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SteuerhehlereiUnversteuerte Zigaretten sind Tatertrag

Abo-Inhalt06.05.2024477 Min. LesedauerVon RA Dr. Lenard Wengenroth, FAStR, Krause & Kollegen, Berlin

| Der BGH hat entschieden, dass unversteuerte Zigaretten bei der Tatvariante der Erwerbshehlerei („Sichverschaffen“, § 374 Abs. 1 Var. 1 AO, mit der Untervariante des „Ankaufens“) als Tatertrag dem § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB unterfallen. In der Hand des Verbringers sind die Zigaretten Tatobjekt. |

Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten A wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 59 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. 980.940 EUR angeordnet. Der A erlangte im Zeitraum vom 7.8.19 bis zum 25.1.22 in 59 Fällen unversteuerte Zigaretten, um diese überwiegend auf eigene Rechnung, z. T. aber auch nur gegen Provision gewinnbringend weiterzuveräußern. Insgesamt übernahm er 65.696 Stangen, von denen 300 sichergestellt wurden. Den Rest veräußerte er mit Ausnahme von 800 Stangen bzw. 3.500 Stangen. Diese gab er aufgrund der schlechten Qualität zurück. Am 11.9.21 wurde bei einer Polizeikontrolle im Fahrzeug des A neben Marihuana Bargeld i. H. v. 24.000 EUR sichergestellt. Das LG hat bezüglich des einzuziehenden Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c S. 1 StGB) auf den Wert der nicht mehr vorhandenen Zigaretten abgestellt und den Wert einer Stange gem. § 73d Abs. 2 StGB auf 15 EUR geschätzt. Von den insgesamt erworbenen 65.696 Stangen unversteuerter Zigaretten hat es 300 sichergestellte Stangen abgezogen, nicht hingegen die retournierten Zigaretten. Der A hat auf die Rückgabe der beschlagnahmten Zigaretten sowie der weiteren Gegenstände, die im Verfahren sichergestellt worden sind, verzichtet. Die hiergegen eingelegte Revision des A war hinsichtlich der Einziehungsentscheidung erfolgreich.

Entscheidungsgründe

Die Einziehungsanordnung (§ 73 Abs. 1, § 73c S. 1 StGB) hat keinen Bestand (BGH 14.11.23, 1 StR 142/23, Abruf-Nr. 239936). Hinsichtlich des 956.940 EUR übersteigenden Einziehungsbetrags hat das LG rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob die Einziehung hinsichtlich der Verzichtserklärung des A z. T. ausgeschlossen ist. Die Urteilsgründe ermöglichten dem Senat schon nicht zu prüfen, ob der Verzicht sich auf das sichergestellte Bargeld i. H. v. 24.000 EUR erstreckte. Ihnen ließ sich ferner nicht entnehmen, auf welcher Grundlage und in welchem Verfahren diese Vermögenswerte sichergestellt worden sind.

Hätte der A diesbezüglich gegenüber den Justizbehörden wirksam verzichtet und unterläge der Bargeldbetrag nicht aus einem anderen Rechtsgrund der Einziehung, wäre der staatliche Zahlungsanspruch aus § 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c S. 1 StGB durch Erfüllung in entsprechender Höhe erloschen und die Einziehung des Wertes von Taterträgen insoweit ausgeschlossen (BGH 9.10.19, 1 StR 400/19 Rn. 8 m. w. N.). Das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht muss die fehlenden Feststellungen nachholen; der Aufhebung der bisherigen Feststellungen bedarf es hierfür nicht, § 353 Abs. 2 StPO.

Einziehung des Wertes von Taterträgen

Das LG hat aber zu Recht gegen den A die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. 956.940 E angeordnet. Auch i. H. d. Wertes derjenigen unversteuerten Zigaretten, die der A zurückgab, war ein staatlicher Zahlungsanspruch nach § 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c S. 1 StGB zu titulieren. Insoweit erlangte der A gleichfalls die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Zigaretten; dass er diese wieder aufgab, steht der Einziehung nicht entgegen. Denn die unversteuerten Zigaretten unterfallen bei der Tatvariante der Erwerbshehlerei („Sichverschaffen“, § 374 Abs. 1 Var. 1 AO, mit der Untervariante des „Ankaufens“) als Tatertrag dem § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (vgl. auch BGH 5.4.23, 1 StR 49/23 Rn. 9 a. E.).

