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WhistleblowerDas sind die steuerstrafrechtlichen Bezüge des Hinweisgeberschutzgesetzes
| Aufgrund der Richtlinie (EU) 2019/1937) wurde das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen (hP, Hinweisgeberschutzgesetz HinSchG) vom 31.5.23 (BGBl 2023 I Nr. 140), geändert durch Art. 16 des Gesetzes über die Digitalisierung des Finanzmarkts vom 27.12.24 (BGBl 2024 I Nr. 438), in Kraft getreten seit 2.7.23 (Änderung: 1.7.24), verabschiedet. Es gibt einige steuerstrafrechtliche Bezüge und ungeklärte Fragen. |
1. Steuerrechtlicher sachlicher Anwendungsbereich
Gem. §§ 2 und 3 HinSchG erfasst das Gesetz begründete Verdachtsmomente u. a. für strafbewehrte Verstöße und sonstige gegen Rechtsvorschriften des Bundes und der EU im Bereich der Geldwäsche, Verstöße gegen steuerliche Normen bei Körperschaften und Personenhandelsgesellschaften, Verstöße in Form von Vereinbarungen, die darauf gerichtet sind, steuerliche Vorteile bei diesen Gesellschaftsarten missbräuchlich und zweckwidrig zu verwenden.
Die letztere Zielrichtung des HinSchG erfasst das „kreative Steuerrecht“, i. S. d. § 42 AO (vgl. Panama Papers und Cum-Ex, die durch hPs aufgedeckt wurden). Bei den „Lux Leaks“ entschied der EGMR, dass die Verurteilung einer hP als Mitarbeiter einer international agierenden Steuerberatungsgesellschaft, der über Steuervermeidungsmodelle in Luxemburg berichtet hatte, gegen Art. 10 EGMR (Meinungsäußerungsfreiheit) verstieß. EuGH – Entscheidungen zu missbräuchlichen Steuergestaltungen: „Emsland-Stärke“ (EuGH 14.12.00, C-110/99, Celex-Nr. 61999CJ0110), „Halifax“ (EuGH 21.2.06, C-255/02, Celex-Nr. 62002CJ0255), „Cussens“ (EuGH 22.11.17, C-251/16, Celex-Nr. 62016CJ0251), „Cadbury Schweppes“ (EuGH 12.9.06, C-196/04, Celex-Nr. 62004CJ0196). Erfasst werden auch die §§ 378, 380 AO, da nicht nur Fiskalinteressen betroffen sind, sondern auch die Interessen der Arbeitnehmer daran, von der Abführung der Lohnsteuer durch Zahlung des Arbeitgebers befreit zu werden (Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 184. Lieferung, 1/2025, § 380 AO 1977, Rn. 1).
2. Durchbrechung des Mandatsgeheimnisses
Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 HinSchG sind Verschwiegenheitspflichten bei Rechtsanwälten und Verteidigern vorrangig, nicht aber bei Steuerberatern. Die Abgrenzung ist schwierig, wenn Steuerberater in einer anwaltlichen Sozietät tätig sind und der beratende Rechtsanwalt den Steuerberater zuzieht (Sonnenberg/Rempp, GmbHR 23, 112).
Gem. § 6 Abs. 2, § 33 Abs. 1 HinSchG kann der Steuerberater, der kein Rechtsanwalt ist, einer externen Meldestelle (z. B. BaFin, BMJ) offen oder anonym Informationen mitteilen, die den sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG betreffen und die notwendig sind, um einen Verstoß aufzudecken, und bei denen ein hinreichender Grund zur Wahrheit besteht. Wenn die Offenlegung, also die Mitteilung an die Öffentlichkeit über Presse oder Social Media, gewählt wird, müssen die Anforderungen des § 32 HinSchG erfüllt sein. Dazu gehört, dass zuvor eine externe Meldestelle genutzt wurde.
Ausnahme: Es erfolgt von dort keine Rückmeldung über Folgemaßnahmen oder überhaupt keine Rückmeldung in angemessener Frist (3 bis maximal 6 Monate, § 28 HinSchG. Gleiches gilt gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG bei Gefahr großer Schäden und Gefahr im Verzug sowie bei Gefahr von Repressalien für die hP und kollusiven Verhaltens der externen Meldestelle mit dem Urheber des Verstoßes. In diesen Fällen ist keine Strafbarkeit und Haftung des Steuerberaters gegeben (§ 35 HinSchG), d. h., § 203 StGB greift nicht ein. „Notwendig“ ist eine Information, wenn eine ex-ante Betrachtung ergibt, dass aus Sicht der hP keine andere Möglichkeit als die Meldung bestand, um den Verstoß abzustellen (Lieder/Ceesay/Passarge, HinSchG 2025, § 6, Rn. 63).
3. Strafbarkeitsrisiken
§ 35 HinSchG schützt die hP vor straf-, arbeits- und vertragsrechtlicher Inanspruchnahme bei Informationsbeschaffung, -zugriff und -weitergabe, wenn ein hinreichender Grund dafür besteht, dass die Informationen für eine tatsächliche Meldung oder Offenlegung erforderlich sind. Ferner darf die Beschaffung oder der Zugriff nicht als solche strafbar sein. Damit tun sich Schutzlücken für die hP auf, wenn diese bei einem begründeten Verdacht durch einen Datenzugriff keine konkreten Informationen erhält.
