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Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortetSind Klagen per Post mangels beSt-Zugang im Übergangszeitraum 2022/2023 unzulässig?
| Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) muss für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (beSt) empfangsbereit einrichten, § 86d Abs. 1 StBerG. Gem. der bis zum 25.10.24 geltenden Übergangsvorschrift des § 157e StBerG waren die Regelungen über das beSt erstmals nach Ablauf des 31.12.22 anzuwenden. Zum 1.1.23 waren jedoch nicht sämtliche Steuerberater mit dem beSt ausgestattet. Haben Steuerberater Klagen daher noch per Post eingereicht, wurden diese u. U. von den FGen als unzulässig abgewiesen. |
»Frage des Steuerberaters: Das FG hat eine im Namen des Beschwerdeführers Bf erhobene Klage meiner Mandantin M als unzulässig abgewiesen, weil diese nicht fristgerecht in der elektronischen Form eingereicht worden sei. Im Herbst 22 gab die BStBK bekannt, dass sie nicht alle Steuerberater zum 1.1.23 mit einem beSt-Zugang ausstatten könne; der Versand der Briefe mit dem Registrierungscode beginne erst im Januar 23. Gleichzeitig stellte sie eine Möglichkeit bereit, vorzeitig einen Registrierungsbrief zu beantragen (sog. „Fast Lane“).
Am 16.1.23 und damit innerhalb der bis zum 6.6.23 laufenden Klagefrist hat die M auf dem Postweg Klage gegen einen ESt-Bescheid erhoben. In einem beigefügten Anschreiben hat die M ausgeführt, ihr sei eine elektronische Einreichung der Klage über das beSt aufgrund des noch fehlenden Registrierungsbriefs nicht möglich. In einem in der Folge geführten Schriftverkehr hat das FG nicht auf Formerfordernisse hingewiesen. Es hat die Klage abgewiesen. Die Wiedereinsetzung in die Klagefrist sei nicht zu gewähren. Die M sei bei Klageerhebung noch nicht Inhaberin eines beSt-Zugangs, hätte jedoch über die „Fast Lane“ die vorzeitige Versendung des Registrierungsbriefs erwirken können. Aufgrund des Beschlusses des BFH (27.4.22, XI B 8/22) habe ihr klar sein müssen, dass ab dem 1.1.23 Klagen nur noch elektronisch erhoben werden können. Sie sei selbst davon ausgegangen, dass die Klage elektronisch zu erheben war. Der BFH hat die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde und auch die Anhörungsrüge zurückgewiesen. Zu Recht?
»Antwort des Strafverteidigers: Nein. Das Urteil des FG verletzt das Gebot effektiven Rechtschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG 23.6.25, 1 BvR 1718/24). Das FG hat die Gewährung einer Wiedereinsetzung unzumutbar erschwert und die hieran zu stellenden Anforderungen überspannt.
Dem Begleitschreiben zur Klage entnimmt das FG, dass der M ihre Pflicht, das beSt zu nutzen, bekannt gewesen sei. Diese Auslegung ist jedoch weder durch die Formulierung noch durch die Gesamtumstände gestützt. Das Anschreiben kann auch so verstanden werden, dass die Nutzungspflicht des beSt erst mit dem Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs beginnt. Es könnte somit als Vorsichtsmaßnahme zur Klarstellung dienen, dass die Nutzungspflicht noch nicht begonnen habe, da der Registrierungsbrief nicht vorliege.
Das FG wirft der M Fahrlässigkeit vor, weil ihr der Beschluss des XI. Senats des BFH vom 27.4.22 (XI B 8/22) hätte bekannt sein müssen. Das FG hätte sich mit offensichtlichen Einwänden gegen diese Ansicht auseinandersetzen müssen (BVerfG 27.9.12, 2 BvR 1766/12, Rn. 16). Der XI. Senat äußerte in einem obiter dictum, dass ab dem 1.1.23 alle Steuerberater verpflichtet seien, das beSt zu nutzen. Der Beschluss behandelt jedoch nicht die spätere Diskussion, ob die verzögerte Freischaltung der beSt-Zugänge im Herbst 22 eine spätere Beginnpflicht gem. § 52d S. 2 FGO erforderte.
Das FG hätte den Verschuldensvorwurf näher begründen müssen und die komplexe Übergangssituation zum Jahreswechsel 2022/2023 berücksichtigen sollen. Entgegen § 86d StBerG (i. V. m. § 157e StBerG) war zum Jahresbeginn 23 keine flächendeckende Freischaltung der beSt-Zugänge möglich.
Die BStBK hatte verlautbart, die Pflicht zur Nutzung des beSt beginne erst mit Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs. Steuerberater brachten den Ausführungen der BStBK als zuständige Behörde für das beSt gesteigertes Vertrauen entgegen. Seit Herbst 2022 bot die BStBK ein „Fast Lane“-Verfahren zur vorgezogenen Zuteilung des Registrierungsbriefs an, deklarierte es jedoch als „freiwillig“. Erst Ende Januar 23 empfahl die BStBK, im „Fast Lane“-Verfahren eine vorgezogene Registrierung zu erwirken, falls Schriftverkehr mit Gerichten geführt werde.
Das FG hat sich jedoch nicht damit auseinandergesetzt, ob dies das Vertrauen erschütterte, die bis dahin noch auf dem Schriftwege eingereichte Klage als fristgerecht anzusehen. Angesichts dessen, dass das FG im gesamten beginnenden Klageschriftverkehr auf fehlende Formerfordernisse zu keiner Zeit hingewiesen hat, wäre eine Auseinandersetzung damit aber erforderlich gewesen.
Merke | Das BVerfG (23.5.25, 1 BvR 1718/24) musste nicht prüfen, ob das FG mit anderer Argumentation die Wiedereinsetzung hätte versagen können (BVerfG 23.1.95, 1 BvR 762/94, Rn. 19). Offenbleiben konnte, ob der Bf eine Verfassungswidrigkeit der Auslegung von § 52d S. 2 FGO, dass eine Nutzungspflicht trotz fehlender flächendeckender Einrichtung der beSt infolge einer möglichen „Fast Lane“-Einrichtung mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist (vgl. BVerfG 20.8.24, 1 BvR 1409/24, Rn. 3), hinreichend substanziiert gerügt hat. Ebenso konnte offenbleiben, ob ausreichend dargelegt wurde, dass die StBPPV unwirksam erlassen wurde und daher keine Pflicht bestand, das beSt zu nutzen. Ferner konnte offenbleiben, ob das Urteil des FG das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Bf verletzt. |
Die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BFH verletzt das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Bf. Der Bf hatte in der Beschwerdebegründung dargelegt, warum das FG den Sinn der Ausführungen im Anschreiben zur Klageschrift missdeutet habe, was eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft. Dennoch wurde dieser Kernvortrag vom BFH nicht behandelt. Auch im Anhörungsrügeverfahren wurde der Gehörsverstoß nicht behoben. Der BFH erläuterte zwar seine Schlussfolgerungen, ging jedoch erneut nicht auf den Vortrag des Bf ein.
AUSGABE: PStR 10/2025, S. 239 · ID: 50517185