Differenzierung zwischen Tatertrag und Tatobjekt

Zwischen Tatertrag und Tatobjekt ist im Wege einer tatbestandsspezifischen Wertung nach Maßgabe des geschützten Rechtsguts der einschlägigen Strafvorschrift zu differenzieren (BGH 10.4.17, 4 StR 299/16, BGHSt 62, 114 Rn. 16 m. w. N.; 15.6.22, 3 StR 295/21 BGHSt 67, 87 Rn. 13, 20 ff.; vgl. auch BGH 20.7.22, 3 StR 390/21 Rn. 11-19; 28.6.22, 3 StR 403/20 Rn. 36-40). „Ertrag“ i. S. d. §§ 73 ff. StGB ist der „wirtschaftlich messbare“, mithin geldwerte Vorteil, den der Täter durch die Straftat seinem Vermögen – und sei es nur vorübergehend – einverleibt (BGH 8.3.23, 1 StR 281/22 Rn. 19; BT-Drucksache 18/9525, 61 f.).

Zigaretten ohne Steuerzeichen sind für den Erwerbshehler – anders als etwa für den diese in das deutsche Steuergebiet verbringenden Steuerhinterzieher (BGH 22.10.19, 1 StR 199/19 Rn. 12; 23.8.16, 1 StR 204/16 Rn. 9 a. E.; 11.5.16, 1 StR 118/16, BGHR StGB § 73 Erlangtes 21 Rn. 8 a. E.) – Tatertrag.

Alle Fälle der steuerlichen Erwerbshehlerei sind gleich zu behandeln (BGH 8.3.23, 1 StR 281/22 Rn. 23 zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 KWG). Anlagegold, für das keine Einfuhr-USt erklärt worden ist, unterliegt beim Abnehmer ersichtlich als Tatertrag der Einziehung, ohne dass dies weiter zu begründen wäre (BGH 17.10.23, 1 StR 151/23 Rn. 31). Dass unversteuerte Zigaretten nicht verkehrsfähig sind (dazu BGH 28.7.22, 1 StR 470/21 Rn. 15 und 11.7.19, 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 11 m. w. N.) ist kein derart gravierender Unterschied zu verkehrsfähigen Waren, als dass eine abweichende einziehungsrechtliche Betrachtung geboten wäre.

Unversteuerte Zigaretten haben bei wirtschaftlicher Betrachtung einen messbaren Wert (Ausnahme: BGH 11.2.20, 1 StR 438/19 Rn. 7). Werden diese von einem anderen Mitgliedstaat der EU in das deutsche Steuergebiet verbracht, ist aber gerade ihre Werthaltigkeit Voraussetzung dafür, Tabaksteuer zu erheben; bei Wertlosigkeit wäre eine Verbrauchsteuerpflicht, die an den Kleinverkaufspreis anknüpft (§ 3 TabStG), nicht möglich. Nichts anderes gilt, um Zoll, Einfuhr-USt und Tabaksteuer als Einfuhrabgaben zu erheben (dazu BGH 27.6.18, 1 StR 282/17 Rn. 8-10; 19.8.09, 1 StR 314/09, BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 2 Rn. 4 und 1.2.07, 5 StR 372/06, BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1 Rn. 13 f.). Bei der Zollschuld wird auf den Transaktionswert abgestellt, Art. 70 UZK. Auch die Einfuhr-USt ist wertabhängig, § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 11 Abs. 1 UStG; Art. 69 bis Art. 76 UZK.

