung neigt in Grenzfällen dazu, eher profiskalisch zu entscheiden. Da bringt das BFH-Urteil eine wichtige Klarstellung für die Praxis.
BFH präzisiert Wettbewerbsschutz in § 65 AO
Nach § 65 AO ist ein Zweckbetrieb dann gegeben, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb (wGB) in seiner Gesamtrichtung dazu dient,
- die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen (§ 65 Nr. 1 AO),
- die Zwecke nur durch einen solchen wGB erreicht werden könnten (§ 65 Nr. 2 AO) und
- der wGB zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht im größeren Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO).
Im Einzelfall bereitet die Abwägung nach § 65 Nr. 3 AO zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an einem nicht durch steuerrechtliche Begünstigungen beeinträchtigten Wettbewerb und dem Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks oft Schwierigkeiten. Hier hilft die Aussage des BFH, dass der Wettbewerbsgedanke zurücktritt, wenn die Leistungen notwendiges Mittel zur Erreichung eines ideellen Zwecks sind, den Wettbewerber ihrerseits nicht verfolgen.
Praxistipp | Gemeinnützige Stiftungen können das BFH-Urteil im Clinch mit dem Finanzamt heranziehen, wenn es um die Zweckbetriebseigenschaft nach § 65 AO und Abwägung im Einzelfall geht. |
BFH-Urteil ist über den Fall hinaus von Interesse
Das Urteil ist über den Fall hinaus von Bedeutung, weil es zeigt, dass die Rechtsprechung die Zweckbetriebszuordnung regelmäßig großzügiger auslegt als die Finanzverwaltung. Ist eine wirtschaftliche Tätigkeit für die Erreichung der Satzungszwecke notwendig, tritt das Wettbewerbsargument in den Hintergrund. Die Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO spricht von einem zulässigen „unvermeidbaren“ Wettbewerb. Dazu müssen sich, wie der Fall der Verbraucherberatung zeigt, die vergüteten Leistungen nicht grundsätzlich von denen möglicher oder tatsächlicher Konkurrenten unterscheiden. Es genügt, dass die Leistung nicht in gleicher Weise erbracht wird.
Umsatzsteuerliche Einordnung der Zweckbetriebsleistungen
In dem Urteil hat der BFH auch herausgearbeitet, dass die Zweckbetriebsleistungen der gemeinnützigen Stiftung dem umsatzsteuerlichen Regelsteuersatz unterliegen. Der ermäßigte Umsatzsteuersatz sei nicht anwendbar. Denn die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 3 Alt. 1 UStG seien im Urteilsfall nicht erfüllt.
AUSGABE: SB 2/2022, S. 31 · ID: 47908787