Ferner kommen aus dem gesamten Strafrecht Normen in Betracht, die trotz § 35 HinSchG eine Strafbarkeit begründen können, z. B aus dem „Daten“-Strafrecht §§ 201, 202a-d, 303a, b StGB, § 42 BDSG. § 23 GeschGehG wird durch § 5 GeschGehG als spezieller Schutznorm für hP ausgeschlossen, wenn ein Fehlverhalten gegeben ist, also nicht nur der Verdacht oder ein diesbezüglicher Irrtum besteht, und die Eignung vorliegt, allgemeine öffentliche Interessen zu schützen. Darunter fallen Rechtsgüter der Allgemeinheit und Individualrechtsgüter in größerem Umfang. Beispiel: öffentliche Nennung von Informationen über die Lieferung von Bestandteilen tödlicher Injektionen in die USA (OLG Oldenburg 21.5.19, 1 Ss 72/19, juris).
4. Selbst- und Fremdanzeige
Eine Steuerstraftat ist i. S. d. § 371 AO stets entdeckt, wenn die Überprüfung der Steuererklärung eine nicht oder nicht vollständig angegebene Steuerquelle ergibt (BGH 20.5.10, 1 StR 577/09, juris). Personen aus dem Vertrauenskreis eines Steuerpflichtigen (Mitgesellschafter, Berater etc.) scheiden als Tatentdecker aus (BGH NStZ 1988. 413). Der Steuerpflichtige muss mit der Entdeckung seiner Tat rechnen i. S. d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO, wenn eine Strafverfolgung zu erwarten ist, etwa nach Medienberichten aufgrund einer Offenlegung durch eine hP i. S. d. § 32 HinSchG (Schleswig-Holsteinisches OLG 30.10.15, 2 Ss 63/15 [71/15], juris) oder nach Kontaktaufnahme durch eine externe Meldestelle (Biesgen/Izrailevych SAM, 23, 206). Finanzbehörden i. S. d. § 6 Abs. 2 AO sind keine externen Meldestellen, die in §§ 19-23 HinSchG (Bundeskartellamt, Bundesamt für Justiz etc.) abschließend aufgeführt sind.
Externe Meldestellen sind wiederum „Entdecker“, die zur Weiterleitung an die Finanzbehörden verpflichtet sind, § 116 AO. Hinweise durch hPs an externe Meldestellen sind als wirksame Selbstanzeige zu werten, wenn die hP sich bewusst ist, dass die Finanzbehörde durch die Stelle eingeschaltet wird und sie einer Offenlegung ihrer Person i. S. d. § 8 HinSchG zustimmt (Biesgen/Izrailevych, SAM 23, 206). Für die Fremdanzeige i. S. d. § 371 Abs. 4 AO gilt, dass „Dritter“ nur derjenige ist, der seine Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO verletzt und nicht eine unrichtige Steuererklärung bewusst wahrheitswidrig abgegeben hat (KG Berlin 24.11.16, [4] 121 Ss 169/16 [195/16], juris). Insoweit besteht Beratungsbedarf für die in das Tatgeschehen eingebundene hP. Eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft dürfte nicht als „Offenlegung“ i. S. d. § 32 HinSchG zu qualifizieren sein, da dadurch das Schutzniveau der Voraussetzungen dieser Vorschrift unterlaufen werden würde (Lieder/Ceesay/Lieder/Wagner, HinSchG 2025, § 32, Rn. 17).
5. Steuerpflicht der hinweisgebenden Person
Bei Belohnungszahlungen oder Erfolgsprämien für hPs gilt § 22 Nr. 3 EstG, da es sich um steuerbare Einnahmen als Gegenleistung für ein vertragliches Verhalten der hP handelt (FG Nürnberg 10.12.15, 4 K 1449/14, juris).
6. Beschlagnahmefreiheit bei internen Meldestellen?
Da anonyme hP einen Anfangsverdacht unter der Voraussetzung einer beträchtlichen sachlichen Qualität begründen können (LG Nürnberg-Fürth 14.2.24, 18 Qs 49/23, juris), besteht die Gefahr, dass interne Meldestellen Ermittlungsmaßnahmen unterliegen können. Gem. § 8 HinSchG sind die internen Meldestellen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Allerdings haben die Mitarbeiter kein Zeugnisverweigerungsrecht. Gem. § 4 Abs. 4 HinSchG bleiben die Regelungen der StPO von den Vorgaben des HinSchG unberührt. Durchsuchungen können sich also auf die Dokumentation und den Namen der hP und des Betroffenen beziehen. Spätestens seit der „Jones Day“-Entscheidung des BVerfG (NJW 18, 2385) ist klargestellt, dass der Schutzbereich des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht betroffen ist, da kein Mandat für einen Beschuldigten vorliegt.
Da interne Meldestellen von Unternehmen an Anwälte delegiert werden können, ist fraglich, ob ein Verteidigungsmandat im Fall eines strafbaren oder ordnungswidrigkeitsrelevanten Verhaltens im Unternehmen begründet werden kann. Der vergleichbare Ombuds-Anwalt ist jedenfalls nicht vor Durchsuchungen geschützt (LG Bochum NStZ 16, 500). Allerdings gibt es einen Schutz aus § 97 Abs. 1 Nr. 1, § 148 StPO, der sich auf das Vorfeld strafrechtlicher Ermittlungen erstreckt, wenn das Prozessverhalten in einem zivil- oder arbeitsrechtlichen Mandat bereits die Einlassung in einem Strafverfahren determiniert und insofern Doppelrelevanz aufweist (LG Frankfurt/Oder 7.4.22, 22 Qs 8/22, juris).
- Buckow, Strafrechtliche Handlungsmöglichkeiten für Beratende in Verfahren mit Whistleblowing, PStR 20, 206
- Valbuena/Rennar, Whistleblower: Anonymes Hinweisgebersystem auf (steuer-) strafrechtlichem Prüfstand, PStR 23, 211
- Sievert, Hinweisgeberschutz: Hinweisgeberstellen – ein Muss für die Mandantschaft?, PStR 24, 287)
AUSGABE: PStR 10/2025, S. 232 · ID: 50487793