Für die Sachhehlerei (§ 259 Abs. 1 Var. 1 StGB) ist bereits entschieden, dass das vom Vortäter Erworbene Tatertrag ist (BGH 13.9.18, 4 StR 174/18 Rn. 19; 10.11.20, 5 StR 410/20). Das gilt zur einheitlichen Handhabung beider Straftatbestände jedenfalls bei dieser Rechtsfrage auch für die Steuerhehlerei in der Tatvariante des Sichverschaffens. Auch bei der Sachhehlerei kann, insbesondere wenn es sich bei der Vortat um einen Diebstahl handelt, § 935 BGB die Verkehrsfähigkeit der gehehlten Sache verhindern, was indes nichts daran ändert, diese als Tatertrag einzuordnen.

§ 375 Abs. 2 S. 2 AO steht nicht entgegen

§ 375 Abs. 2 S. 2 AO, der auf § 74a StGB verweist, steht der Einordnung als Tatertrag nicht entgegen. Abweichend von § 74 Abs. 3 StGB lässt § 74a StGB die Einziehung zu, wenn das Tatobjekt nicht dem Einziehungsbetroffenen gehört. Aus dieser Inbezugnahme folgt nicht, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren stets als Tatobjekte dem Einziehungsregime der § 74 Abs. 2, §§ 74a ff. StGB unterfielen.

Auch für § 375 Abs. 2 S. 1 Var. 4 Nr. 1 AO, der die Steuerhehlerei erfasst, verbleibt ein sinnvoller Anwendungsbereich, namentlich und jedenfalls innerhalb der Tatbestandsvariante der Absatzhilfe, § 374 Abs. 1 Var. 3 AO. § 375 Abs. 2 S. 1 Var. 4 Nr. 1, S. 2 AO i. V. m. § 74a Nr. 1 StGB ermöglicht es z. B., in einem Lager sichergestellte Zigaretten in einem allein gegen einen Absatzhelfer geführten subjektiven Verfahren einzuziehen. Für diesen sind die Zigaretten Tatobjekte; er unterstützt den Vortäter dabei, die Zigaretten abzusetzen, und zwar, da für den Steuerhinterzieher oder Erwerbshehler die Absatzbemühungen straflos sind (BGH 22.9.22, 1 StR 233/22 Rn. 9 m. w. N.), als Täter. Zwar ist weder er noch der Erwerbshehler Eigentümer der Zigaretten. Letzterer hat deswegen nicht das Eigentum an den Zigaretten erworben, weil die Einigung mit dem Veräußerer über den Eigentumsübergang nach § 134 BGB unwirksam ist (BGH 18.5.22, 1 StR 19/22 Rn. 9). Der Veräußerer hat aber leichtfertig dazu beigetragen, dass die Zigaretten Tatobjekte wurden.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Rechtsprechung Betäubungsmittel, denen unversteuerte Zigaretten insoweit jedoch einzig in der mangelnden Verkehrsfähigkeit ähneln, als Tatobjekte (§ 74 Abs. 2 StGB i. V. m. § 33 S. 1 BtMG) des Handeltreibens bewertet (st. Rspr.; BGH 2.11.23, 6 StR 160/23 Rn. 11; 9.12.20, 5 StR 185/20 Rn. 3; jeweils m. w. N.).

Folge: Beim Erwerbshehler sichergestellte Zigaretten sind nach § 73 Abs. 1 StGB einzuziehen. Sind die Zigaretten nicht mehr gegenständlich vorhanden, ist deren Wert nach § 73c S. 1 Var. 2 StGB einzuziehen; der Wert ist anhand der Einkaufs- oder Verkaufspreise zu bestimmen und regelmäßig nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen (st. Rspr.; vgl. BGH 5.5.21, 1 StR 502/20 Rn. 8; 11.7.19, 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 29; je m. w. N.). Ist das vom Steuerhehler als Kaufpreis vereinnahmte Bargeld oder ein sonstiger als Gegenleistung erlangter Vermögensgegenstand sichergestellt worden, kann das Tatgericht diesen im Rahmen einer Ermessensentscheidung als Surrogat einziehen (§ 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Ist das Bargeld oder der sonstige Vermögensgegenstand nicht mehr „vorhanden“, ist eine Einziehung des entsprechenden Nominalbetrags als Wertersatz ausgeschlossen, da das Gesetz eine Einziehung des Wertes des Surrogats nicht vorsieht (vgl. § 73c S. 1 Var. 3 StGB: „oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstands nach § 73 Abs. 3 StGB […] abgesehen“; vgl. BGH 8.2.18, 3 StR 560/17, BGHR StGB § 73 Abs. 3 Nr. 1 Surrogat 1 Rn. 10). In diesen Fällen kommt ausschließlich die Einziehung des Wertes des ursprünglich Erlangten in Betracht, dessen Wert nach vorstehenden Grundsätzen nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen und nicht in jedem Fall identisch mit dem Wert des Surrogats ist.

