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PersonenbeförderungVG Aachen: Erste Verurteilung genügt für Unzuverlässigkeit im Gewerbe
| Zur Feststellung der Unzuverlässigkeit aufgrund eines rechtskräftigen Urteils genügt bereits eine (erste) Verurteilung wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften. Das hat das VG Aachen entschieden. |
Sachverhalt
Herr D ist seit 2007 als Geschäftsführer (GF) der Antragstellerin (A) bestellt. Er hat der Antragsgegnerin (G) eine Bescheinigung der IHK Aachen über seine fachliche Eignung für den Gelegenheitsverkehr mit Taxen und Mietwagen vorgelegt. Er wurde allerdings vorher u. a. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 53 Fällen und Steuerhinterziehung in 57 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt. Als Tatzeitraum ist Januar 15 bis November 18 ausgewiesen. Die nicht abgeführten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile sind mit knapp 89.000 EUR bemessen. Die Lohnsteuerverkürzungen sollen sich auf über 31.000 EUR belaufen. Zudem soll USt von mehr als 35.000 EUR hinterzogen worden sein. A wendet sich vorliegend gegen einen behördlichen Widerrufsbescheid, der auf die strafrechtliche Verurteilung Bezug nimmt.
Entscheidungsgründe
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids ist überwiegend nicht zu beanstanden (VG Aachen 19.1.24, 10 L 711/23, Abruf-Nr. 248571). Rechtsgrundlage für den Widerruf ist § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PBefG. Danach muss die Genehmigungsbehörde die Genehmigung widerrufen, wenn nicht mehr alle Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 3 PBefG vorliegen.
Merke | Eine Genehmigung darf nach § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PBefG nur erteilt werden, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmer oder der für die Führung der Geschäfte bestellten Personen dartun. Gem. § 1 Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr (PBZugV) gelten ein Unternehmer und die zur Führung der Geschäfte bestellten Personen als zuverlässig i. S. d. § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PBefG, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens die für den Straßenpersonenverkehr geltenden Vorschriften missachtet oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens geschädigt oder gefährdet werden. Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit sind gem. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 PBZugV insbesondere rechtskräftige Verurteilungen wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften. |
Relevanz für die Praxis
Bei strafrechtlichen Verurteilungen sind i. d. R. und idealerweise frühzeitig drohende Nebenfolgen mit in den Blick zu nehmen. Die Betrachtung möglicher Risiken aus dem Ermittlungsverfahren heraus darf sich nicht auf das Strafmaß selbst beschränken.
Bei dem o. a. Begriff des „schweren Verstoßes“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Insoweit kommt es nach allgemeiner Auffassung nicht entscheidend auf eine strafrechtliche Kategorienbildung an. Ausgangspunkt ist vielmehr ein spezifisch personenbeförderungsrechtlicher Begriff (OVG NRW 6.5.19, 13 A 28/18). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Bewertung als schwerer strafrechtlicher Verstoß der Prognose dient, ob von dem Betroffenen zukünftig ein gesetzmäßiges Verhalten in der Funktion als Unternehmer oder als zur Führung der Geschäfte bestellte Person zu erwarten ist. Deshalb ist die Schwere der Straftat auch und gerade im Hinblick auf eine zu erwartende gesetzmäßige Ausübung des Personenbeförderungsgewerbes zu bewerten (OVG Rheinland-Pfalz 7.3.16, 7 B 10052/16).
Merke | Das Gewicht des strafrechtlichen Verstoßes beurteilt sich nicht allein nach dem verhängten Strafmaß, sondern auch nach der Art und Weise, wie die Tat begangen worden ist, den Tatumständen und den Tatfolgen. |
In § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 PBZugV sind Verstöße gegen arbeits- und sozialrechtliche Pflichten sowie die abgabenrechtlichen Pflichten, die sich aus der unternehmerischen Tätigkeit ergeben, aufgeführt. Diese sind selbst dann in den Blick zu nehmen, wenn noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt (vgl. OVG NRW 21.8.19, 13 A 1680/18).
§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 PBZugV knüpft bei der verwaltungsrechtlichen Entscheidungsfindung tatbestandlich daran an, dass eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Damit müssen die Verwaltungsbehörden und -gerichte in diesem Rahmen das den Rechtsverstoß begründende Handeln nicht selbst feststellen. Sie müssen vielmehr (grundsätzlich) von der Richtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung ausgehen (vgl. OVG Hamburg 15.9.08, 3 Bs 26/08).
Merke | Eine Behörde muss keine eigenen Ermittlungen anstellen, wenn sie in einem Untersagungsverfahren einen Sachverhalt aus einem Strafverfahren gegen einen Gewerbetreibenden berücksichtigen will. Sie darf jedoch nicht zu seinem Nachteil von den Feststellungen des Urteils abweichen, was den Sachverhalt, die Schuldfrage oder die Wahrscheinlichkeit betrifft, dass er bei weiterer Ausübung seines Gewerbes schwere Straftaten i. S. d. § 70 StGB begehen wird, und ob es angebracht ist, zur Abwehr dieser Gefahren das Gewerbe zu untersagen. |
Es ist nach dem Sinn und Zweck erlaubt, zugunsten des Betroffenen vom Urteil abzuweichen, wenn dargelegt wird, dass die Feststellungen des Strafgerichts falsch waren.
Nach § 35 Abs. 8 S. 1 GewO sind Abs. 1 bis 7a nicht anwendbar, wenn spezielle Vorschriften zur Untersagung oder Betriebsschließung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden existieren. Dies gilt im Personenbeförderungsrecht gem. § 25 PBefG.
AUSGABE: PStR 8/2025, S. 175 · ID: 49978768