In der Hand des Verbringers sind die Zigaretten Tatobjekt. Denn der Steuerhinterzieher erlangt aus seiner Tat die Steuerersparnis. Gegen ihn ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. d. verkürzten Verbrauchsteuer anzuordnen, wenn sich die Tabaksteuerersparnis in seinem Vermögen niederschlägt (§ 370 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1 AO, § 23 Abs. 1 TabStG a. F.; st. Rspr.; BGH 23.7.20, 1 StR 78/20 Rn. 3, 10; 22.10.19, 1 StR 199/19 Rn. 7-9; jeweils m. w. N.). Die beim Verbringer sichergestellten Zigaretten unterliegen der Einziehung nach § 74 Abs. 2 StGB i. V. m. § 375 Abs. 2 S. 1 Var. 1 Nr. 1 AO (BGH 22.10.19, 1 StR 199/19 Rn. 12 m. w. N.).

Relevanz für die Praxis

Die praxisrelevante Abgrenzung bei der Einziehung zwischen §§ 73 ff. StGB und § 74 ff. StGB ist um ein Kapitel reicher: Unversteuerte Zigaretten unterfallen bei der Tatvariante der Erwerbshehlerei („Sichverschaffen“, § 374 Abs. 1 Var. 1 AO, mit der Untervariante des „Ankaufens“) als Tatertrag dem § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB. In der Hand des Verbringers sind die Zigaretten hingegen Tatobjekt. Nach den Ausführungen des 1. Strafsenats gilt dies (Einordnung als Tatobjekt) auf für die Fälle der Absatzhilfe gem. § 374 Abs. 1 Var. 3 AO.

Die Frage, nach welchem Einziehungsregime einzuziehen ist, ist aufgrund der damit verbundenen unterschiedlichen Rechtsfolgen bedeutsam. Auf der Anordnungsebene gibt es z. B. bei §§ 73 ff. keinen Raum für Verhältnismäßigkeitserwägungen. Solche finden über § 459g Abs. 5 StPO erst auf der Vollstreckungsebene statt. Bei der Einziehung von Tatobjekten, Tatmitteln und Tatprodukten gem. §§ 74 StGB greift der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingegen bereits auf Anordnungsebene, vgl. § 74f StGB. Die Regelungen zur Einziehung bei Dritten sind ebenfalls zwischen §§ 73 ff. und §§ 74 ff. StGB abweichend. Ferner gibt es Entschädigungen nach § 459h StPO dem Wortlaut nach nur bei Einziehungen nach §§ 73 ff. StGB, nicht jedoch bei solchen nach §§ 74 ff. StGB. Bedeutsam ist auch, dass den Einziehungen nach §§ 74 ff. StGB strafähnlicher Charakter zukommen kann, die ggf. im Rahmen der Strafzumessung anzurechnen ist. Der Tatertrags-Einziehung nach §§ 73 StGB soll hingegen kein Strafcharakter zukommen.

Abzuwarten bleibt, ob der nationale Gesetzgeber im Lichte der voraussichtlich noch in diesem Sommer zu erwartenden EU-Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten (COM[2022] 245 final; dazu Busch, wistra 2024, Heft 2 R9 ff.) die kaum noch zu überblickende Kasuistik der Strafsenate zu diesem Thema auflösen wird. Von Autoren aus der Justiz wird zwischenzeitlich bereits eine allgemeine sog. Vorranglösung, die sich de lege lata bereits in § 261 Abs. 10 StGB für den Tatbestand der Geldwäsche findet, vorgeschlagen.

AUSGABE: PStR 6/2024, S. 124 · ID: 49936010

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